# taz.de -- Wohnraum in Schleswig-Holstein: Verdrängung aus den Küstenorten
       
       > Die Zunahme von Ferienwohnungen sorgt auf dem Wohnungsmarkt in
       > Schleswig-Holstein für Probleme. Das gilt vor allem in Ortschaften an den
       > Küsten.
       
 (IMG) Bild: Gebaut wurden sie hier in den vergangenen Jahren viel: Ferienhäuser auf Sylt
       
       HAMBURG taz | Selbst die Gemeinde Sylt will nun etwas gegen die „Sylter
       Verhältnisse“ unternehmen. In kaum einem anderen Bundesland beeinflusst der
       Tourismus die Wohnungssituation so stark wie in Schleswig-Holstein. Immer
       mehr Kommunen vor allem an der Nord- und Ostseeküste versuchen nun, die
       wachsende Zahl der Ferienwohnungen zu begrenzen, damit Wohnraum für
       Einheimische erhalten bleibt. Doch eigentlich müsste die künftige
       Landesregierung dringend tätig werden: Nicht nur Mieterverbände fordern ein
       Gesetz, um die Umwandlung zu Ferienwohnungen zu begrenzen.
       
       Es ist [1][kein neues Phänomen], dass Sylter:innen zum Wohnen aufs
       Festland ziehen, da es auf der Insel an Dauerwohnraum mangelt. Ende
       vergangenen Jahres griff die Kommunalpolitik nach langem Lavieren ein:
       Künftig wolle die Kommune in den Bebauungsplänen festschreiben, dass
       bestehender Dauerwohnraum in Zukunft nicht in eine Ferienwohnung
       umgewandelt werden kann. Vor diesem als „Sylter Verhältnisse“ bezeichneten
       Problem stehen mittlerweile viele Kommunen im Norden.
       
       Husum hatte das Instrument schon 2019 eingeführt, später folgten Lübeck und
       Scharbeutz. In den vergangenen Monaten begannen auch Orte wie Timmendorfer
       Strand und Flensburg darüber zu diskutieren. Denn das Verhältnis von
       Dauerwohnungen zu Ferienwohnungen hat in den vergangenen Jahren eine
       massive Schlagseite erhalten. So hat sich etwa im [2][Ostseeort Scharbeutz]
       die Zahl der Ferienwohnungen im vergangenen Jahrzehnt nahezu verdoppelt.
       Von den rund 7.700 Wohnungen in Scharbeutz sind mittlerweile knapp 5.000
       Wohnungen für Tourist*innen vorgesehen.
       
       Das hat zwar zu einem Boom im Tourismus geführt, doch verschärft einer der
       wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes das Problem mit dem Wohnraum. Am
       vergangenen Samstag hatte ein [3][Bündnis] mehrerer Organisationen – von
       den Gewerkschaften über Umwelt- und migrantischen Gruppen bis hin zur
       Linkspartei – zu einer Demonstration in Kiel unter dem Motto „Wohnen ist
       ein Menschenrecht“ aufgerufen.
       
       ## Schlechtes Zeugnis vom Mieterbund
       
       Neben Forderungen etwa nach einem [4][Mietendeckel] ging es den
       Demonstrierenden auch um ein Ende der Umwandlung zu Ferienwohnungen. „In
       letzter Konsequenz muss die Zweckentfremdung von Wohnraum zu dessen
       Enteignung führen“, forderten sie.
       
       Auch der Mieterbund in Schleswig-Holstein hatte dazu aufgerufen. Zuvor
       hatte er der regierenden Jamaika-Koalition eine „durchweg negative Bilanz
       der Wohnungspolitik in den vergangenen fünf Jahren“ attestiert, so der
       Landesvorsitzende Jochen Kiersch. Das Hauptproblem im Land sei der Mangel
       an Wohnungen.
       
       Der Mieterbund rechnet als Beleg für sein Urteil für das Jahr 2019 nach,
       dass den 1,47 Millionen Privathaushalten in Schleswig-Holstein 1,50
       Millionen Wohnungen gegenüberstehen. Rein rechnerisch stünde damit eine
       freie Reserve von rund 30.000 Wohnungen zur Verfügung. Doch die
       Ferienwohnungen müssen dabei noch abgezogen werden.
       
       Der Mieterbund schätzt die Zahl der Wohnungen auf rund 80.000. Das dürfte
       realistisch sein: Zwar zählt das Statistikamt Nord nur die Zahl der
       Hotelbetten, aber der Tourismusverband Schleswig-Holstein hatte kürzlich
       eine Erhebung der Bettenzahl durchgeführt. Demnach stünden Tourist:innen
       192.000 Betten in der sogenannten Parahotellerie zur Verfügung. Darunter
       fallen Ferienhäuser und -wohnungen, Apartments und Privatzimmer. Das sind
       etwa 60 Prozent der verfügbaren Betten.
       
       ## Wohnraumschutzgesetz würde helfen
       
       Ein Wohnraumschutzgesetz auf Landesebene könnte dagegen Abhilfe schaffen.
       Denn für die betroffenen Kommunen ist es aufwendig, wenn sie über eine
       Änderung jedes Bebauungsplans umständlich den Bau von Ferienwohnungen
       begrenzen wollen.
       
       Ein Landesgesetz könnte dafür sorgen, dass Kommunen dem Bau oder der
       Umwandlung zu einer Ferienwohnung zuvor immer erst zustimmen müssen – oder
       sie eben ablehnen. Auch Andreas Breitner, Direktor des Verbandes
       norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), forderte jüngst ein
       Wohnraumschutzgesetz, dass diesen Passus enthält.
       
       SPD, Grüne, Linke und SSW wollen in der kommenden Legislatur ein solches
       Gesetz einführen. In ihrem Wahlprogramm verliert die CDU kein Wort darüber,
       was sie von der Umwandlung von Dauer- zu Ferienwohnungen hält. Auch die FDP
       ist gegen ein Wohnraumschutzgesetz.
       
       30 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) André Zuschlag
       
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