# taz.de -- Solidarische Gastronomie: Bye-bye Suppenküche
       
       > In der Ada-Kantine in Frankfurt am Main soll niemand seine Bedürftigkeit
       > beweisen müssen. Hier wird für alle gekocht, vegetarisch und vegan.
       
 (IMG) Bild: Mehr als Bananen: Ada Kantine Frankfurt kocht an vier Tagen die Woche solidarisch und vegan
       
       FRANKFURT AM MAIN taz | Den Soundtrack zum Abbau liefert Adele. „We could
       have had it all“, schallt es aus einer Bluetoothbox über den Hof der
       Ada-Kantine in Frankfurt am Main. Während die letzten Hungrigen ihr
       Mittagessen verzehren, legen einige Helfer:innen bereits die
       Garniturbänke auf die zugehörigen Biertische und tragen benutztes Geschirr
       nach drinnen. Es ist ein Nachmittag im Sommer und vor wenigen Minuten – um
       15 Uhr – hat die Ada-Kantine nach zwei Stunden Betrieb geschlossen. So wie
       jeden Freitag, Samstag, Sonntag und Montag.
       
       Die Ada, das zeigt sich nicht nur an den ungewöhnlichen Öffnungszeiten, ist
       keine herkömmliche Kantine. Sie ist überhaupt gar keine Kantine im
       eigentlichen Sinne, kümmert sich also nicht um die Bewirtung der
       Angestellten eines Unternehmens. Stattdessen kochen hier Freiwillige für
       alle. Und zwar kostenlos. Als „solidarische Küche“ bezeichnet sich das
       Projekt. Zubereitet werden mehrgängige Menüs, ausschließlich vegetarisch
       und vegan, aus Lebensmitteln, die größtenteils gespendet sind.
       
       „Essen ist politisch, Lebensmittelverwertung ist politisch“, sagt Janosch.
       Der 32-Jährige sitzt in dem kleinen Gemeinschaftsgarten hinter der Kantine,
       am Rand des alten Universitätscampus im Frankfurter Stadtteil Bockenheim.
       Hochbeete stehen hier neben Palettenmöbeln, aus einem Fenster des Hauses
       dringt die geschäftige Gastronomiegeräuschkulisse.
       
       Janosch heißt mit vollem Namen Jan Hoffmann, er ist hauptberuflich bei der
       Feuerwehr und engagiert sich seit fast zwei Jahren bei der Kantine. Das
       Angebot der Ada richte sich nicht nur an [1][Menschen mit geringem
       Einkommen], betont er. „Hier muss niemand seine Bedürftigkeit nachweisen.
       Wir wollen uns von so einer [2][Suppenküchen]-Mentalität distanzieren.“
       Dementsprechend wird das Essen auch nicht ausgegeben, sondern am Platz
       serviert, wie in einem Restaurant.
       
       Weil die Gäste ausschließlich draußen im Hof bewirtet werden, dient der
       Speisesaal als erweiterte Küche: Hier wird geschnippelt, gerührt, geschält.
       Um kurz vor 13 Uhr – in wenigen Minuten wird das Essen serviert – ist die
       Stimmung erstaunlich entspannt. Auf einem der langen Holztische stehen 84
       weiße Dessertschalen, fein säuberlich auf Tabletts aufgereiht, und einer
       der Helfer beginnt, Obstsalat mit veganem Joghurt auf sie zu verteilen.
       Wenige Meter weiter, zwischen Edelstahltischen, zählt Sarah Thomas-Parensen
       das Menü das Tages auf: Als Vorspeise gibt es eine Pilz-Zucchini-Suppe,
       dazu noch einen Tomatensalat. Und als Hauptgericht? „Stefan, wie hast du
       das noch mal genannt?“, ruft sie einem Kollegen quer durch die Küche zu.
       Die Antwort: Tandoori-Gemüse mit Basmatireis.
       
       Vieles ist improvisiert in der Ada-Kantine. Die Helfer:innen entscheiden
       jeden Tag, welche Gerichte sie aus den Lebensmitteln kreieren, die gerade
       da sind. Flexibel sind die Adaist:innen, wie sich die Ehrenamtlichen
       nennen, auch bei der Aufgabenverteilung: Jede:r kann mitmachen, wie es
       zeitlich passt. „Du trägst dich ein und kommst halt für zwei Stunden“,
       erklärt Thomas-Parensen. Manche machen dann Empfang, andere Service, sie
       selbst hilft an diesem Tag in der Küche mit: Von neun Uhr bis zum Schluss,
       meist gegen halb fünf. „Wir sind so 50 Leute, die aktiv und regelmäßig
       mithelfen“, sagt sie. Insgesamt gebe es einen Pool von gut 200
       Ehrenamtlichen.
       
