# taz.de -- Agrarministerium zu Arbeitsbedingungen: Gegen Sozialdumping bei der Ernte
       
       > Der Bauernverband will, dass der Mindestlohn später steigt und
       > Erntehelfer länger ohne Sozialversicherung arbeiten. Das Agrarministerium
       > ist dagegen.
       
 (IMG) Bild: Viele Erntehelfer haben keine gesetzliche Krankenversicherung – ganz legal (Symbolbild)
       
       BERLIN taz | Das Bundesagrarministerium lehnt vom Bauernverband verlangte
       Ausnahmen von der geplanten Erhöhung des Mindestlohns und von der
       Sozialversicherungspflicht für [1][ErntehelferInnen] ab. „Wir wollen keine
       Sonderregelungen beim Mindestlohn für die Landwirtschaft und halten eine
       nochmalige Verlängerung der 70-Tage-Regelung für kurzfristige Beschäftigung
       ohne Sozialversicherung nicht für notwendig“, sagte Staatssekretärin Silvia
       Bender (Grüne) der taz. „Das Problem von zu niedrigen Erzeugerpreisen für
       Agrarprodukte darf nicht gelöst werden, indem man Sozialstandards in der
       Landwirtschaft senkt.“ Die Branche tue sich keinen Gefallen, wenn sie sich
       im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte durch schlechte Löhne schwäche.
       
       Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will, dass so gut wie alle
       Beschäftigten ab Oktober mindestens 12 Euro pro Stunde erhalten. Derzeit
       liegt die gesetzliche Lohnuntergrenze bei [2][9,82 Euro], ab Juli bei 10,45
       Euro. Der Bauernverband [3][fordert für den landwirtschaftlichen Bereich
       eine Verschiebung] der vom Bundeskabinett beschlossenen Erhöhung auf 12
       Euro. Sonst würden vor allem der Obst- und Gemüseanbau in europäische
       Regionen mit niedrigeren Löhnen und Sozialstandards verdrängt, so die
       Organisation. Wegen der Coronapandemie will sie zudem, dass die
       „kurzfristige Beschäftigung“ ohne Beiträge etwa für die Krankenkasse wie in
       den beiden vergangenen Jahren länger als die derzeit möglichen 70 Tage
       dauern darf. Das soll dazu beitragen, dass die meist aus Osteuropa
       stammenden Saisonkräfte etwa in der Spargel- oder Erdbeerenernte länger
       bleiben und weniger Personen reisen müssen. Außerdem sparen sich die
       Betriebe Sozialversicherungsbeiträge.
       
       Doch das hätte zur Folge, „dass sowohl heimische als auch ausländische
       Arbeitskräfte bei einer Beschäftigung für vier oder fünf Monate bei nicht
       berufsmäßiger Beschäftigung keinen Sozialversicherungsschutz genießen
       würden“, teilte das Agrarministerium mit. „Kurzfristig“ Beschäftigte müssen
       laut der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) beispielsweise
       im Fall einer Covid-19-Erkrankung die Behandlungskosten mitunter selbst
       zahlen. Zudem würden den Sozialversicherungskassen durch die Ausweitung der
       kurzfristigen Arbeitsverhältnisse weitere Beiträge verloren gehen.
       
       „Eine nochmalige Ausweitung der kurzfristigen Beschäftigung in 2022 ließe
       sich aktuell nicht begründen“, so das Ministerium. Inzwischen gebe es mehr
       Möglichkeiten zum Schutz vor Corona. „Es stehen ausreichend medizinische
       Schutzmasken und Impfstoff zur Verfügung. Alle, die dies wünschen, konnten
       und können sich impfen lassen.“
       
       ## Ausbau regionaler Wertschöpfungsketten
       
       Die für Oktober geplante Erhöhung des Mindestlohns werde in der
       diesjährigen Erntesaison für die meisten Betriebe, insbesondere bei Obst
       und Gemüse, keine größere Rolle mehr spielen, erklärte das Ministerium.
       Diese Unternehmen hätten „bis zur nächsten Saison eine gewisse Vorlaufzeit,
       um sich auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen“.
       
       Bender ging auch auf die Befürchtung von Landwirten ein, dass sie auf den
       höheren Lohnkosten sitzen bleiben könnten. „Wir prüfen aktuell, wie die
       Stellung der Landwirtschaft in der Lebensmittelkette weiter gestärkt und
       der Einkauf unter Produktionskosten unterbunden werden kann“, so die Grüne.
       „Zudem wollen wir regionale Wertschöpfungsketten ausbauen und dazu gehört,
       dass wir erklären, warum möglicherweise Preise höher sind als für Produkte
       aus dem Ausland – und warum das richtig ist.“
       
       Die IG BAU begrüßte Benders Äußerungen. „Das ist eine Ankündigung, die
       umgesetzt werden muss“, sagte Harald Schaum, stellvertretender
       Bundesvorsitzender der Gewerkschaft, der taz.
       
       10 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Erntehelfer/!t5243331
 (DIR) [2] https://www.dgb.de/themen/++co++6ca263de-fb0e-11e9-bdcf-52540088cada#wiehoch2021
 (DIR) [3] https://www.bauernverband.de/topartikel/erhoehung-des-mindestlohns-schwaecht-die-wirtschaftlichkeit-der-unternehmen
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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