# taz.de -- Nibelungenfestspiele in Worms: Eine von Krisen erschütterte Welt
       
       > Mit Pop in Musik und Bild weichen die Festspiele in Worms alte
       > Machtkonstellationen auf. Ferdinand Schmalz hat den Mythos neu
       > bearbeitet.
       
 (IMG) Bild: Genija Rykova als Brünhild, neben ihr im Wasser Kriemhild (Gina Haller)
       
       Wasser, überall Wasser, aus dessen Tiefen unversehens zwei Liebende
       auftauchen: Siegfried (Felix Rech), der unverwundbare Drachentöter, und
       Brünhild (Genija Rykova), die eiserne Königin von Island. Kurz landen sie
       in dem gigantischen Becken vor der Kulisse des Doms in Worms –
       traditioneller Spielort der Nibelungenfestspiele Worms – einander in den
       Armen, bevor die Schicksalsgöttinnen die Machthaberin zur Vorsicht mahnen
       und der Recke die kalten Gefilde hinter sich lassen wird.
       
       Selbst in [1][Ferdinand Schmalz’ Überschreibu]ng von der Deutschen liebstem
       Mythos, seiner „hildensaga. ein königinnendrama“, kann es kein Glück geben.
       Wovon sich diese Uraufführung bei den diesjährigen Nibelungenfestspielen
       hingegen deutlich von der Vorlage absetzt, sind die bisherigen
       Frauenrollen. Gewiss, auch schon im mittelalterlichen Lied begegnen uns die
       beiden Herrscherinnen als souveräne Gestalten.
       
       Aber erweisen sie sich darin nicht auch als Spielbälle männlicher
       Machenschaften? Um Gunther mit Brünhild des Nachts zu vermählen, muss
       schließlich Siegfried letztere heimlich mithilfe der Tarnkappe
       vergewaltigen. Nachdem dieser wiederum dem Strippenzieher Hagen zum Opfer
       fällt, sinnt seine hinterbliebene Kriemhild in der Überlieferung noch auf
       Rache für den Ehegattenmord.
       
       In Schmalz’ Version erkennen sich die beiden gebeutelten Frauen nunmehr als
       Leidensgefährtinnen. Sie begehren gegen die Übermacht der Väter auf und
       bringen entschlossen und vereint Siegfried zu Fall. Sie nehmen also die
       Fäden in die Hand, die zum Leitmotiv des Textes avancieren.
       
       ## Welterschaffung und Weltzerstörung liegen eng beieinander
       
       „Ich ersticke. Ich ersticke mir die Welt“, sagt Kriemhild (Gina Haller)
       einmal. Die Replik ihres Gatten lautet: „Die Nadel, an der man sich nicht
       sticht, die gibt es nicht.“ Welterschaffung und Weltzerstörung liegen in
       diesen mehrdeutigen Sprachspielen, die voll und ganz den poetischen Elan
       des Autors dokumentieren, eng beieinander.
       
       Aber wo viel Wasser ist, können Fäden auch ausfransen. Diese Überlegung
       dürfte nicht der einzige Grund für den Entschluss des Regisseurs Roger
       Vontobel gewesen sein, einen überdimensionalen Pool als Bühne zu errichten.
       Während Liebes- und Gewaltakte gleichermaßen unter der schimmernden
       Oberfläche stattfinden, während die Protagonistinnen abtauchen oder
       entkräftet rettend an Land ziehen, kommen den ZuschauerInnen
       unterschiedlichste Assoziationen in den Sinn.
       
       Man denkt natürlich an den Untergang oder an das dünner werdende
       isländische Eis. Und abgesehen vom stets unsicheren Boden gilt das Wasser
       zumindest in vielen Werken der Kulturgeschichte ebenso als das weibliche
       Element. Am Ende dieser Inszenierung finden sich in ihm aber keineswegs nur
       Männerleichen. Alles andere wäre auch trotz des erfrischend feministischen
       Impetus ziemlich unerwartbar gewesen.
       
       Denn dafür sind die sonstigen Fäden zu engmaschig mit dem ursprünglichen
       Stoff verwoben, verfängt sich dessen zweifelsohne aparte Realisierung oft
       in nacherzählerisch etwas ausufernden Szenen. Wickelt der zweite Teil des
       Abends sehr rasch all die blutrünstigen Auseinandersetzungen ab, ergeht
       sich die Darbietung zuvor mitunter in epischer Breite über die Ermordung
       des Drachentöters oder die Hochzeitsfeierlichkeiten.
       
       ## Setting mit Luftmatratzen und Strandliegen
       
       Auch mag einem die späte Verschwisterung von Kriemhild und Brünhild etwas
       zu plötzlich erscheinen. Um diese Unstimmigkeiten zu kaschieren, bedient
       sich die Aufführung einiger Methoden aus der Trickkiste. Wie schon in
       seiner Umsetzung von „Siegfrieds Erben“ bei den Nibelungenfestspielen 2018
       setzt Vontobel beispielsweise erneut auf reichlich Livemusik. Eine Band mit
       eigener Bühne steht dafür am rechten Bühnenrand bereit.
       
       Schade ist, dass deren Einstudierungen kaum über eine illustrative Funktion
       hinausreichen. Dafür besticht der archaische, mithin sakrale Gesang der
       Nornen umso mehr, der ebenso deutlich an einen Sänger aus dem Norden aus
       der letzten Worms-Produktion des Regisseurs erinnert.
       
       Indem er – wenn auch eben nicht frei von recht künstlichen Mitteln wie
       dekorativer Soundbegleitung oder riesigen Videomonitoren – Stimmungen
       punktgenau erzeugt, fängt er all die unterschiedlichen Gefühlslagen der
       Sage und ihrer Protagonistinnen ein. Manchmal mutet das Setting mit
       Luftmatratzen und Strandliegen wie eine Pop-Show an, in anderen Momenten
       fängt die Inszenierung treffend das zeitlose Pathos ein – wenn Vontobel
       etwa seine Figuren nachdenklich und in ihren existenziellen Nöten befangen
       zeigt.
       
       Dann treten sie nämlich aus ihrer historischen Verortung heraus und geben
       ihre Gegenwärtigkeit zu erkennen: auf ihrer Suche nach Selbstbestimmung in
       einer von Finsternis und Krisen erschütterten Welt.
       
       17 Jul 2022
       
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