# taz.de -- Gorillas-Fahrer klagen gegen Entlassung: Wilde Streiks waren illegal
       
       > Drei Berliner Fahrer des Startups klagen gegen ihre fristlose Kündigung
       > nach den Protesten im Herbst. Das Gericht gibt dem Arbeitgeber Recht.
       
 (IMG) Bild: Protest vor einem Gorillas-Lager im vergangenen Herbst
       
       BERLIN taz | Es wurde laut an diesem Mittwoch im großen Saal des Berliner
       Arbeitsgerichts, wo über [1][die fristlose Kündigung dreier Beschäftigter
       des Lieferdienstes Gorillas] verhandelt wurde. Das Start-up begründete
       deren Entlassungen mit der Teilnahme an vermeintlich illegalen Streiks im
       Oktober 2021. Im Gegensatz zu anderen derzeitigen Verfahren drehte sich die
       Verhandlung im Kern um die Frage: Sind „wilde“ Streiks illegal?
       
       Der Vorsitzende Richter der 20. Kammer wollte über dieses Thema am liebsten
       gar nicht verhandeln. „Sobald es hier irgendwelche politischen Statements
       gibt, werde ich unterbrechen“, verkündete er zu Beginn der Verhandlung.
       
       Nach gängiger Rechtsauffassung sind in Deutschland nur Streiks legal, die
       um einen Tarifvertrag geführt werden und zu denen eine große Gewerkschaft
       aufruft. Streiks, die etwa für die Durchsetzung politischer Ziele oder im
       Fall von Gorillas für so grundlegende Forderungen wie eine pünktliche und
       fehlerfreie Auszahlung von Löhnen geführt werden, gelten als illegal.
       „Damit verstößt deutsche Rechtsprechung auch nach 60 Jahren immer noch
       gegen die Europäische Sozialcharta“, bemerkte Anwalt Benedikt Hopmann, der
       die drei klagenden Gorillas-Fahrer vertritt.
       
       Die Sozialcharta würde das Recht auf Streik den Arbeitnehmern zusprechen
       und nicht als exklusives Recht einer Gewerkschaft sehen. Auch die
       Einschränkung auf Streiks für Tarifverträge stünde im Widerspruch zu dem
       seit 1965 gültigen Völkerrechtsabkommen. Deutschland wäre bereits
       wiederholt von dem zuständigen Kontrollgremium ermahnt worden, das
       Streikrecht anzupassen. Passiert sei dies bis heute nicht. Deshalb stellen
       die klagenden Beschäftigten auch das Streikrecht und nicht Formfehler der
       Kündigungen in den Mittelpunkt ihrer Argumentation.
       
       ## Nur ein politisches Verfahren?
       
       Der Richter vertiefte die Diskussion über die Vereinbarkeit des deutschen
       Streikrechts mit dem Völkerrecht in der Verhandlung nicht, sondern
       konzentrierte sich auf andere Aspekte des Kündigungsschutzgesetzes. Zudem
       warf er Anwalt Hopmann vor, das Verfahren aus rein politischen Motiven zu
       führen. Um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen würde es ihm nicht
       gehen. „Dass man den Kampf auf den Rücken derjenigen austrägt, die täglich
       hart arbeiten …“ Der Richter wird von dem zuknallenden Fenster unterbrochen
       und ein Raunen geht durch den vollen Saal. „Das ist eine krasse
       Unterstellung“, empörte sich Anwalt Hopmann.
       
       Auf dem Tisch vor der Klägerin Duygu K. lag ein Buch aus den 1930er Jahren:
       das nationalsozialistische Arbeitsordnungsgesetz, geschrieben von jenem
       Richter, der in der Bundesrepublik maßgeblich das Verbot von wilden und
       politischen Streiks durchsetzte. K. wollte vor Gericht darüber reden, wie
       sie als Migrantin in einem Teufelskreis prekärer Beschäftigung gefangen
       ist; wie die großen Gewerkschaften ihre Belange ignorierten und sie keine
       andere Wahl habe, als zu streiken, damit sie pünktlich ihre Löhne gezahlt
       bekommt, um nicht von ihren Vermietern gekündigt zu werden. Die geltende
       Rechtsauslegung würde ihnen dieses Recht nehmen. Doch der Richter ließ sie
       nicht das Wort ergreifen: „Wir sind nicht hier, damit im Gerichtssaal
       Schmähkritik geäußert wird.“
       
       Das Gericht erklärte die Kündigungen in erster Instanz für wirksam. Anwalt
       Hopmann kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. „Wir wollen
       damit auch zu einer öffentlichen Diskussion über die Bedeutung des
       Streikrechts für unsere Gesellschaft beitragen“, sagte er.
       
       6 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Lieferdienst-gegen-Betriebsraetinnen/!5838171
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simon Zamora Martin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gorillas
 (DIR) Justizpolitik
 (DIR) Wilder Streik
 (DIR) Prozess
 (DIR) Gorillas
 (DIR) Stadtland
 (DIR) Gorillas
 (DIR) Lieferdienste
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kundgebung für Lieferdienst in Mitte: Eine bedrohte Art
       
       In Mitte protestieren Anwohner*innen erst gegen, dann für ein
       Warenlager des Lieferdienstes Gorillas in ihrer Straße.
       
 (DIR) Lieferdienst gegen Betriebsrät:innen: Schneller gekündigt als gefahren
       
       Beim Kurierdienst Gorillas sollen sämtliche Angestellte eines Lagers
       entlassen werden. Darunter befinden sich auffällig viele
       Betriebsratsmitglieder.
       
 (DIR) Arbeitskampf bei Gorillas: Rider sind geliefert
       
       Der Lebensmittel-Kurierdienst Gorillas schließt einen Standort und kündigt
       87 Mitarbeiter*innen, darunter auch drei Mitglieder des Betriebsrats.
       
 (DIR) Ausbeutung bei Lieferdiensten: Uneasy Rider
       
       Fünf Monate arbeitete unsere Autorin als Fahrerin beim
       Lebensmittel-Lieferdienst Flink. Nicht nur ihr Handy ist dabei kaputt
       gegangen.