# taz.de -- Jurist über eine „Klimaklage“ im Theater: „Politik bleibt der Königsweg“
       
       > Betroffene klagen gegen die deutsche Klimapolitik – auf einer Bremer
       > Theaterbühne.
       
 (IMG) Bild: Was Demonstrieren nicht schafft: Kann es der Rechtsweg? Klimaschutzdemo in Stuttgart
       
       taz: Herr Winter, was haben Sie als Jurist in einer [1][Vorstellung der
       Bremer Shakespeare Company] zu suchen? 
       
       Gerd Winter: Wir spielen das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
       nach, das 2020 mit Verfassungsbeschwerden gegen [2][das Klimaschutzgesetz]
       begann: Darsteller:innen der Shakespeare Company agieren als
       Kläger:innen und Studierende aus meiner Lehrveranstaltung als Anwälte
       auf Seiten der beiden Parteien. Ich bin das Gericht. So ein Spiel, in dem
       wir eine Gerichtsverhandlung simulieren, nennt sich auch „Moot Court“.
       
       Im Titel ist von einer Klimaklage die Rede. Aber wer klagt denn eigentlich? 
       
       Landwirtsfamilien einerseits aus Deutschland, andererseits aus Bangladesh,
       die vom steigenden Meeresspiegel betroffen sind und unter Extremwetterlagen
       leiden. Sie machen geltend, dass ihre Grundrechte verletzt sind, weil die
       deutsche Klimapolitik die Treibhausgasemissionen nicht streng genug
       drosselt.
       
       Könnte ich auch eine Klimaklage einreichen? 
       
       Es ist nicht einfach, mit einer solchen Klage vor einem Gericht zugelassen
       zu werden. Um nicht von Klagen überschwemmt zu werden, wendet jedes Gericht
       bestimmte Filter an, bevor es sich mit einer Sache beschäftigt.
       Normalerweise müssen Kläger:innen individuell und gegenwärtig betroffen
       sein. Der Klimawandel stellt uns aber vor das Problem, dass die Zukunft
       durch heutiges Handeln sehr stark beeinflusst wird. Jede Tonne CO2 bleibt
       Jahrhunderte lang in der Atmosphäre. So muss diskutiert werden, ob der
       Grundrechtsschutz sich auch auf unsere Zukunft erstreckt. Ob die
       Jugendlichen von heute einen Anspruch darauf haben, dass sie auch in 20
       Jahren noch angenehm leben können.
       
       Ist das nicht ziemlich illusorisch? 
       
       Mit seinem Beschluss in dem Verfahren, das wir nachspielen, hat das
       Bundesverfassungsgericht 2021 genau diesen Schritt getan – und den
       Grundrechtsschutz in die Zukunft erstreckt. Es hat festgestellt, dass wir
       unsere Emissionen heute stärker reduzieren müssen, damit für spätere Zeiten
       noch etwas übrig bleibt.
       
       Wer wird beklagt? 
       
       Die Bundesrepublik und ihr Klimaschutzgesetz. Es gibt auch [3][Klagen gegen
       Unternehmen] als Emittenten, zum Beispiel VW, BMW und Mercedes, die man
       nachspielen könnte. Aber die sind noch nicht entschieden.
       
       Wie geht das Ganze aus? 
       
       Wir spielen kein eingeübtes Theaterstück mit einem vorgeschriebenen Ende.
       Es ist ein offener Schlagabtausch. Zwischendurch haben auch die
       Zuschauer:innen Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Als Richter treffe
       ich am Ende eine Entscheidung auf Grundlage der besseren Argumente.
       
       Ein spannendes Format. 
       
       Es ist ein Wagnis. Es könnte auch furchtbar peinlich werden, aber bin
       optimistisch, dass es lehrreich und vielleicht auch amüsant sein wird.
       
       Können Klimaklagen das Klima retten? 
       
       Klagen für mehr Klimaschutz gibt es jetzt seit ungefähr 10 Jahren.
       Inzwischen sind es weltweit mehr als 1000. Manche waren erfolgreich, viele
       nicht oder sind noch nicht entschieden. In Australien verhinderte zum
       Beispiel ein Gerichtsurteil den Abbau einer riesigen Kohlemine. Selbst
       erfolglose Klimaklagen haben aber den rechtlichen Diskurs um den
       Klimaschutz voran gebracht. Lange Zeit wurden die Grundrechte auf Seiten
       der Wirtschaft Klimaschutz angeführt, heute werden sie mehr Klimaschutz
       genutzt. Aber insgesamt ist selbstverständlich die demokratische Politik
       der Königsweg. Die Gerichte werden sich hüten, den politischen Gesetzgeber
       zu spielen. Sie werden nur eklatante Grenzüberschreitungen rügen, also
       Fälle, in denen Grundrechte schwer und eindeutig verletzt sind.
       
       Solche Härtefälle könnten sich mit dem Fortschreiten des Klimawandels
       häufen. 
       
       Hoffen wir, dass das nicht der Fall sein wird.
       
       5 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.shakespeare-company.com/repertoire/netzgespraech-4-analog-klimaklage-eine-versuchsanordnung
 (DIR) [2] /Anstieg-der-CO2-Emissionen/!5789629
 (DIR) [3] /Klimaklagen-gegen-Autokonzerne/!5802583
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paul Petsche
       
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