       Damit der Betrieb bei so viel Fluktuation funktioniert, müssen andere Dinge
       sehr gut organisiert sein. Jeden Dienstagabend treffen sich die
       Adaist:innen zum Plenum, wo sie alle Entscheidungen basisdemokratisch
       treffen. Daneben gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, etwa für Finanzen und
       für die Küche. Organisiert werden muss auch die Lebensmittelbeschaffung:
       Jeden Donnerstagabend fahren einige Helfer:innen zu einem Erzeugermarkt
       in der Frankfurter Innenstadt, der ihnen liegengebliebenes Obst und Gemüse
       spendet. Kooperationen gibt es außerdem mit einigen Supermärkten, mit
       Biobetrieben und mit der Frankfurter Tafel. Zusätzlich dient die
       Ada-Kantine als Umschlagplatz für Foodsharing, also für vor dem Abfall
       gerettete Lebensmittel.
       
       Doch einige Produkte wie Nudeln oder Reis, die lange haltbar sind, müssen
       die Adaist:innen zukaufen, auch Miete und Strom müssen bezahlt werden.
       Finanziert wird der Betrieb der Kantine durch ein Crowdfunding, eine kleine
       Förderung der Stadt Frankfurt und eine Spendenbox am Ausgang. Außerdem
       vermietet die Kantine ihre Räumlichkeiten und hat mehrere Preisgelder
       gewonnen, etwa durch den ersten Platz beim „Wir ist Plural“-Preis der
       Bundeszentrale für politische Bildung 2021.
       
       Es wird aufgetischt. Helfer:innen in bordeauxroten Schürzen schwirren
       umher, verteilen in Servietten gewickeltes Besteck, servieren die Gerichte.
       „Möchten Sie Wasser trinken oder lieber Eistee?“, fragen sie die
       überwiegend älteren Leute, die an den langen Biertischgarnituren unter
       weißen Zeltpavillons und hohen Bäumen im Hof der Ada-Kantine sitzen.
       
       Eine Besucherin ist Angelika Krap. Die 63-Jährige aus Hattersheim isst
       häufig in der Ada. „Mein Arzt sagt, meine Werte sind besser geworden, seit
       ich hierhin komme“, erklärt sie in breitem Hessisch. Das gesunde Essen
       schmecke ihr gut – und entlaste ihr Portemonnaie. „Das Geld wird Mitte des
       Monats schon eng.“ Obwohl Krap über 15 Jahre in einer Wäscherei und mehr
       als zwei Jahrzehnte in einer Druckerei gearbeitet habe, [3][sammle sie
       heute manchmal Flaschen], um über die Runden zu kommen, erzählt sie.
       
       Einige Meter weiter sitzen zwei Freundinnen beim Kaffee, auch sie sind
       regelmäßig zu Gast. Sie habe aus der Presse von dem Angebot erfahren, sagt
       eine der beiden. „Vegetarisch hat mich angesprochen.“ Auch der politische
       Anspruch gefalle ihr. Ähnlich sieht es ein Bekannter der beiden Frauen.
       „Das ist nicht nur Essen“, findet er, „das ist fast eine Bewegung.“
       
       Seit die Ada-Kantine im Juli 2020 eröffnet hat, wächst das Projekt
       kontinuierlich. Inzwischen bereiten die Helfer:innen samstags und
       sonntags je 150 bis 200 Portionen zu. Darüber hinaus gibt es ein
       kulturelles Rahmenprogramm mit Workshops, Vorträgen und Kinoabenden. Damit
       will das Projekt auch inhaltlich an die namensgebende Akademie der Arbeit –
       abgekürzt Ada – anknüpfen.
       
       Bis 2019 nutzte die gewerkschaftliche Bildungseinrichtung das Gebäude der
       Kantine. Inzwischen gehört es der Stadt Frankfurt und soll für ein
       Wohnprojekt umgebaut werden. Der Zwischennutzungsvertrag der Kantine endet
       daher Anfang 2023. Wie es danach mit ihr weitergeht, ist unklar. Gerne
       würde das Projekt ins Juridicum umziehen, ein riesiges Universitätsgebäude
       auf der anderen Seite des Campus, das bald leerstehen wird. Bevor es dann
       in einigen Jahren einem Neubau weicht, sollen dort nach dem Willen der
       Stadt Frankfurt zwischenzeitlich Geflüchtete untergebracht werden. Noch
       steht nicht fest, ob auch Platz für die Ada sein könnte.
       
       Bedarf für die solidarische Kantine dürfte es in jedem Fall weiterhin
       geben. Denn auch wenn die Ada den Anspruch hat, eine Kantine für alle zu
       sein, ist vielen Helfer:innen klar, dass vor allem Bedürftige ihr
       Angebot wahrnehmen. Die Adaist:innen kennen viele der Besucher:innen, es
       ist ein freundliches Miteinander. Und als an diesem Nachmittag zu den
       Klängen von Adele zusammengeräumt wird, packen wieder fast alle mit an.
       
       21 Aug 2022
       
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