# taz.de -- Kriegsangst und Weltschmerz: Nur Handeln hilft
       
       > Wir müssen versuchen, unser Umfeld aktiv und positiv zu gestalten. Das
       > scheint mir sicherer, als unsere Angst mit Vorräten zu nähren.
       
 (IMG) Bild: Wenn die Erinnerung verschwindet, kippt das gesellschaftliche Klima: Hamburg im Jahr 1946
       
       Ein Abendessen unter Bekannten. Als wir uns einschenken, hebt einer das
       Glas: „Auf den Dritten Weltkrieg“, sagt er ironisch. Es ist der 24.
       Februar, ein Donnerstag. Der Tag, an dem Putin seinen Angriffskrieg gegen
       die Ukraine startete. Wir anderen am Tisch schauen beklommen.
       
       Nie werde ich den Blick meines Bekannten mir gegenüber vergessen. Er ist
       groß und kräftig. In seinen Augen ist plötzlich etwas Verletzliches,
       Angstvolles, als er die Worte hört. „Na, komm, sag so was nicht“, meint er.
       „Aber es ist doch so“, sagt der andere. Wir schweigen. An diesem Donnerstag
       ist bei uns kein Platz für diesen Witz.
       
       Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit Krieg beschäftigt. Anhand
       eines Fotos von einem toten Soldaten aus dem [1][Zweiten Weltkrieg] habe
       ich einen Film darüber gemacht, wie sich der Krieg bis heute in unsere
       Herzen und Biografien zieht: Es heißt, wenn die letzten [2][Zeuginnen und
       Zeugen], die vom Krieg erzählen können, sterben, kippt das
       gesellschaftliche Klima, dann schlägt es um. Dann sei der Boden dafür
       bereitet, dass wieder ein Krieg passieren könne.
       
       In meinem Film habe ich die Frage gestellt, ob ein Krieg bei uns wieder
       geschehen könnte. Bei den Dreharbeiten schien vielen meine Frage weit
       hergeholt. Ich habe den Film vor Kurzem abgeschlossen. Als ich die Frage
       stellte, habe ich mich in der Sicherheit des Friedens gewähnt. Jetzt werde
       ich mit dem Krieg aus einer viel näheren Aktualität konfrontiert.
       
       Es schmerzt, wie schnell sich Themen ändern. Meine Bekannten bei dem
       Abendessen unterhielten sich darüber, wer Zivildienst gemacht hat, wer bei
       der Bundeswehr war und was das jetzt bedeuten könnte.
       
       ## Gesenkte Stimmen
       
       Ich rufe am Tag darauf die ältere Dame an, mit der ich über zwei Jahre
       gedreht habe. Eindringlich hat sie von ihren Kriegserinnerungen erzählt und
       immer wieder für Frieden appelliert. Als ich mit ihr über meine Sorgen
       spreche, wirkt sie erstaunlich gefasst: „Es ist nur gut, dass wir schon alt
       sind“, sagt sie. „Dass wir das alles nicht mehr so mitbekommen werden.“ Auf
       einmal fühle ich mich von ihr verlassen. Und was ist mit uns Jüngeren,
       frage ich in Gedanken. Was wird kommen? Was können wir tun?
       
       Seit dem 24. Februar schleichen sich in die Gespräche mit meinen Bekannten,
       Freundinnen und Freunden immer wieder Themen ein, die mit Kriegsangst zu
       tun haben und dem Versuch, sich ihr nicht hinzugeben. Es geht darum, ob und
       wie man sich [3][Vorräte anschaffen] sollte, etwa für den Fall einer
       atomaren Katastrophe. Wer einen Keller hat. Wo die nächsten Bunker sind,
       die auch vor Strahlung schützen könnten.
       
       Die Stimmen senken sich oft in diesen Gesprächen, Blicke gehen zu den
       Kindern, die spielen, aber doch zuhören und etwas mitbekommen. Nur was? Was
       bleibt bei ihnen?
       
       Von den Dreharbeiten für meinen Film habe ich noch einen Helm aus dem
       Zweiten Weltkrieg. Ich hatte ihn zurückgesandt an den, der ihn mir
       ausgeliehen hatte. Aber er ist von der Post wieder zurückgeschickt worden.
       Der Helm, der früher eine Requisite war, liegt plötzlich da wie ein
       nahbares Utensil. Ich bekomme von Bekannten Nachrichten, ob ich wüsste, wo
       man eine kugelsichere Presse-Weste herbekommt.
       
       ## Geschichte aktiv gestalten
       
       Was können wir tun? Das habe ich die Menschen in meinen Film immer wieder
       gefragt. Was können wir tun gegen einen Krieg? Wir müssten unsere
       Geschichte aufbewahren und erzählen, immer weiter, hat einer von ihnen
       gesagt.
       
       Der Nachfahre des toten Soldaten auf dem Foto ist für den Film und seine
       Geschichte extra aus den USA nach Deutschland gereist. Mich stärkt sein
       Gedanke noch heute und führt mich in die Kraft: Das Jetzt und damit unsere
       Geschichte aktiv zu gestalten, sich für das Leben zu interessieren, den
       Alltag aufrecht zu erhalten. Auch wenn er sich wie eine parallele
       Unglaublichkeit zum Weltgeschehen anfühlt. In unser Umfeld Positivität zu
       geben, scheint mir sicherer, als unsere Angst mit Vorräten zu nähren. Der
       Weltschmerz ist da. Doch jetzt sind wir die Zeuginnen und Zeugen. Jetzt
       hilft tatsächlich nur, etwas zu tun.
       
       28 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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