# taz.de -- Neuer Literaturpreis im Norden: Blick in die Abgründe
       
       > Fantastisch fremd bleibende Geschichten: Christopher Ecker erhält den
       > ersten „Kay-Hoff-Preis für Literatur und Sprache in Schleswig-Holstein“.
       
 (IMG) Bild: Die Umgebung als Material: Christopher Ecker, Wahl-Kieler und nun Neustädter Literaturpreisträger
       
       Man muss sich Christopher Ecker als glücklichen Menschen vorstellen.
       Kommende Woche erhält der Pädagoge und Schriftsteller den „Kay-Hoff-Preis
       für Literatur und Sprache in Schleswig-Holstein“, dotiert mit immerhin
       10.000 Euro und in diesem Jahr erstmals von der Stadt Neustadt in Holstein
       vergeben. „Der Bahnhof von Plön“ heißt ein Roman Eckers, hoch gerühmt wurde
       [1][sein Riesen-Roman „Fahlmann“ (2012)]; sein jüngstes Buch trägt den
       Titel „Herr Oluf in Hunsum“ (Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2021, 232
       S., 20 Euro).
       
       Im Gespräch gibt Ecker Einblick in sein Lebensarrangement: Dass er
       Gymnasiallehrer sei, aber zugleich Autor, „ist eine konsequente
       Entscheidung. Ich kann meine Bücher frei schreiben. So wie ich es will.
       Durch mein Berufstätigsein muss ich keine kommerziellen Zugeständnisse
       machen.“
       
       „Ich bin schon ein norddeutscher Autor“, sagt der gebürtige Saarländer,
       Jahrgang 1967. In Kiel lebt und arbeitet er seit rund 15 Jahren. „Da meine
       Literatur von Beobachtungen lebt, brauche ich meine Umgebung als Material.
       Auch wenn Elemente meines Erzählers in den [2][Bereich der Fantastik]
       gehören, bin ich extrem angewiesen auf den Ort, wo ich lebe und arbeite.“
       
       Eckers Geschichten sind dabei auf fantastische Weise fremd: Er erzählt von
       Antihelden, schreibt dezidiert nicht heimatlich-heimelig. Auch deshalb
       kommt mit seiner jüngst erschaffenen Hauptfigur Oluf Sattler Identifikation
       gar nicht erst auf. Dieser Professor für Kunstgeschichte ist ein
       ausgesprochener Egomane, arrogant und eitel. Herrn Olufs Leben ist bestimmt
       vom Ringen um Anerkennung und Aufmerksamkeit, aber auch von den
       Gemeinheiten der akademischen Konkurrenz.
       
       ## Als Ästhet ein Opportunist
       
       Er fährt zu einer Tagung nach Hunsum, in die Provinz. Sein Vortrag dort ist
       ihm wichtiger als Frau und Kind, die beide krank darniederliegen. Er
       versucht zwar ständig, zu Hause anzurufen, erreicht aber nie jemanden.
       Darüber ist er durchaus erleichtert, und er stellt sich sogar vor, die
       beiden lägen tot im Bett. Derweil hält er seinen Vortrag. Der wird
       entgeistert aufgenommen: Oluf hat das Tagungsthema komplett verfehlt.
       
       Man könnte sich also Sorgen machen um Oluf Sattler, der nicht nur seine
       akademische Reputation, sondern auch seine Familie zu verlieren scheint.
       Ist er selbst überhaupt beunruhigt? Längst kommt es Sattler vor, als sähe
       er sich bloß noch zu: „Du hast schon vor Jahren die Unmittelbarkeit des
       Lebens verloren.“ Immer wieder tut sich der Spalt auf zwischen ihm und den
       Menschen, denen er begegnet, oder jenen, die ihm nahestehen müssten.
       
