# taz.de -- Streitkultur in Deutschland: Charmante Konservative gesucht
       
       > Unser Autor wünscht sich kluge, wortgewandte Konservative für den
       > gepflegten Streit. Doch bisher sucht er vergeblich.
       
 (IMG) Bild: In der Fantasie unseres Autors trinken Konservative liebend gerne harten Alkohol
       
       Wie sehr wünsche ich mir, wir hätten kluge und wortgewandte konservative
       Autor*innen, Politiker*innen und Stimmen in Deutschland, mit denen man
       gepflegt streiten und argumentieren könnte. [1][Konservative], die einen
       zwingen, eigene Argumentation zu einem politisch relevanten Thema zu
       schärfen oder sogar an einigen Stellen zu korrigieren, die einen zum
       Grübeln bringen und manchmal auch zum Lachen – über sich selbst als rote
       Socke und diese verrückte Welt.
       
       Wie schön wäre es, auf Podien zu sitzen, sich mit gutem Gewissen,
       faktenbasiert und humorvoll, Studien, Hypothesen und Theorien an den Kopf
       zu werfen, danach gemeinsam einen Weinbrand oder Rakı zu trinken. Ja, in
       meiner Fantasie trinken [2][Konservative liebend gerne] harten Alk. Ich
       wurde vor rund zwei Monaten gefragt, ob mir in Deutschland jemand einfalle,
       der*die auf dieses konservative Dating-Profil passen würde. Seitdem denke
       ich darüber nach: Mir sind zwei, drei, viereinhalb Namen eingefallen.
       
       Ich werde die Namen nicht nennen, weil das Wort „konservativ“ zum
       Schimpfwort geworden ist, mit dem man sich mittlerweile gut hänseln kann.
       Ich weiß auch nicht, ob sich diese viereinhalb Menschen selbst so
       bezeichnen würden. Ich würde es nachvollziehen können, wenn sie es nicht
       tun. Kann man doch gut die konservative Diskurskarambolage jeden Tag mit
       Schrecken beobachten.
       
       ## Fehlende Abgrenzung
       
       Überall (!) wimmelt es in Deutschland von Konservativen, die sich nicht von
       extrem rechten, nationalistischen und menschenfeindlichen Gruppen und
       Ansichten abgrenzen wollen. Sie fischen gerne [3][in der braunen Brühe],
       was ihnen anscheinend einen Extrakick verleiht. Sie machen genau das, was
       sie anprangern: canceln, pöbeln, Fakten erfinden, so wie es ihnen gerade
       passt. Sie sudeln sich in Transfeindlichkeit, Antisemitismus oder Gewalt
       gegenüber Minderheiten. Dabei machen sie grundsätzlich Unterschiede, ob
       Gewalt aus ihrer Sicht von einem Inländer oder einem Ausländer ausgeht. Mit
       doppelten Standards können sie gut jonglieren. Sie wissen das. Ihnen macht
       das nichts aus.
       
       Es ist unattraktiv, auf die konservativen Takes zu antworten. Weder in
       sozialen Medien noch in Gastbeiträgen oder auf Podien, wo ich mir zumindest
       wie eine Suchmaschine vorkomme, wenn ich ganz basale Erkenntnisse aus
       Journalismus oder Sozialwissenschaften erklären muss. Die Debatte hat gar
       nicht angefangen, da ist schon die Zeit vorbei und ich flüchte, bevor
       jemand noch auf die Idee kommt, man könne gemeinsam einen trinken gehen.
       
       Demokratie lebt auch von Debatte, aber mit wem will man eigentlich reden?
       Ich bin selbst in einer Sache verlässlich althergebracht: in meinem
       Pessimismus. Ich bin überzeugt, dass sich mein Wunsch nach cuten
       Konservativen in diesem Land nie erfüllen wird. Ach, wie schön wäre es,
       wenn mich jetzt jemand mit Beispielen zum Grübeln bringen würde.
       
       4 Aug 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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