# taz.de -- Zwangsevakuierung aus der Ukraine: Zwischen Flucht und Verschleppung
       
       > Anfangs wollte Moskau Fluchtkorridore aus der Ukraine nur in Richtung
       > Russland und Belarus öffnen. Jetzt werden Menschen offenbar anders
       > weggebracht.
       
 (IMG) Bild: Mariupol am 24. März: Russische Panzer neben Menschen, die versuchen, die Stadt zu verlassen
       
       BERLIN taz | Zynisch, aber wahr: In der ersten Märzwoche und damit rund elf
       Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte
       Moskau als „Gegenleistung“ für seine Garantie humanitärer Korridore [1][die
       Evakuierung von Zivilist*innen nach Russland und Belarus] zur Bedingung
       gemacht. Jetzt versucht der Kreml, dieses Ziel offensichtlich anders zu
       erreichen.
       
       Nach Angaben der ukrainischen Ombudsfrau für Menschenrechte, Ljudmila
       Denissowa, vom Freitag sollen bislang 402.000 Zivilist*innen, darunter
       84.000 Kinder, gegen ihren Willen nach Russland verschleppt worden sein.
       Russische Quellen nennen ähnliche Zahlen, betonen aber, dass die Menschen
       freiwillig nach Russland hätten fahren wollen.
       
       Laut eines russischen Generals, den der Sender Radio Freies Europa zitiert,
       stammten 400.000 Zivilist*innen aus den Regionen Luhansk und Donetzk.
       In Russland würden ihnen Unterkünfte zur Verfügung gestellt und ein
       Taschengeld ausgezahlt.
       
       Dass die Menschen sich angeblich aus freien Stücken nach Russland begeben,
       stellt sich aus Sicht der Stadtverwaltung [2][in Mariupol] komplett anders
       dar. In der Hafenstadt am Asowschen Meer, die seit Wochen von russischen
       Truppen eingekesselt ist, sind bereits über 3.000 Tote zu beklagen.
       
       ## Pässe abgenommen
       
       Informationen der örtlichen Behörden zufolge, auf die sich das
       russischsprachige Nachrichtenportal Nastojaschee vremja bezieht, seien
       bereits 6.000 Menschen aus den östlichen Stadtteilen Mariupols in Busse
       gezwungen und nach Russland verbracht worden. Zuvor seien ihnen ihre
       ukrainischen Pässe sowie sonstigen Dokumente abgenommen worden. Von
       letzterer Zwangsmaßnahme seien insgesamt 15.000 Zivilist*innen
       betroffen.
       
       In Russland selbst würden die Menschen zunächst in „Filtrationslager“
       gebracht und von dort aus auf andere russische Regionen verteilt. Traurige
       Berühmtheit erlangten die sogenannten Filtrationslager zuletzt während der
       beiden Tschetschenienkriege (1994–1996 und 1999–2009). Angeblich
       sollten sie dazu dienen, „Separatisten und Terroristen“ aufzuspüren. In den
       Lagern waren schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung.
       
       Laut Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums sei ein
       entsprechendes Lager in Dokutschajewsk eingerichtet worden. Die Stadt
       befindet sich in dem Teil des Donetzker Gebiets, das prorussische Kämpfer
       kontrollieren. In dem Lager befänden sich auch Mitarbeiter des russischen
       Geheimdienstes FSB.
       
       Unterdessen hat die Kremlpartei „Einiges Russland“ in Mariupol ein Büro
       eröffnet. Das berichtet das russischsprachige Internetportal Insider.ru mit
       Sitz in der lettischen Hauptstadt Riga. Dort würden, neben der
       Parteizeitung und SIM-Karten, auch Hilfsgüter verteilt.
       
       Vor wenigen Tagen hatte die Mariupoler Stadtverwaltung die Bevölkerung vor
       einer Desinformationskamapagne der russischen Truppen gewarnt. Diese hätten
       demnach über Lautsprecher bekannt gegeben, dass die Stadt Saporischschja
       keine Geflüchteten mehr aufnehmen könne und Odessa erobert worden sei.
       Daher müssten alle nach Russland fahren.
       
       25 Mar 2022
       
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