# taz.de -- Mutmaßliche Kriegsverbrechen: Was tun. Irgendwas
       
       > Die EU und Berlin versuchen, angemessen auf die Bilder aus der Ukraine zu
       > reagieren. Ein Stopp für Energieimporte aus Russland ist umstritten.
       
 (IMG) Bild: Butscha, 3. April: ukrainische Militärhunde, im Hintergrund ein toter russischer Soldat
       
       BERLIN/BRÜSSEL taz | In einem ist man sich in Europas Hauptstädten am
       Montag weitestgehend einig: [1][Die neuesten Bilder aus der Ukraine] sind
       erschütternd. „Wir sind in Schockstarre“, sagt in Berlin der
       Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour. In Brüssel zeigt sich der
       EU-Außenbeauftragte Josep Borrell entsetzt über die Bilder von Leichen aus
       Butscha. „Wir sind solidarisch mit der Ukraine und dem ukrainischen Volk in
       diesen düsteren Stunden“, sagt er.
       
       Was daraus folgt? Die Bundesregierung orientiert sich am Abend am Beispiel
       anderer EU-Staaten und weist 40 russische Diplomat*innen aus. In
       Brüssel wird damit gerechnet, dass die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen
       in Luxemburg am Dienstag über neue Sanktionen sprechen werden. Am Mittwoch
       könnten dann die EU-Botschafter die Weichen dafür stellen. Die EU hatte
       schon in der vergangenen Woche neue Sanktionen angekündigt. Zunächst wurde
       aber nur daran gedacht, die bestehenden Strafen gegen Banken und Oligarchen
       „wasserdicht“ zu machen und noch einige Personen zur „schwarzen Liste“
       hinzuzufügen.
       
       Einzelnen EU-Mitgliedern reicht das jetzt nicht mehr. Wegen der
       [2][Verbrechen von Butscha] wird nun wieder über ein Embargo gegen Öl und
       Gas aus Russland diskutiert, das einstimmig beschlossen werden müsste. Als
       größtes Hindernis dafür gilt die deutsche Bundesregierung. Zwar stemmen
       sich auch noch Österreich und Ungarn gegen ein Energieembargo, doch wenn
       Berlin umdenken sollte, würden wohl auch Wien und Budapest folgen.
       
       Ob es dazu kommt? In Berlin schließt Bundeswirtschaftsminister Robert
       Habeck (Grüne) [3][ein sofortiges Embargo] weiterhin aus. Er peilt an, bis
       Mitte des Jahres auf russische Kohle und bis Ende des Jahres auf russisches
       Öl zu verzichten. Aber die geordnete Abkehr vom Gas aus Russland,
       Deutschlands größter Abhängigkeit, dauert länger: voraussichtlich bis 2024.
       Dass Habeck die Gazprom Germania GmbH, die in Deutschland Gasspeicher und
       -leitungen betreibt, unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur stellt,
       ändert daran erst mal nichts. Der Schritt diene, so Habeck am Montag, der
       „Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit“.
       
       ## Steinmeier räumt Fehler ein
       
       Auch andere Vertreter:innen der Ampel zögern in der Boykottfrage – vor
       allem wegen möglicher Folgen für die deutsche Wirtschaft.
       Wirtschaftsexperten warnen vor einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukt um
       bis zu 6 Prozent. Doch ist der Schutz von Arbeitsplätzen in Deutschland
       wirklich so viel wichtiger als der Schutz von Menschenleben in der Ukraine?
       In den Ampelparteien wachsen die Zweifel. Bundesverteidigungsministerin
       Christine Lambrecht (SPD) hatte am Sonntag in der ARD als Reaktion auf die
       Massaker an Zivilisten gesagt, solche Verbrechen dürfen nicht unbeantwortet
       bleiben. Auf die Frage nach einem Stopp von Gaslieferungen aus Russland,
       antwortete sie, genau das müsse im Kreise der EU-Minister besprochen
       werden. Damit ist sie die erste, die öffentlich bereit ist, zumindest neu
       nachzudenken.
       
       Die Forderung nach einem sofortigen Energieembargo sei moralisch richtig,
       so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth (SPD) gegenüber
       der taz: „Ich finde es schrecklich, dass wir täglich fast 1 Milliarde
       Dollar auf russische Staatskonten überweisen.“ Aber er halte es für
       zwingend notwendig, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kosten
       in den Blick zu nehmen. Er habe eine Exitstrategie vorgeschlagen und
       erwarte von EU und Bundesregierung, dass geprüft werde, „wie wir uns
       schnellstmöglich aus der Abhängigkeit lösen können.“ In der Frage der
       Energieabhängigkeit äußert sich seitens der SPD am Montag auch erstmals
       Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier selbstkritisch. „Mein Festhalten an
       Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler“, sagt er.
       
       Am schwersten tun sich mit der Frage des Energieboykotts wohl die Grünen,
       die lange vor der Abhängigkeit von Russland warnten, jetzt aber mit den
       Folgen umgehen müssen. Mehrheitlich stützt die Partei weiterhin den Kurs
       ihrer Regierungsmitglieder. „Wir haben unseren Gasverbrauch aus Russland
       massiv reduziert und werden es weiter fortsetzen müssen“, sagt Parteichef
       Nouripour. Aber auch er lehnt einen sofortigen Ausstieg aus, warnt vor
       einer „partiellen Deindustrialisierung“: Es sei „nicht so einfach, von
       jetzt auf sofort alles runterzufahren“.
       