       Der Intellektuelle erweist sich als agil, ja hoch opportunistisch in der
       Wahl seiner Theorien und ästhetischen Präferenzen. Diesen Mann ohne
       Eigenschaften lässt letztlich alles kalt, außer das eigene Fortkommen.
       „Mich interessiert eine bestimmte Form des akademischen Betriebs“, sagt
       Ecker, „die dünne Luft, den Existenzkampf dort. Vor allem die Praxisferne
       durch Theorie.“
       
       Bei [3][„Herr Oluf in Hunsum“], dem Titel, ist entgegen der Vermutung, dem
       Lektor kein Buchstabe durchgerutscht, weil die graue Stadt am Meer [4][doch
       Husum heißt]; der vermeintliche Fehler erweist sich bei der Lektüre als
       ver-rückt erhellender Einfall: Ein Mensch scheint vom Kurs abzukommen.
       Aber: Hat er überhaupt noch einen? Diese nüchtern-analytische Fantastik
       kommt ohne sympathischen Protagonisten aus: „Empathielos“, sagt Ecker, sei
       seine Hauptfigur: „Sattler verachtet die Welt – und die Menschen. Es fügt
       sich, dass ich ihn am Schluss des Romans mehr verachte als am Beginn.“
       
       Solche Texte seien natürlich „schwer schreib- und veröffentlichbar“ – ein
       Glück, dass der Kay-Hoff-Preis und Ecker einander gefunden haben. Die Jury,
       zu der die Autorin Doris Runge und die Literaturwissenschaftler Jürgen H.
       Köpp und Ralf-Henning Steinmetz gehören, sichtete und diskutierte zunächst
       eine Reihe von Gegenwarts-Autorinnen und Autoren mit Verbindungen zu
       Schleswig-Holstein: eine Vorgabe des Schriftstellers Kay Hoff (1924–2018).
       
       Und weil eine weitere darin bestand, eine herausragende Leistung in Sprache
       und Literatur auszuzeichnen, fiel dann die schnelle, einstimmige
       Entscheidung zugunsten von Christopher Ecker. Weil seine Protagonisten
       häufig existenziell Verlorene seien, weil er die Leser dazu bringe, ihr
       eigenes Verständnis der erzählten Welt zu überdenken.
       
       ## Bürgerliche Würstchen
       
       Warum aber stiftet ein Schriftsteller als Vermächtnis einen Preis? Um
       andere Autoren zu ermutigen, um Neustadt in Holstein, seine Heimatstadt,
       literarisch zu markieren – und sicher auch, um seinen eigenen Namen zu
       tradieren. 50.000 Euro aus seinem Vermögen hat Kay Hoff bereitgestellt und
       verfügt, dass der Preis alle drei Jahre für herausragende literarische
       Leistungen verliehen werde. Er bereichert fortan die literarische
       Landschaft Schleswig-Holsteins, zeichnet Autorinnen und Autoren aus, die
       den meerumschlungenen Norden der Republik leuchten lassen.
       
       Es lohnt, Kay Hoffs Band „Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich“ (1966)
       wieder zu lesen, [5][einen Schelmenroman] über den Nationalsozialismus in
       der Provinz: Hoff variiert die Erzählweisen, um Opportunismus und
       Mitläufertum sichtbar zu machen.
       
       Was er literarisch gemeinsam habe mit dem Stifter? Christopher Eckers
       Antwort kommt prompt: „Mit Kay Hoffs Schreiben verbindet mich das
       ernsthafte Erkenntnisinteresse. Ich will menschliche Abgründe betreten.“
       Auch seine Vorstellung von Erzählperspektive – in Bruchstücken, gebrochenen
       Sehweisen – ähnele der Hoffs. Aber vor allem bedeute der Preis ihm „eine
       große Motivation“.
       
       14 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] http://www.mitteldeutscherverlag.de/literatur/alle-titel-literatur/ecker,-christopher-herr-oluf-in-hunsum-detail
 (DIR) [4] /An-der-Nordseekueste/!5013181
 (DIR) [5] https://www.spiegel.de/kultur/kay-hoff-boedelstedt-oder-wuerstchen-buergerlich-a-238891c5-0002-0001-0000-000046407340
       
       ## AUTOREN
       
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