# taz.de -- Bundesparteitag der Linken: Schiffbruch in Abwesenheit
       
       > Der Parteitag geriet für das Wagenknecht-Lager zum Fiasko. Seine
       > Perspektive in der Partei ist unklar. Ein Problem ist das auch für
       > Dietmar Batsch.
       
 (IMG) Bild: Bartsch auf dem Parteitag: Sein Machtbündnis mit Wagenknecht macht ihm zunehmend Probleme
       
       ERFURT taz | Der erste Moment des Parteitags ist fast der entscheidende.
       Nach einer ganzen Reihe von Wahldebakeln galt Parteichefin Janine Wissler
       als schwer angeschlagen. Sahra Wagenknecht forderte unverhohlen ihre
       Abwahl. Die niedersächsische Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek hat
       ihre Gegenkandidatur erklärt.
       
       Und dann [1][hält Wissler die vielleicht beste Rede ihrer Karriere]. Rund
       vierzig Minuten spricht sie am Freitag zur Eröffnung des dreitägigen Events
       in der Thüringer Landeshauptstadt. Es ist eine selbstkritische, aber auch
       kämpferische Rede. „Es kommt darauf an, sie zu verändern, ist das Motto
       dieses Parteitags“, ruft sie in den Saal. „Das gilt für die Welt und auch
       für uns als Linke.“
       
       Die 41-jährige Hessin, sonst stets angriffslustig, wirkt zu Beginn etwas
       nervös, fängt sich aber. Ihre Reden wirken manchmal metallisch. Das
       Unsichere macht diese 40-Minuten-Rede zu etwas Besonderem. Der Applaus am
       Ende ist überwältigend. Wissler wankte, aber sie fällt nicht. So will sich
       wahrscheinlich auch die Linkspartei sehen, die in der tiefsten Krise seit
       ihrer Gründung vor 15 Jahren steckt.
       
       [2][Wissler gewinnt am Samstag mit 319 gegen 199 Stimmen für ihre
       Herausforderin Reichinnek]. Die Bewegungslinke wird fortan mit dem aus dem
       Osten stammenden [3][Pragmatiker Martin Schirdewan die Partei führen]. Der
       46-jährige Europapolitiker setzt sich mit 341 gegen 176 Stimmen noch
       deutlicher gegen den Leipziger Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann durch.
       
       Mit dem Votum für Wissler und Schirdewan bestätigen die rund 570
       Delegierten den zentristischen Kurs der Parteiführung. Es ist eine herbe
       Niederlage für die Bundestagsfraktionsspitze Amira Mohamed Ali und Dietmar
       Bartsch, aber vor allem für Wagenknecht, die auf das andere Duo gesetzt
       hatten, um eine ihr genehme Parteiführung zu installieren.
       
       ## Fiasko für Wagenknecht
       
       Für das überschaubar gewordene Wagenknecht-Lager war der Parteitag ein
       Fiasko, sowohl personell als auch inhaltlich erlitt es schweren
       Schiffbruch. Unklar ist, ob es noch eine Perspektive für sich in der Linken
       sieht. Allerdings dürfte auch der Reformer Bartsch einigen Grund zum
       Nachdenken haben. Sein rein machttaktisch begründetes Bündnis mit den
       Wagenknechtianer:innen bringt ihn zunehmend in eine problematische
       Situation.
       
       Früher gab es bei Linksparteitagen immer den Gysi-Moment. Meist hatte es
       vorher Stress, Frustration, Rangeleien, West gegen Ost, Fundis gegen
       Reformer:innen gegeben. Dann kam Gysi, der ein untrügliches Gespür
       hatte, welche Knöpfe zu drücken waren, um wieder Feelgood-Stimmung zu
       erzeugen. Nicht, indem der Streit verschwiegen, sondern indem er direkt
       angesprochen und in luftiger Heiterkeit aufgelöst wurde.
       
       „Entweder wir retten die Partei oder wir versinken in Bedeutungslosigkeit“,
       sagt Gysi nun in Erfurt. Die Partei müsse „das Klima der Denunziation
       überwinden“. Und der 74-jährige Ex-Fraktionsvorsitzende fordert: „Hört auf
       mit dem ganzen kleinkarierten Mist in unserer Partei.“ Aber sein Appell
       schafft diesmal nicht die große Gemeinsamkeit. Denn er beginnt seine Rede
       mit ein paar, nun ja, kritischen Bemerkungen über das Gendern. Es wirkt aus
       der Zeit gefallen.
       
       Zwei Genoss:innen vom Jugendverband Solid bringt das auf die Palme. Eine
       Unverschämtheit, poltert einer. Ob Gregor die Sexismusdebatte am Abend
       zuvor überhaupt mitbekommen habe, eine andere. Die Partei hat sich
       verändert, ist jünger und „woker“ geworden. Und Gysi, vielleicht die letzte
       große Integrationsfigur der Partei, ist weit weg von dem, was vor allem
       jüngere Genoss:innen umtreibt.
       
       Die Debatte um #Linkemetoo war ein zentraler Programmpunkt des Parteitags
       am Freitag. Verglichen mit den Schlammschlachten in sozialen Medien zuvor
       verlief die Debatte zivilisierter als befürchtet. Wissler hatte sich in
       ihrer Rede angemessen zerknirscht über mangelhafte Aufarbeitung sexueller
       Übergriffe in ihrem Landesverband Hessen gezeigt. Das trug zur Beruhigung
       bei.
       
       ## Streit um Ukrainekrieg
       
       Im Zentrum am Samstag stand die [4][Haltung zum russischen Angriffskrieg
       auf die Ukraine]. Wissler und der Parteivorstand hatten im Leitantrag die
       Linie vorgegeben. Man verurteilt Putins Krieg mit scharfen Worten als
       „imperialistische Politik“. Versichert, dass man solidarisch an der Seite
       der Ukraine steht, ist aber gegen jede Waffenlieferung an Kiew. Es müsse
       „nichtmilitärische Möglichkeiten“ geben. Die Sanktionen sollen „die
       ökonomische Machtbasis des Systems Putin“ und den militärisch-industriellen
       Komplex treffen.
       
       Der Streit drehte sich in erster Linie darum, ob das Russland gegenüber
       nicht zu scharf sei. Sahra Wagenknecht und Sevim Dağdelen, die beide in
       Erfurt durch Abwesenheit glänzten, hatten versucht, die Mitverantwortung
       der Nato an dem russischen Überfall zu betonen. Ihren Änderungsantrag
       lehnte der Parteitag mit übergroßer Mehrheit ab.
       
       Auf der anderen Seite gab es aber auch Stimmen, die für einen
       selbstkritischeren Kurs warben. Wulf Gallert aus Sachsen-Anhalt merkte an,
       dass die Linke den russischen Imperialismus vor dem 24. Februar nicht
       gesehen habe – weil sie ihn, anders als bei den USA, nicht habe wahrhaben
       wollen. Gallerts Kandidatur als Vizeparteichef scheiterte, aber die Wahl in
       den Vorstand schaffte er problemlos.
       
       Noch was? Deutschland soll 2035 klimaneutral sein. Nur so könne „die
       Klimakatastrophe doch noch abgewendet werden“. Der Antrag, dieses Ziel zu
       streichen, wurde abgelehnt. Zudem fordert die Linkspartei ein
       Investitionsprogramm von 20 Milliarden Euro jährlich, damit die
       Energiewende schneller vorankommt.
       
       26 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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