# taz.de -- Rassismus im Schulbuch: Ausgeprägte autoritäre Pädagogik
       
       > Nach einem rassistischen Vorfall an einer Offenbacher Schule reichte der
       > Erziehungswissenschaftler Ortmeyer Beschwerde gegen den Schulleiter ein.
       
 (IMG) Bild: Washington, D. C., 28. August 1963: An diesem Tag hielt Martin Luther King seine berühmte Rede
       
       FRANKFURT AM MAIN taz | Es sind deutliche Worte, die der prominente
       Frankfurter Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer in seiner
       Dienstaufsichtsbeschwerde ans Land Hessen wählt: „Die Äußerungen des
       Schulleiters sind nach meiner Meinung weder aus
       erziehungswissenschaftlicher noch aus pädagogischer Sicht mit dem
       Kerngehalt des Schulgesetzes zu vereinbaren“, schreibt Ortmeyer dem
       Kultusministerium. Gerichtet ist die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den
       Schulleiter der Theodor-Heuss-Schule in Offenbach am Main, Horst S. Das
       Schreiben liegt der taz vor.
       
       Was ist passiert? Anfang des Jahres kommt es in Offenbach an der
       Theodor-Heuss-Schule zu einem Rassismus-Eklat. Die damals 17-jährige
       Schülerin Martha* (Name von der Redaktion geändert) soll vorlesen aus
       Martin Luther Kings Rede „I have a dream“ in einer Ethik-Stunde. In der
       veralteten Übersetzung taucht auch das rassistische N-Wort auf. In neueren
       Fassungen wird der belastete Begriff aus der Kolonialzeit durch das Wort
       Schwarz ersetzt.
       
       Martha will das N-Wort nicht aussprechen, sie überspringt es. Als sich die
       Lehrerin daran stört, muss ein anderer Schüler den Text mit dem Wort
       vorlesen.
       
       Martha empört sich, wie mit dem Thema umgegangen wird. Sie wendet sich an
       eine befreundete Mitschülerin, die als Schwarze selbst schon
       anti-Schwarzen-Rassismus erlebt hat. Gemeinsam suchen sie das Gespräch mit
       der betreffenden Ethik-Lehrerin, dann mit anderen Lehrer*innen. Am Ende mit
       dem Schulleiter. Als die Freundin dann noch eine Debatte mit Lehrkräften
       zum N-Wort live auf Instagram streamt – ohne die Gesichter zu zeigen –
       eskaliert die Situation vollends. Die beiden entschuldigen sich.
       
       ## Am Ende kein Einlenken der Schule
       
       Doch am Ende steht kein Einlenken der Schule zum N-Wort, sondern eine
       „pädagogische Maßnahme“. Martha wird in eine andere Klasse versetzt – und
       das nur wenige Monate vor ihrer Abschlussprüfung. Ihrer Freundin wird mit
       Schulverweis gedroht. „Das hat die beiden in ihrem Alltag heftig
       getroffen“, sagt die Offenbacher SPD-Stadtverordnete Hibba Kauser, die die
       beiden jungen Frauen unterstützt, die nicht mehr mit der Presse reden
       wollen. Martha wolle nun sogar die Klasse wiederholen, schildert Kauser.
       
       Benjamin Ortmeyer, der lange Zeit an der Goethe Uni in Frankfurt gelehrt
       hat und die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Uni in Frankfurt
       geleitet hat, hat sich nun mit seiner Beschwerde und einer 40-seitigen
       Broschüre zu dem Fall eingeschaltet. Denn für ihn zeigt der Vorfall
       exemplarisch, was falsch läuft an schulen und in der Lehrer*innenbildung.
       „Das ist autoritäre Pädagogik par excellence. Statt auf die berechtigte
       Kritik einzugehen wird hier eine Schülerin, die absolut im Recht ist,
       mundtot gemacht und bestraft in dem sie in eine andere Klasse versetzt
       wird. Das darf nicht sein.“
       
       Er fordert Verbesserungen bei der Lehrer*innenbildung – und
       kritisiert, dass die Beschäftigung mit NS-Pädagogik an vielen Unis nur noch
       eine Nebenrolle bei deren Ausbildung spielt. In Frankfurt wurde die
       Forschungsstelle NS-Pädagogik gleich ganz abgeschafft.
       
       ## Wissenschaftler*innen fordern Besserung
       
       Mitgetragen wird Ortmeyers Kritik von 21 Wissenschaftler*innen, darunter
       mehrere Professor*innen sowie verschiedenen Aktivist*innen
       [1][gegen Rassismus]. Auch die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland
       fordert Verbesserungen. Geschäftsführerin Siraad Wiedenroth sagt der taz:
       „Die Schülerinnen haben sich genau so verhalten, wie man sich das wünschen
       würde – engagiert und klar. Aber die Schule sendet mit ihrer Reaktion ein
       ganz fatales Signal.“ Was es brauche, sei eine feste Verankerung des Themas
       im Studium und regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte.
       
       Der betroffene Schulleiter Horst S. erklärt der taz auf Anfrage, dass er
       sich wegen der laufenden Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn nicht zu dem
       Vorfall äußern will.
       
       5 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Trauer-nach-rassistischem-Anschlag/!5665804
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alina Leimbach
       
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