# taz.de -- Proteste in Iran: Nicht nur der Hidschab soll weg
       
       > Die Proteste in Iran richten sich gegen Zwangsverschleierung und
       > Femizide. Das Regime hat die Wut unterschätzt.
       
 (IMG) Bild: Die aktuellen Proteste in Iran sind eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod von Zhina Amini
       
       BERLIN taz | In Iran protestieren Menschen seit drei Tagen landesweit gegen
       die Zwangsverschleierung und gegen die gesamte Diktatur. [1][Auf Videos in
       den sozialen Medien] sieht man Frauen, die bei den Demonstrationen ihre
       Kopftücher abnehmen, Parolen gegen das System rufen.
       
       [2][Die Proteste] sind eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod von Zhina
       Amini. Eine Kurdin, die die Welt nun unter dem Namen Mahsa kennt, weil der
       iranische Staat ihrer Familie nicht erlaubte, sie offiziell Zhina zu nennen
       – weil es ein kurdischer Name ist. Der iranische Staat behauptete zunächst,
       die 22-Jährige sei an Herzversagen gestorben. Tatsächlich wurde sie bei
       einer Festnahme durch die Sittenpolizei wohl so verprügelt, dass sie starb.
       
       Die iranische Regierung hat die Lage unterschätzt: Aminis Familie hatte die
       Behauptungen des Staates als Erste in Frage gestellt. Dann meldete das
       Krankenhaus, sie sei bereits hirntot eingeliefert worden. Frauen, die mit
       ihr festgenommen worden waren, bezeugten, dass ihr mehrmals auf den Kopf
       geschlagen wurde. Und nun schreien die IranerInnen landes- und weltweit:
       Das war Mord.
       
       Die Proteste und Streiks, die in Kurdistan im Westiran begannen, sind
       einmalig in der Geschichte des Iran: Zum ersten Mal geht es bei
       landesweiten Protesten, die sich gegen das gesamte System stellen, konkret
       um Gendergerechtigkeit, Zwangsverschleierung und Femizid.
       
       ## Der Kampf gegen die Zwangsverschleierung wuchs an
       
       Der Kampf iranischer Frauen und Transpersonen gegen diesen Zwang hatte
       bereits viel früher begonnen: Frauen waren die erste soziale Gruppe, die
       kurz nach der Revolution 1979 gegen das Diktat des Hidschab von
       Revolutionsführer Ruhollah Khomeini auf die Straße gingen. Damals
       unterstützten sie weder politische Kräfte noch die meisten Männer. Eher im
       Gegenteil: Viele Männer hielten das Problem für zu banal, um dafür gegen
       Khomeini vorzugehen.
       
       Was sie damals nicht verstanden: Wer den Zwang zum Kopftuch, auch Hidschab
       genannt, durchsetzt, gewinnt letztlich die Möglichkeit, die Sexualität der
       gesamten Gesellschaft zu kontrollieren. Neben der freien Kleiderwahl von
       Frauen wurden auch gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie der freie
       Ausdruck der Geschlechtsidentität kriminalisiert.
       
       Doch in den letzten Jahren wuchs der Kampf in Iran gegen die
       Zwangsverschleierung. Etwa durch die im US-Exil lebende Aktivistin Masih
       Alinejad, die unter dem Hashtag #MyStealthyFreedom Frauen aufrief, Bilder
       von ihrer „heimlichen Freiheit“ ohne Hijab zu teilen. Oder 2018, als sich
       das Phänomen „Die Töchter der Revolutionsstraße“ verbreitete: Frauen und
       später auch Transpersonen nahmen ihre Kopftücher ab und warteten in Ruhe
       auf ihre Festnahme durch die Polizei.
       
       Der Konflikt hat sich zu einer Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern
       und den Gegnern des iranischen Systems entwickelt: Im Juli 2022 wurde
       Sepideh Rashno in Teheran festgenommen. Eine junge Frau, die von einer
       anderen Frau wegen ihrer Kleidung zurechtgewiesen wurde. Nachdem sie sich
       weigerte, deren Forderungen nachzukommen, drohte diese ihr, sie bei der
       Revolutionsgarde anzuzeigen. [3][Nach 47 Tagen Haft und einem erzwungenen
       Geständnis] wurde sie schließlich auf Kaution freigelassen.
       
       ## Ein vom Staat begangener Femizid
       
       Die landesweiten Proteste der Frauen und Genderminderheiten in Iran
       passieren also nicht auf einmal und nicht in einem Vakuum. Die sich schnell
       verbreitenden Bilder von Frauen, die kollektiv ihre Kopftücher abnehmen und
       diese anzünden, sich öffentlich die Haare abschneiden, sind eine klare
       Ansage gegen das Regime. Der Staat wollte mit seinem Vorgehen gegen Sepideh
       Rashno, Zhina Amini und viele andere seinen Kampf gegen Gendergerechtigkeit
       intensivieren. Jetzt sagen viele Iranerinnen – und viele Männer – dem
       gesamten System den Kampf an.
       
       In Iran wird gerade feministische Weltgeschichte geschrieben. Die
       Protestierenden stellen klar: Zhina Aminis Tod war ein vom Staat begangener
       Femizid. Genderbezogene Parolen bei den Demonstrationen werden nun mit dem
       wichtigsten Protestruf der letzten Jahre gekoppelt: „Nieder mit der
       Diktatur!“
       
       21 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Proteste-in-Iran/!5883140
 (DIR) [2] /Frauenrechte-in-Iran/!5879321
 (DIR) [3] https://iranjournal.org/news/27-000-euro-kaution-fuer-sepideh-rashno
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mina Khani
       
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