# taz.de -- Die Wahrheit: Gemüse? Fleisch? Alles Wurst!
       
       > Die Wahrheit hat sich umgesehen auf der trendigen Lebensmittelmesse
       > „Lecker Essen“ in Essen. Der Trend geht hin zum Fleisch.
       
 (IMG) Bild: Äußerst schmackhafter Weizen-Burger mit viel, viel Weizen aus viel, viel Fleisch
       
       „Möchten Sie auch mal probieren?“ Der junge, leichtbekleidete Brünette
       verteilt Kostproben an das vorbeischlendernde Publikum. Kleine
       Plastikschälchen mit Salatblättrigem oder Radiccio. „Lecker“, urteilt ein
       korpulenter Mann in beiger Multifunktionsjacke, „schmeckt fast wie echt.“
       
       „Fast wie echt“ ist ein großes Lob für den Aussteller Henrik Reich hier auf
       der „LE“, der Nahrungsmittelmesse „Lecker Essen“ in Essen. Denn „der Salat“
       besteht nicht aus Pflanze, sondern tatsächlich aus – Fleisch.
       
       „Wir hobeln Rindfleisch ganz, ganz dünn“, erklärt Reich, „dann wird das
       Ganze für zwölf Stunden eingelegt in eine Mischung aus Essig, Gewürzen und
       geheimen Zutaten, danach zugeschnitten, in Form gepresst und zu einem
       Salatkopf geformt.“ Reich ist Erfinder dieses Fleisch-Salats und
       Geschäftsführer des Start-ups Reich und Fleischlich. „Mit dem richtigen
       Dressing ist das von ‚echtem‘ Salat kaum mehr zu unterscheiden“, fügt er
       hinzu.
       
       Am Stand nebenan gibt es Tofi, aus Fischresten zusammengepresste Würfel,
       die nach einem Bad in einer Enzymlösung von Farbe und Geschmack befreit
       sind – und in jedem halbwegs asiatischen Gericht als 1a-Tofu durchgehen.
       Das Publikum ist begeistert. Ein junger Mann, der ein Stückchen gekostet
       hat, verzieht das Gesicht: „Schlimm, ja, wie richtiger Tofu.“
       
       ## Feta aus extrudiertem Schweinespeck
       
       Eine Reihe weiter gibt es Nudeln aus tierischem Eiweiß, aber auch „Reis“
       und „Linsen“. An einem anderen Stand wird „Feta“ angeboten – extrudierter
       Schweinespeck in Salzlake. Eine Bäckerei stellt ein kräftiges Landbrot aus
       Tiermehl vor und gleich nebenan gibt es einen Ersatz für Hafer- oder
       Sojamilch – eine Fett-Wasser-Emulsion, die direkt aus den Eutern von Kühen
       gewonnen wird, die ausschließlich mit Hafer oder Soja gefüttert werden.
       „Aus Hackfleisch kann man auch leckere Falafel machen“, sagt Reich, „die
       sind vom Original nicht zu unterscheiden, wenn man kräftig würzt.“
       
       Immer mehr pflanzliche Lebensmittel werden mittlerweile aus Fleisch
       hergestellt. Rote Bete, Möhren, Kartoffeln lassen sich ohne weiteres aus
       tierischem Ausgangsmaterial nachbilden. Obst, heißt es auf der Essener
       Messe, sei noch schwierig, vor allem wegen der Konsistenz und des süßen
       Geschmacks. Auch Tomaten lassen sich bislang nur schwer nachahmen. „Die
       kommen nur in verarbeitetem Zustand auf den Markt, etwa als Tomatenmark
       oder Tomatensoße aus Rinderblut – koscher und halal“, sagt der gelernte
       Lebensmittelchemiker Reich, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt.
       
       Woher kommt dieser plötzliche Trend? „Viele meiner Kunden sind Menschen,
       die sich bisher nur vegetarisch oder vegan ernährt haben. Die wechseln nun
       wieder zur Fleischkost, wollen aber nicht auf ihre gewohnten pflanzlichen
       Speisen verzichten“, erklärt er.
       
       „Seit ich kein Vegetarier mehr bin“, wirft ein Messebesucher ein, „vermisse
       ich das eine oder andere. Da ist es schon schön, ab und zu mal in eine
       Wurst zu beißen, die aussieht und schmeckt wie eine Karotte.“
       
       ## Fleischverkauf im Keller
       
       Einen weiteren Grund nennt uns Horst Röber. Der 64-jährige Franke ist
       Pressesprecher der Deutschen Fleischproduzierenden Industrie. „Durch den
       Veggie-Boom, den Russlandkrieg und die Inflation ist der Fleischverkauf in
       Deutschland im Keller“, erklärt er düster. „Wissen Sie eigentlich, wie
       viele Schweine jeden Tag in Deutschland getötet werden müssen, weil sich
       ihre Haltung als Fleischerzeuger nicht mehr lohnt?“, fragt er, und wir
       verneinen. „Ich auch nicht, aber es sind sicher viele. Sehr viele.“
       
       Bauern geben ihre Höfe auf. Fleischereien in den Innenstädten schließen. Zu
       Spottpreisen angebotenes Fleisch bleibt in den Kühltheken der Supermärkte
       liegen. Zuviel produziertes Fleisch wird bereits kleingehackt und zu
       Pellets gepresst, um damit Fleischkraftwerke zur Stromerzeugung zu
       betreiben. „Eins hat in Bayern gerade seinen Probebetrieb aufgenommen“,
       erzählt Röber.
       
       Durch „vegetarische“ Lebensmittel aus Fleisch versuche die Branche nun, aus
       diesem Tief herauszukommen. „Mir persönlich ist es egal, ob der Verbraucher
       glaubt, Obst und Gemüse zu essen oder nur Imitate, solange es aus Fleisch
       ist und es ihm schmeckt.“
       
       Bevor Volker Reich seine Produkte auf den Markt bringt, testet er sie an
       Freunden und Bekannten. „Dann koche ich ein vegetarisches Vier-Gänge-Menü,
       und wenn wir dann beim Nachtisch sind, rufe ich: ‚Hihi, reingefallen, das
       war alles aus Fleisch.‘“ Einige seiner Gäste seien dann zwar verärgert,
       „aber was sollen die tun? Und wenn sie einmal Fleisch gegessen haben,
       können sie damit ja auch weitermachen.“
       
       Langfristig erhoffen sich Reich und Röber, dass Vegetarier durch
       vermeintliche Fleischprodukte merken, wie lecker Fleisch sein kann. „Und
       dann können Sie Fleisch auch wieder in seiner natürlichen Form zu sich
       nehmen: als Wurst, Formschnitzel und Frikadelle“, sagt Röber und beißt
       genüsslich in eine als Selleriestange getarnte, geschmacksneutrale
       Weißwurst aus Reichscher Produktion.
       
       21 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael-André Werner
       
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