# taz.de -- Chancengleichheit bei Kindern: Du kannst nicht alles werden
       
       > Erwachsene erzählen Kindern gern, dass sie alles sein können. Doch
       > vielleicht ist das nur die Basis, um später unglücklich zu sein.
       
 (IMG) Bild: Es könnten auch nicht alle weißen, obere Mittelschichtkinder aus harmonischen Haushalten Astronaut*in werden
       
       Vor Kurzem war ich im Buchladen und wollte etwas für den Vierjährigen
       kaufen. Irgendwas mit Dinosauriern. Ich weiß nicht, wie wir da gelandet
       sind. Er kann komplizierte Dinosauriernamen aussprechen, weiß über das
       Brutverhalten der Maiasaura Bescheid und über das Fischverhalten des
       Spinosaurus. Aber wenn ich ihn frage, ob ich ihm zeigen soll, wie man
       Schuhe bindet, sieht er mir dreieinhalb Sekunden zu, macht 28 Knoten und
       sagt dann, das sei langweilig.
       
       Manchmal ärgere ich ihn ein wenig und sage, dass keiner weiß, wie die Dinos
       ausgesehen haben. Vielleicht waren sie pink, mit grünen Sternchen? Oder
       gestreift wie ein Zebra? Dann [1][lacht er sich kugelig oder sagt mir
       bitterernst], dass ich einfach keine Ahnung habe. Mir soll es recht sein,
       Dinosaurier sind besser als dieser ganze Polizei-, Laserschwert- und
       Ritterschmarren. Irgendwann hat man sowieso kaum noch Einfluss darauf, was
       die Kinder gut finden. Der Zug ist bei uns eigentlich schon abgefahren, ich
       hänge da noch so bisschen außen an einem Türgriff und schreie: „Nein,
       stopp, anhalten!“
       
       In diesem Buchladen fällt mir also ein Buch in die Hände, in dem es darum
       geht, dass Kinder alles sein können. Ich hab es wieder weggestellt. Nur hat
       mich dieses Buch länger beschäftigt: Ist es wirklich gut, Kindern so was zu
       erzählen? Kann man alles sein? Die Antwort ist vor [2][allem für Schwarze
       Kinder, Kinder of Color, für Kinder aus finanziell schwachen Haushalten,
       für Kinder, die mit psychischer oder physischer Gewalt aufwachsen] oft:
       Nein. Nicht alle haben die gleichen Chancen. Nicht allen Kindern wird die
       gleiche Unterstützung und Liebe zuteil. Das sollte uns alle sehr wütend
       machen. Aber anstatt wütend zu sein, kuscheln viele Eltern sich an einen
       Gedanken von Gleichheit, der vor allem ihre eigenen Kinder meint.
       
       Dabei stimmt das noch nicht mal für ihre Kinder. Es könnten auch [3][nicht
       alle weißen, obere Mittelschichtkinder] aus harmonischen Haushalten
       Astronaut*in werden, egal was dieses Buch sagt. Vielleicht ist es also
       wichtig, seinen Kindern nicht wie ein Life-Coach Kalendersprüche
       runterzubeten. Vielleicht müssen sie gar nicht nach den Sternen greifen;
       müssen nicht höher, schneller, weiter. Vielleicht ist es wichtiger, ihnen
       beizubringen, in sich hineinzuhören und selbst herauszufinden, was ihnen
       Freude macht. Und vielleicht ist es eher die Aufgabe von Eltern, sie dann
       durch Erfolge und Enttäuschungen zu begleiten, die da kommen werden.
       
       Letztens sollten wir für den Vierjährigen ein Freundschaftsbuch ausfüllen.
       Was er mal werden wollte, stand da. „Wissenschaftler“, sagte er. Dann
       zögerte er. Beim Abendessen sagte er: „Mama, ich weiß nicht, was ich mal
       werden will.“ Und noch bevor ich antworten konnte, dass er das gar nicht
       wissen muss, legte er nach: „Was ist denn am einfachsten?“ Und ich weiß
       nicht, ob ich schon mal so stolz war.
       
       7 Jun 2022
       
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