# taz.de -- Bürgerrat Forschung legt Ergebnisse vor: Begrenzte Transparenz
       
       > Der Bürgerrat sollte erarbeiten, wie die Öffentlichkeit an
       > Forschungsentscheidungen beteiligt werden kann. Nur die Kommunikation
       > klappt nicht.
       
 (IMG) Bild: Eine Auswahl wurden von Experten fachlich gebrieft – von November 2021 bis März 2022
       
       BERLIN taz | „Forschung heißt für mich Beschreiten neuer Wege“, sagt ein
       Mitglied des Bürgerrats Forschung. „Man kann auch mal stolpern, aber am
       Ende lernt man daraus.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
       (BMBF), das den Bürgerrat initiiert und für ein halbes Jahr finanziert
       hatte, ist mit diesem Ansatz der gesellschaftlichen Beteiligung in der Tat
       ins Stolpern geraten. Ob die ministerielle Lernkurve aber tatsächlich
       folgt, darf indes eher bezweifelt werden.
       
       Begründung: Das Haus von [1][FDP-Ministerin Bettina Stark-Watzinger] – das
       aktuell durch den plötzlichen Abschied von Innovations-Staatssekretär
       Thomas Sattelberger in der vorigen Woche auch inhaltlich-konzeptionell ins
       Trudeln geraten ist – befindet sich auf einer Art von kommunikativer
       Geisterfahrt, die Öffentlichkeit ist weitgehend durch deren Simulation
       ersetzt worden. Im Falle des partizipativen Bürgerrates wurden sogar die
       Schotten komplett dicht gemacht, indem eine Partizipation der Presse nicht
       zugelassen wurde.
       
       Zunächst zum Anlass. [2][Bürgerräte] sind für Politiker in Zeiten des
       Wählerschwundes und offener Demokratiegegnerschaft in Teilen der
       Bevölkerung aktuell der „heiße Scheiß“, um die Kontakte zum Souverän
       aufrechtzuerhalten. Fast jede staatliche Instanz, vom Hohen Haus des
       Deutschen Bundestages bis zur abgehängten Kreisstadt, lädt die Bürger in
       von ihr geschaffene Formate der Beteiligung ein, wo es neben Dampfablassen
       vor allem um Mitgestaltung von politischen Prozessen gehen soll.
       
       „Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des
       Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen“, heißt es in der
       Koalitionsvereinbarung der Ampelregierung. „Wir werden Bürgerräte zu
       konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren“.
       
       Jedes Mal sichern die Verwaltungen zu, dass die gemachten Vorschläge auch
       praktisch umgesetzt würden – was wissenschaftlich aber noch ein weißer
       Fleck ist. Aus der Partizipationsforschung ist keine Studie bekannt, die
       eine reale Wirkung, einen „Impact“ von Bürgerräten auf die Politik
       empirisch belegt.
       
       ## Bildung bleibt außen vor
       
       Im BMBF war es so, dass unter der vormaligen CDU-Ministerin Anja Karliczek,
       die einen persönlichen Schwerpunkt auf die Förderung der
       Wissenschaftskommunikation legte, auch eine „Partizipationsstrategie“
       erarbeitet wurde, die allerdings wenig Beachtung fand. Früchte davon waren
       unter anderem das derzeit laufende [3][„Wissenschaftsjahr“ des Ministeriums
       zum Thema Partizipation] und die Einrichtung des Bürgerrates –
       erstaunlicherweise aber nur zum Teilthema „Forschung“, ohne Bildung.
       
       Von der unabhängigen „Montag Stiftung Denkwerkstatt“ wurde mit
       Unterstützung der Kommunen als die häufigsten Schulträger der „Bürgerrat
       Bildung und Lernen“ ins Leben gerufen. Das Gremium mit 500 Beteiligten
       übergab in der vorigen Woche seine „50 Vorschläge zur Verbesserung des
       deutschen Bildungssystems“ an Bundestags-Vizepräsidentin Aydan Özoğuz. Das
       fachlich zuständige Bundesministerium blieb außen vor.
       
       Für den Bürgerrat Forschung ließ das BMBF von zwei Fachagenturen (ifok GmbH
       und nexus GmbH) 47 Teilnehmer repräsentativ für die deutsche Bevölkerung
       auswählen – aber nicht ganz. „Personen mit nichtakademischem Bildungsstand
       waren im Bürgerrat Forschung unterrepräsentiert“, vermerkt der
       Schlussbericht. „Dabei handelt es sich um ein bekanntes Problem bei
       Bürgerbeteiligungsformaten.“
       
       Die inhaltliche Zielvorgabe lautete: „Künftige Beteiligungsprozesse im
       Bereich Forschung für und mit Bürger:innen noch attraktiver und
       bürger:innenfreundlicher zu gestalten“. In sechs Runden kamen die
       Forschungslaien seit November 2021 überwiegend virtuell in Zoom-Konferenzen
       zusammen und wurden von 24 Wissenschaftlern fachlich gebrieft. Jeder
       Beteiligte sollte dem Bürgerrat Forschung mindestens 40 Stunden Zeit
       widmen. Das letzte Arbeitstreffen war im März 2022 in Berlin.
       
       Die Vorstellung der Ergebnisse fand in geschlossener Veranstaltung am 19.
       Mai auf den EUREF-Energiecampus in Berlin-Schöneberg statt. Den gesamten
       Prozess ließ sich das BMBF nach eigenen Angaben „insgesamt rund 550.000
       Euro“ kosten.
       