       Öffentlich stellen bisher nur einzelne Grüne diesen Kurs in Frage. Der wohl
       prominenteste ist Exfraktionschef Toni Hofreiter. Deutschland müsse sich,
       „auch wenn es noch so schwierig ist, dazu durchringen, ein Energieembargo
       gegen Russland zu verhängen“, sagt er. Auch Marieluise Beck (Exabgeordnete)
       und Ralf Fücks (ehemaliger Vorsitzender der Böll-Stiftung), gerade von
       einer Reise nach Kiew zurückgekehrt, fordern am Montag konsequente
       Sanktionen.
       
       „Wir müssen jetzt die Bazooka einsetzen, um die russische Wirtschaft so
       lahmzulegen, dass die Kriegsfähigkeit des Regimes untergraben wird“, sagt
       Fücks. Wenn ein kompletter Energieboykott nicht möglich sei, seien
       zumindest Teilschritte nötig. „Ich gehe davon aus, dass zumindest ernsthaft
       geprüft wird, wie schnell sich ein Öl- und Kohleimportstopp umsetzen
       lässt“, sagt Fücks. Auch der Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer und der
       Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin fordern, beim Öl anzusetzen. Ein
       Vorteil wäre hier, dass auf dem Weltmarkt schneller als beim Gas Ersatz zu
       besorgen ist.
       
       Es gibt noch weitere Vorschläge unterhalb der Schwelle eines Boykotts:
       Sonderzölle auf russisches Gas oder Zahlungen auf ein Sperrkonto, auf das
       die russische Seite erst Zugriff erhielte, wenn der Krieg endet.
       
       Schon am Wochenende hatten die Grünen, angeführt von Parteichefin Ricarda
       Lang, zudem einen neuen Vorstoß für ein Tempolimit gewagt, um den
       Ölverbrauch zu senken. Am Ende müsste da aber auch die FDP mitmachen. Auf
       Twitter spottete FDP-Fraktionsvize Alexander Lambsdorff: „Wegen Inflation,
       wegen Ukraine, wegen Finanzkrise, wegen Migration, wegen was auch immer:
       Grüne fordern Tempolimit.“
       
       4 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /-Nachrichten-zum-Ukrainekrieg-/!5845905
 (DIR) [2] /Vorwurf-russischer-Kriegsverbrechen/!5845822
 (DIR) [3] /Bei-Energieimport-Stopp-aus-Russland/!5841675
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
 (DIR) Anna Lehmann
 (DIR) Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Russland
 (DIR) Kriegsverbrechen
 (DIR) Europäische Union
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) GNS
 (DIR) Energiequellen
 (DIR) Schlagloch
 (DIR) Krieg
 (DIR) Robert Habeck
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Energieembargo gegen Russland: Was ist mit Putins Erdgas?
       
       Die Rufe nach einem kompletten Energieembargo gegen Russland werden lauter.
       Die Folgen dieses Schrittes sind im Detail nicht zu überschauen.
       
 (DIR) Solidarität mit der Ukraine: Blau-gelbe Punkte
       
       Im Juni 1969 stoppte die Bürgeraktion Roter Punkt die Fahrpreiserhöhung für
       Busse. Sie könnte Vorbild sein für eine Bewegung der Solidarität mit Kiew.
       
 (DIR) Russisches Museum in Spanien: Die Kunst und der Krieg
       
       Es gibt Streit um das Russische Museum in Málaga. In der aktuellen
       Ausstellung „Krieg und Frieden“ sehen viele russische Propaganda.
       
 (DIR) Netzagentur übernimmt Gazprom Germania: Russisches Gas, deutsche Kontrolle
       
       Die Bundesnetzagentur bestimmt ab sofort über Gazprom Germania, das
       Tochterunternehmen des russischen Konzerns. Putin kündigt Vergeltung an.
       
 (DIR) Engagement für Ukraine-Geflüchtete: Begegnung im Rathaus
       
       In Neukölln hat die Politik erkannt, dass sie engagierte Bürger*innen
       braucht: Gastgeber*innen von Flüchtlingen bekommen Unterstützung.
       
 (DIR) EU-Sanktionen gegen Kohle: Deutschland verzichtet schneller
       
       Erstmals verhängt die EU Sanktionen gegen Energieimporte aus Russland. Das
       trifft auch Deutschland. Ökonomen erwarten Probleme.
       
 (DIR) +++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: Selenski fordert UN-Reform
       
       Präsident Selenski fordert, Russland das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu
       entziehen. Gazprom Germania verliert seinen Namen.
       
 (DIR) Wissenschafts-Kooperationen mit Russland: Auf Eis gelegt
       
       Norddeutsche Unis und Hochschulen haben ihre Zusammenarbeit mit russischen
       Institutionen eingefroren. Aber persönliche Kontakte sollen bleiben.
       
 (DIR) Russische Massaker in der Ukraine: Charakterzüge eines Völkermords
       
       Die Gräueltaten von Butscha sind eine neue Dimension im Ukrainekrieg.
       Solche nationalistischen Exzesse sind keine Ausrutscher. Sie haben System.
       
 (DIR) Künstliche Intelligenz im Krieg: Im Angesicht des Todes
       
       Das ukrainische Militär setzt Gesichtserkennung ein, um tote russische
       Soldaten zu identifizieren. Die Technik wirft seit einiger Zeit Fragen auf.