# taz.de -- Filmkunst in Berlin: Das Kino, in Fragen getaucht
       
       > Die Regisseurin und Künstlerin Albertina Carri entwirft in der
       > daadgalerie mit „Cinema puro“ ein bewegendes Archiv der Abwesenheiten.
       
 (IMG) Bild: In Albertina Carris Filminstallationen in der daadgalerie wird die Fensterscheibe zum Bildträger
       
       Auf der Straße knurrt und kratzt es hörbar, irgendetwas wird abgeschabt,
       Rinde vielleicht oder doch eine Plastikverpackung umständlich entblättert.
       Die Tonspur zu Albertina Carris Videoarbeit „La delgada capa de la tierra“
       (Die Dünne Schicht der Erde) löst sich wie von selbst von den Bewegtbildern
       ab, die noch vor dem Betreten im Fenster der [1][daadgalerie] zu sehen
       sind. Es wehen Gräser, die Kamera streift über Sümpfe – vielleicht sind
       auch kurz die Tiere sichtbar, die zu hören sind, so sicher kann man sich
       dabei nicht sein.
       
       Ein sanftes Pendant zu diesem Kratzen, wird dem Publikum am Ende der
       Ausstellung noch einmal im Freien begegnen. Vögel und Kühe rascheln im Hof
       geradeso hörbar aus Lautsprechern, die sich incognito auf dem Boden
       verteilt haben.
       
       Auch die Tausenden Meter an Filmstreifen, die bereits im Schaufenster zum
       Gehweg hängen und im Ausstellungsraum über Decke, Wände und Boden laufen,
       erfordern ein antastendes Hinsehen, ein hörendes Sehen.
       
       Wie schnell müssten die Augen die Szene mit dem Mann im Sakko abfahren, die
       sich auf den unzähligen kleinen Frames gegen die Scheibe drückt, damit
       dieser anfängt sich zu bewegen? Sind seine Schritte noch zu hören, auch
       wenn der Film sich hier im langgezogenen Ruhezustand befindet?
       
       ## Sinnbild des Suchens
       
       „Cinema puro“ ist die erste Ausstellung der argentinischen Regisseurin und
       Künstlerin in Europa, die 2021 [2][Fellow im Berliner Künstlerprogramm des
       DAAD] war. Es geht in ihren Film- und Soundinstallationen um weit mehr als
       darum, den Film in sein Wesentliches zu zerlegen oder in seinen
       mechanischen Einzelteilen zu betrachten.
       
       Auch wenn allein die Farbflächen in Rot-, Grün- und Blautönen, die
       ausrangierte Filmprojektoren hier auf die Wände werfen, mit ihren
       abgerundeten, etwas entrückten und ausgefransten Rändern fesselnde
       Bildfelder erzeugen, die dazu einladen, den eigenen Blick in Fragen zu
       tauchen.
       
       Bewegung und Stillstand sind hier Themen der filmtechnischen Art, des
       Kunstfilms, aber auch von persönlichen Familiengeschichten, die, wie auch
       in Albertina Carris [3][filmischem Werk], stets eingebettet in politische
       Zusammenhänge sind. Ein weiterer Projektor wirft den Schriftzug „presente“
       an die Wand. Die Opfer der argentinischen Militärdiktatur, die in den 60er
       und 70er Jahren verschwanden, darunter auch Carris Eltern, werden auf diese
       Weise ins Jetzt geholt. Die unzähligen Filmstreifen, die nie als fertige
       Filme gezeigt wurden, werden zu einem Sinnbild des Suchens, zu einem Archiv
       der Abwesenheit.
       
       In der Ton- und Videoinstallation „Punto impropio“ (Der Uneigene Punkt) im
       hinteren Teil der Ausstellung ist es wieder die Tonspur, die sich
       selbstständig macht. In Briefen der Mutter an ihre Töchter, deren papierne
       Fasern in einem projizierten Kreis auf dem Boden umher flackern, sind
       Buchempfehlungen zu hören.
       
       Die Satzzeichen ihrer Briefe werden von der Off-Stimme mitgelesen:
       „Question mark“, „Full Stop“. Zwischen dem Insistieren auf Texte und
       Beziehungen, die die Kinder stärken mögen, schweben so die Spuren eines
       Sorgens und Vermittelns inmitten der Unmöglichkeit mit.
       
       5 Feb 2022
       
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