       Das [4][Bürgergutachten mit seinen 25 Empfehlungen] wurde vom Leiter der
       Grundsatzabteilung im BMBF, Roland Philippi, entgegengenommen. Die
       Ministerin oder einer der vier Staatssekretäre hatten keine Zeit dafür.
       Philippi würdigte die „Schwarmintelligenz der Vielen“ und sagte zu, die
       Vorschläge in die Fortschreibung der Partizipationsstrategie bis Januar
       2023 einzuarbeiten.
       
       Die Empfehlungen in drei Handlungsfeldern („Verankerung, Unterstützung,
       Einfluss und Rechte“) richten sich nur auf die Organisation von Forschungs-
       und Beteiligungsprozessen. Forschungsinhalte – was spannend gewesen wäre –
       kommen nicht zur Sprache. Selbstverständlichkeiten werden recycelt, zum
       Beispiel Empfehlung 19: „Wir empfehlen die feste Verankerung von
       Beteiligung in Forschung, Forschungspolitik und Gesellschaft. Die
       Ergebnisse der Bürgerbeteiligung sollen in politische und wissenschaftliche
       Prozesse eingebunden werden. Die Bürger:innen sollen als
       Alltagsexpert:innen angehört und ernst genommen werden“.
       
       Alle Empfehlungen wurden in der Gruppe zur Abstimmung gestellt. Drei Voten
       erhielten die geringste Quote von 83 Prozent Zustimmung. Darunter der
       Vorschlag Nummer 24: „Wir empfehlen, dass erarbeitete Daten des
       Beteiligungsprozesses öffentlich zugänglich sein sollten, sofern kein
       Widerspruch der Beteiligten vorliegt. Wenn möglich, sollten
       Forschungsergebnisse weitestgehend kostenlos und zusätzlich in allgemein
       verständlicher Sprache verfügbar sein und öffentlich weiterverwertet werden
       können“. Die geringe Transparenzbereitschaft verwundert.
       
       ## Gemeinsamen Gremium
       
       Die forschungspolitische Dynamitstange ist in Empfehlung 2 verpackt: „Wir
       empfehlen ein Gremium aus Politik, Wissenschaft und Bürger:innen, um
       bedarfsorientiert die Agenda im Bereich der angewandten Forschung
       festzulegen. Ziel ist eine stärkere mitwirkende Rolle der Bürger:innen
       im Bereich der Förderung angewandter Forschung“. Zur Sicherung der
       Wissenschaftsfreiheit sollte zwar die Wissenschaft dort „in jedem Fall die
       Mehrheit bilden“. Aber die Bürger:innen könnten in diesem Gremium „ihre
       Sicht der gesellschaftlichen Relevanz und des Gemeinwohls einbringen“. Eine
       solche Partizipation war im letzten Hightech-Forum des BMBF jedenfalls
       nicht willkommen.
       
       Auch wenn der Bürgerrat fordert, (Votum 16 mit 89 Prozent) „dass die
       Attraktivität von Bürgerbeteiligung durch die Nutzung von Medien, auch
       digitalen Medien, unterstützt wird“ – das Ministerium war nicht bereit, die
       Presse zur Vorstellung und dem Gespräch mit dem Bürgerrat einzuladen.
       
       Warum diese Geheimhaltung? Das BMBF gab der taz diese Begründung. „Aufgrund
       der derzeitigen Terminlage war die Teilnahme einer Vertreterin des
       Leitungsstabs nicht möglich. Diese ist in der Regel Voraussetzung für einen
       Pressetermin. Wir haben uns deshalb gegen eine Teilnahme der Presse
       entschieden.“
       
       ## Presse wird nicht informiert
       
       Interessierte Journalisten, wie von der taz, wurden nicht zugelassen. Das
       ist eine Beeinträchtigung von Pressefreiheit, die jeden liberalen Politiker
       auf den Plan rufen müsste. Im Hause Stark-Watzinger gab es nicht mal ein
       terminlich abgekoppeltes Pressegespräch mit dem Bürgerrat, ob mit oder ohne
       Ministerialebene. Bis heute ist auch keine Presseerklärung zu den
       Ergebnissen des Bürgergutachtens herausgegeben worden.
       
       Öffnung für Beteiligung der Bürger bei Heraushaltung der Presse – im
       deutschen Wissenschaftsministerium ist eine ungute Kommunikationslage
       entstanden. Das hat nicht nur mit handwerklichen Schwächen der
       BMBF-Kommunikation zu tun. Man stelle sich das Medienecho vor, würde sich
       Wirtschaftsminister Habeck auf die Reise zum Grünen Wasserstoff in
       Australien machen. Der aktuelle Trip von Stark-Watzinger dorthin ist ein
       mediales Non-Event.
       
       Noch gravierender ist die schleichende Nicht-Partizipation des
       Wissenschaftsjournalismus an den Abläufen der Wissenschaftspolitik. Was
       nicht nur staatliche Instanzen, sondern auch immer mehr
       Wissenschaftsorganisationen betrifft. Es wird Zeit für einen „Presserat
       Forschung und Bildung“.
       
       29 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Die-neue-Innovationsagentur-des-Bundes/!5841289
 (DIR) [2] /Globales-Beteiligungsprojekt/!5801615
 (DIR) [3] /MS-Wissenschaft-auf-Deutschland-Tour/!5849155
 (DIR) [4] https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2022/220519-empfehlungen-des-buergerrats-forschung.pdf?__blob=publicationFile&v=2
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
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