# taz.de -- Die Kunst der Woche für Berlin: Brüchige Utopien
       
       > Diese Woche mitzuerleben: Aleksandra Kasuba sucht Harmonie, Max Paul
       > findet Leere und Rüzgâr Buşki Ambivalenzen.
       
 (IMG) Bild: Aleksandra Kasuba, Utility for the Soul, Ausstellungsansicht, ChertLüdde, Berlin
       
       Aleksandra Kasuba, geboren 1923 im litauischen Ginkūnai Manor, gestorben
       2019 in ihrer zweiten Heimat, den USA, wird vermutlich nicht vielen
       Berliner*innen ein Begriff sein. Umso mehr lohnt es sich der ihrer
       Kunst gewidmeten Ausstellung „Utility for the Soul“ in der [1][Galerie
       ChertLüdde] einen Besuch abzustatten, solange diese noch läuft (bis zum
       Sonnabend, 03.09.22). Modelle, Schriften und Collagen sind dort zu sehen,
       futureske Space-Age-Formen, bei denen es Kasuba bei weitem nicht nur um
       Ästhetik ging.
       
       Aus synthetischen Fasern baute sie Environments, Architekturen aus weichen,
       dehnbaren Materialien und folgte dabei der Idee, die Gestaltung des Raums,
       städtische Strukturen mit menschlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen,
       zwischen Mensch, Architektur und Technologie Harmonie auszuloten. Strenge
       geometrische Formen lehnte sie als künstlich ab, ersetzte sie mit
       organischen Rundungen.
       
       An einigen Prototypen, die in der Ausstellung stehen und hängen und mit
       denen [2][Kasuba experimentierte] oder die sie zum Teil später in größerem
       Maßstab realisierte, lässt sich das in der Ausstellung nachvollziehen:
       computergenerierte 3D-Objekte nach mathematischen Formen, ausgehärtete und
       teils vergoldete kleine Skulpturen aus in alle Richtungen gespanntem Stoff.
       Tiefere Einblicke in Kasubas Denkweise liefert die titelgebende Arbeit
       „Utility for the Soul“, einem Künstlerbuch aus dem Jahr 1970, Kasubas
       Beitrag zu einem Wettbewerb von E.A.T Experiments in Art and Technology.
       
       Sie umreißt darin ihre Idee für ein Refugium für Angestellte, in dem diese
       sich mittels Farben und Licht von den Unannehmlichkeiten des modernen
       Lebens erholen und den vier Elementen neu annähern könnten – wer träumt
       davon nicht? – „A proposal for enlightened corporations with a concern for
       the social implications resulting from prolonged neglect of human needs in
       our mechanized society“, wie es auf dem Deckblatt heißt.
       
       ## Alles nur noch leerer
       
       Um Formen des Zusammenlebens geht es auch in der kommenden Ausstellung bei
       [3][Noah Klink] und das mit recht konkretem Berlin-Bezug. Denn: Was ist das
       eigentlich für eine Stadt, in der wir da leben oder besser gefragt, zu der
       Berlin werden soll? Wenn es nach den Plänen der Immobilienhaie und geht,
       offenbar eine mit gleichförmig grauen Fassaden und großen Fensterfronten,
       eine Stadt der cleanen Townhouses und Bürogebäude, in denen Menschen in
       dezenter Kleidung sich ebenso verhalten. Die Visionen jenes Berlins der
       Zukunft lässt sich in Ausschnitten an den Orten besichtigen, wo der Beton
       aus den letzten Brachflächen wächst. Auf den Planen an Baustellen nämlich,
       die für die dort entstehenden Neubauprojekte werben.
       
       Der Künstler Max Paul hat mit diesen Planen Polsterliegen nach dem Vorbild
       von Mies van der Rohes Barcelona Daybed bezogen. Seltsame Utopien (oder
       doch eher Dystopien) lassen sich von ihnen ablesen, von der Architektur der
       Bauten, aber auch von den generischen Szenerien, die die Abbildungen
       beleben sollen, jenem Stockfotopersonal, das auf Dachterrassenpartys
       herumsteht, in Büros geschäftig tut oder das sich im Pyjama vor dem Fenster
       räkelt und streckt. Menschen sind das, die merkwürdigerweise alles doch nur
       noch leerer und einsamer aussehen lassen, seelenloser.
       
       Platziert sind die Liegen in der Galerie fast wie Museumsmobiliar. Bequem
       kann man sich auf ihnen niederlassen, um die drum herum hängenden
       Farblithografien von Werner Heldt (1904-1954) besser in Augenschein zu
       nehmen. Die Mappe „Berlin am Meer“ entstand im Jahr 1947, kurz nach dem
       Ende des zweiten Weltkriegs. Wellen umspülen darin die Häuser, die er ohne
       sichtbare Kriegsschäden, aber komplett ausgestorben darstellt,
       Wassermassen, die sinnbildlich für den Schutt und die Trümmer stehen.
       Einsame, melancholische Bilder einer Großstadt ergibt das hier wie da – die
       Ausstellung eröffnet am Donnerstag (01.09.22).
       
       ## Unberechenbare Übergänge
       
       Utopien und Spannungen anderer Art treiben Rüzgâr Buşki um. „Wayward“, also
       eigensinnig oder unberechenbar hat Buşki deren Einzelausstellung in der
       [4][Galerie Wedding] genannt. Mit Siebdrucken, Skizzen, Collagen und
       Videoarbeiten zeichnet dey Künstler*in darin ambivalente Bilder von
       Transidentität und Queerness. Schmerz und Glück hängen zusammen, können nie
       ohne einander gedacht werden, davon scheint Rüzgâr Buşki überzeugt: „How I
       realised that the agony and the bliss both belong to the universe as I was
       transitioning interspecies to save myself from the misery of humankind“.
       
       Die Worte springen einem von gleich zwei lebensgroßen Siebdrucken (Foto)
       entgegen, darauf ein dreibeiniger Mensch, ausgestattet mit verschiedenen
       Geschlechtsteilen und einem zweiten Kopf wie von einem Krokodil, das gerade
       dabei ist, den menschlichen abzubeißen.
       
       Dass Zerrissenheit nicht nur trans Menschen sondern auch deren Angehörige
       betrifft und welche Konflikte sich daraus ergeben, ist Thema der
       Videoarbeit „Mona Riza“. An deren Ende unternimmt Rüzgâr Buşki eine
       Bootsfahrt mit der Mutter, die beiden umarmen sich, genießen den Ausflug zu
       zweit. Es ist ein versöhnlicher Abschluss nach vielen spannungsgeladenen
       Gesprächen über die Transition deys Künstler*in.
       
       Dass sie keine Tochter mehr haben soll, aber auch keinen Sohn, sondern ein
       Kind, das in die binären Kategorien nicht hineinpasst, ist schwer zu
       begreifen für die Mutter, auch sonst und überhaupt sind die familiären
       Bande kompliziert. Gefilmt sind Zwiegespräche vor und sieben Jahre nach der
       Transition. Persönlich, intensiv, aber gewissermaßen doch auch übertragbar
       ist das auf andere Mutter-Kind-Beziehungen, denen Konventionen, Prägungen,
       Vorgeschichten im Wege stehen.
       
       1 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://chertluedde.com/
 (DIR) [2] https://www.kasubaworks.com/
 (DIR) [3] https://www.noahklink.com/
 (DIR) [4] http://Galerie%20Wedding
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Beate Scheder
       
       ## TAGS
       
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