# taz.de -- Ehemaliger Knast als Lernort: Wo die „Rowdys“ landeten
       
       > In der Berliner Keibelstraße dient eine DDR-Untersuchungshaftanstalt
       > heute als Lernort. Schulklassen können hier in engen Zellen viel lernen.
       
 (IMG) Bild: Lernort Knast
       
       BERLIN taz | Zuerst muss man durch die langen Gänge der Senatsverwaltung
       für Bildung, Jugend und Familie. Das Gebäude am Alexanderplatz gehörte mal
       ganz früher zu Karstadt, dann den Nazis und diente zu DDR-Zeiten als
       Präsidium der Volkspolizei. „Die Fliesen hier sind noch dieselben wie
       damals“, sagt Birgit Marzinka und führt mich durch ein Büro, dann durch
       eine Art Klassenzimmer. Sie öffnet eine schwere graue Tür. Und dann stehen
       wir mitten in einem leerstehenden Gefängnis. Blicken von unten an den
       Galerien der Hafthalle hoch, wo vor Jahrzehnten noch die Wächter
       patrouillierten.
       
       ## Vom Knast zum Lernort
       
       Die Türen zu den Zellen stehen heute offen, noch bis vor etwa dreißig
       Jahren waren sie fest verschlossen. 131 Stück, höchstens neun Quadratmeter,
       die sich oft zwei Häftlinge teilen mussten. Die achtstöckige
       Gefängnisgalerie diente zu DDR-Zeiten als Untersuchungshaftanstalt – die
       UHA Keibelstraße. Das Besondere: Es war die einzige UHA in Ost-Berlin, in
       der auch Frauen inhaftiert waren.
       
       Von einer Seite aus kann man durch die Fenstergitter den Fernsehturm sehen.
       Ansonsten sind da massive Türen, Betonplatten, Neonröhrenbeleuchtung. Wie
       man sich eben einen Knast vorstellt. Wie im Film. Nach der Wende wurde der
       Ort erst mal als Filmkulisse benutzt, erfahre ich. Für den Actionstreifen
       „Half Past Dead“ zum Beispiel und auch für einen Ausschnitt aus [1][„Das
       Leben der Anderen“]. Deswegen stimme die Wandfarbe nicht mehr, die sei
       eigentlich grünlich gewesen, nicht grau. „Man wollte ja Suizide vermeiden“,
       sagt Marzinka. Sie ist die Leiterin des [2][„Lernortes Keibelstraße“]. Denn
       als das dient die ehemalige Haftanstalt seit Februar 2019 nun: als Lernort.
       
       Wie die Haftbedingungen denn gewesen seien, will ich wissen. Wie in
       Hohenschönhausen? Und stelle direkt die richtige oder – wie man’s nimmt –
       die falsche Frage. „Das hier war kein Stasi-Gefängnis“, erklärt Marzinka.
       Ich scheine nicht die Erste zu sein, die so fragt. Das sei wichtig zu
       unterscheiden. Diese Haftanstalt gehörte zum Ministerium des Innern. Hier
       wurden Menschen festgehalten, die als kriminell galten und auf ihr Urteil
       warteten. Im Schnitt um die drei Monate. Dem Lernort geht es vor allem um
       die Straftaten, die in der DDR – zusätzlich zu Mord, Diebstahl und
       Ähnlichem – zur Haft führen: „Rowdytum“, Arbeitsverweigerung,
       „Republikflucht“. Hier zeige sich der Systemunterschied zum Westen, erklärt
       Marzinka.
       
       Und darüber können sich die Schüler:innen von der vierten Klasse bis zur
       Oberstufe, die die Haftanstalt besuchen, in Lernwerkstätten informieren.
       Die Zellen sind gleichzeitig Lern- und Ausstellungsräume. Es gibt
       Bildschirme, auf denen man sich Interviews mit Gefangenen und mit
       DDR-Staatsanwälten anhören kann. In anderen Zellen liegen Gefangenenakten
       aus.
       
       ## Das Ziel: Reflexion zur Haft
       
       Ich stelle mir das schwierig vor: Viertklässler:innen diesen Ort zu
       erklären. „Kinder lernen schon sehr früh, was ein Gefängnis ist“, sagt
       Marzinka. Hier reinzukommen und erst mal nur die Galerie, die Zellen zu
       sehen, sei allein schon sehr eindrucksvoll. Ich kann nicht widersprechen.
       „Von unserer Seite ist vor allem der Wunsch zur Reflexion da“, meint sie
       weiter. Dass Haft echt nicht cool sei und man dennoch – in bestimmten
       Systemen – in eine Haftsituation sogar hineinrutschen könne.
       
       Ich selbst fühle mich hier drin etwas wie eine Teenagerin, die an coole
       Knastfilme denken muss. „Gelang hier auch mal jemanden die Flucht?“, frage
       ich unüberlegt. „Es gab einen einzigen Fluchtversuch“, sagt Marzinka. Aber
       dass das in der DDR sowieso Unsinn war, „man kam ja aus dem Land nicht
       raus“.
       
       Drei Dinge lerne ich am Lernort: Eine Gefängnisgalerie in echt zu sehen,
       ist schon faszinierend. Im Westen gab es mehr Geld-, in der DDR mehr
       Freiheitsstrafen. Die Untersuchungshaftanstalten waren sich dabei sehr
       ähnlich, die Strafbestände nicht. Und noch etwas: Das alles im Knast selbst
       zu lernen, ist ziemlich eindrucksvoll.
       
       8 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] http://www.keibelstrasse.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ruth Lang Fuentes
       
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