# taz.de -- Verhältnis von Aktivismus und Politik: Kennen, duzen, kritisieren
       
       > Plötzlich sitzen in der Regierung die alten Mitstreiter*innen der
       > Umweltbewegung. Hilft das NGOs, Gehör für ihre Anliegen zu finden?
       
 (IMG) Bild: Direkter Draht zur Bundesregierung? Nicht wirklich und kritisiert wird, wenn nötig, weiterhin
       
       BERLIN taz | Hat Greenpeace jetzt einen direkten Draht in die
       Bundesregierung? Nein, sagt Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace
       Deutschland, „auch wenn es interessant ist zu sehen, dass Leute, die du gut
       kennst, vor der Bundesfahne stehen und plötzlich das Land repräsentieren“.
       Aber mit seiner [1][ehemaligen Chefin Jennifer Morgan] „hatte ich seit
       ihrem Amtsantritt noch keinen Kontakt“, sagt Kaiser. „Für alle Seiten ist
       klar, dass sie einen Rollenwechsel vollzogen hat und nicht mehr
       NGO-Vertreterin ist.“ Eine solche klare Trennung gehe immer schnell bei
       ihnen, wenn jemand bei der Umweltschutzorganisation kündigt, um woanders zu
       arbeiten.
       
       Vor allem mit der Regierungsbeteiligung der Grünen sind Menschen in
       Staatsämter gekommen, die ihre Wurzeln in der Umweltbewegung haben. Man
       kennt sich, man duzt sich, man hat die privaten Handynummern und ist
       teilweise befreundet. Aber einen direkten Zugang in die Regierung sehen die
       meisten Umweltverbände deshalb noch lange nicht – oder sagen es zumindest
       nicht offen.
       
       „Natürlich sind unsere Themen anschlussfähiger und die andere Seite weiß,
       worüber wir reden, wenn um Klimaschutz, Naturschut oder Nachhaltigkeit
       geht“, sagt Martin Kaiser. Er gesteht auch zu, dass der Ausbau der
       Erneuerbaren dem entspricht, was Greenpeace fordert. Aber schon beim
       Energiesparen und beim Naturschutz etwa bei Offshore-Windkraft gibt es
       Kritik. Und die Regierung sollte viel schneller aus russischem Öl und Gas
       aussteigen als geplant, fordern die Umweltschützer. Wenig getan habe sich
       auch beim Zugang zum Kanzleramt, „das ja in vielen Dingen entscheidend
       ist“, sagt Kaiser. „Da hat sich gegenüber Merkel bisher nicht viel
       verändert.“
       
       Auch Sascha Müller-Kraenner weist die Idee zurück, dass in der Regierung
       nun „lauter NGO-Leute“ seien. „Im Gegenteil: Jennifer Morgan ist die große
       Ausnahme“, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Vor
       allem in den von den Grünen geführten Minsterien für Wirtschaft, Umwelt,
       Landwirtschaft und Außenpolitik seien die vielen neuen Stellen mit Leuten
       aus der Partei oder aus den bisherigen Ministerien vergeben worden, sagt
       Müller-Kraenner. „Ich bedauere, dass die Grünen für ihre Ministerien nicht
       mehr auf den Sachverstand der Zivilgesellschaft zurückgreifen.“ Zwar habe
       die grüne Parteizentrale im Herbst Listen erstellt, welche Personen auch
       aus Umweltgruppen für Posten in Frage kämen – aber kaum jemand sei dann zum
       Zuge gekommen.
       
       ## Beißhemmung gegenüber den Grünen?
       
       „Teilweise sind unsere Zugänge in die Minsterien besser geworden“, gesteht
       der DUH-Manager zu. Bei Landwirtschaft und Verkehr etwa habe es vorher
       praktisch kaum Kontakte gegeben, „da wird jetzt eher eine normale
       Gesprächsebene hergestellt“. Mit dem Umweltministerium seien die Kontakte
       gut, mit Wirtschaft gemischt: Ernsthafte Gespräche etwa beim Ausbau der
       Erneuerbaren, wenig Rückhall bei Gebäudeeffizienz oder umstrittenen
       Gas-Terminals. „Es gibt eher den Eindruck, das muss alles schnell
       entschieden werden und Verbände seien da hinderlich.“
       
       Auch Kai Niebert, Präsident des Dachverbands Deutscher Naturschutzring, hat
       die Erfahrung gemacht, dass die Zugänge der Umweltverbände sich seit dem
       Regierungswechsel verbessert haben. Während Verkehrsminister Andreas
       Scheuer (CSU) kein einziges Gespräch mit Umweltverbänden führte, habe es
       mit Nachfolger Volker Wissing (FDP) bereits ein Treffen gegeben, das mit
       über drei Stunden zudem deutlich länger dauerte als geplant.
       
       „Und mit dem Wirtschaftsministerium hatte ich jetzt schon mehr Kontakte als
       während der gesamten Kohlekomission“, berichtet Niebert. Allerdings
       schränkt er ein: „Dass mehr kommuniziert wird, bedeutet nicht in allen
       Fällen, dass wir auch mehr Einfluss haben.“ Oft stelle die Regierung auch
       nur ihr Pläne vor und ziehe diese dann durch, ohne dabei auf Einwände
       einzugehen.
       
       Zweischneidig fällt auch die Bilanz der [2][Klimaktivistin Lusia Neubauer]
       aus. „Die Regierung ist einerseits offener für unsere Forderungen,
       verbreitet aber andererseits auch regelmäßig den Eindruck beleidigt zu
       sein, wenn man sie kritisiert“, sagt die bekannteste Vertreterin der
       deutschen Fridays-for-Future-Bewegung. Gerade bei den Grünen frage sie
       sich, ob diese die veränderte Rollenverteilung verstanden haben, sagt
       Neubauer. „Vielleicht sehen sie sich selbst weiterhin als Teil der Bewegung
       und erwarten, dass wir ihnen auf den Rücken klopfen, weil sie doch alles
       tun, was in ihren Augen möglich ist.“ Das sei aber nicht die Aufgabe der
       Klimabewegung. Diese müsse darauf drängen, „dass möglich gemacht wird, was
       nötig ist“, sagt die FFF-Aktivistin – und fordert: „Bei bestimmten Fragen
       können keine Kompromisse gemacht werden.“
       
       Auch die Umweltverbände wollen von einer Beißhemmung gegenüber den Grünen
       nicht wissen: „Wir benennen klar, wer in der Regierung wofür verantwortlich
       ist“, sagt Müller-Kraenner, etwa die FDP für die Verhinderung des
       Tempolimits. Aber insgesamt trügen auch die Grünen die Ampel-Entscheidungen
       eben mit. Er vermisst eine „Zeitenwende“ durch den Ukraine-Krieg auch in
       diesen Fragen. Wenn gegen den Koalitionsvertrag Waffen geliefert werden,
       dürfe auch ein Tempolimit nicht mehr sakrosankt sein. „Solche Ideen könnten
       sicher Leute besser in die Regierung einbringen, die nicht 20 Jahre lang
       Pateikarriere gemacht haben.“
       
       30 Apr 2022
       
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