# taz.de -- Todesurteil für LGBTQI-Aktivistinnen: „Gefängnis im Iran ist die Hölle“
       
       > Shadi Amin setzt sich für LGBTQI-Rechte im Iran ein. Zwei Frauen wurden
       > dort nun zum Tode verurteilt. Ein Gespräch über Sichtbarkeit und
       > Repression.
       
 (IMG) Bild: Sareh Sedighi sprach öffentlich über ihre lesbische Beziehung und wurde daraufhin verhaftet
       
       taz: Frau Amin, die Iranerinnen Sareh (Zahra) Sedighi-Hamedani und Elham
       Choobdar sind zum Tode verurteilt worden. Die Vorwürfe des Staates lauten:
       „Verbreitung der Korruption auf der Erde“ und „Werbung für Homosexualität“.
       Was genau ist damit gemeint? 
       
       Shadi Amin: Die gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen können im
       iranischen Strafgesetz mit Peitschenhieben und der Todesstrafe bestraft
       werden. Seit einiger Zeit können wir immer häufiger beobachten, wie das
       iranische Justizsystem den vagen Strafvorwurf der „Korruption auf Erden“
       gegen LGBTQI-Personen verwendet.
       
       Somit werden LGBTQI-Personen mit einer Anklage geahndet, die unter die
       Kategorie des organisierten Verbrechens fällt und auch längere Haftstrafen
       oder die Todesstrafe mit sich bringt. Dies ermöglicht eine Strafverfolgung
       von LGBTQI-Personen, selbst wenn der Strafvorwurf von
       gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen nicht vorliegt.
       
       Was genau wissen wir von diesen beiden Fällen? 
       
       Wir wissen, dass Sareh Sedighi die Mutter von zwei Kindern im Alter von 14
       und 16 ist. Sedighi selbst ist 31 Jahre alt, lesbisch und war nach ihrer
       Verhaftung in Isolationshaft. Dort wurde sie unter Druck gesetzt,
       Geständnisse abzugeben. So sollte sie die Vorwürfe der Iranischen
       Revolutionsgarde (IRGC) mit der Absprache über eine verminderte Strafe oder
       Freilassung akzeptieren. Sedighi hat sich dem widersetzt und ist bis heute
       in ihrer Aussage standhaft geblieben. Sie hat kein erzwungenes
       Schuldgeständnis abgegeben.
       
       Wie ist es bei Choobdar? 
       
       Leider hat Choobdar das Versprechen von Strafminderung und Freiheit
       geglaubt, jedoch wurde ihr Geständnis, wie in vielen anderen bekannten
       Fällen, gegen sie verwendet. Dazu würde ich empfehlen, den 6RANG-Bericht
       über erzwungene Geständnisse zu lesen. In diesem wird erklärt, wie der
       iranische Staat die Zwangsgeständnisse als elementare Methode der
       Repression verwendet.
       
       Welche Repressionen werden im Fall Sedighis und Choobdars angewandt? 
       
       Beide Gefangene haben sehr eingeschränkte Zugänge zu ihren Anwälten. Sowohl
       die Anwälte als auch beide Familien stehen unter immensem Druck, nicht in
       der Öffentlichkeit über die Fälle zu sprechen. Wir wissen auch, dass Sareh
       Sedighi einen sehr beliebten Telegram-Kanal mit 1.200 Mitgliedern hatte,
       manche von Choobdars TikTok-Videos wurden über eine Millionen Mal gesehen.
       (Anm. d. Red.: Diese Kanäle wurden zum großen Teil schon gelöscht.) Nach
       Sedighis Verhaftung hat die IRGC ihren Telegram-Kanal gehackt und darin die
       „Werte der islamischen Familie“ propagiert.
       
       Wo sind die beiden inhaftiert? 
       
       Sedighi und Choobdar sind im zentralen Gefängnis in Urumieh, in der
       westaserbaidschanischen Provinz im Iran.
       
       Und wie sind die Haftbedingungen dort? 
       
       Haftbedingungen sind immer und überall sehr unangenehm, aber in den
       iranischen Gefängnissen sind die Bedingungen bei weitem unmenschlicher als
       in vielen anderen Ländern und absolut nicht vergleichbar mit dem, was wir
       aus funktionierenden Rechtsstaaten kennen. Vor allem in Bezug auf
       politische Gefangene, Minderheiten (insbesondere Frauen) und Gefangene, die
       im Ausland für Aufruhr sorgen, ist jede Sekunde in iranischen Gefängnissen
       die Hölle.
       
       Inwiefern? 
       
       Sie stehen unter enormem Druck und sind isoliert. Unter Androhung
       physischer Gewalt, psychischer Folter, sexueller Gewalt und anderer
       tyrannischer Methoden werden Gefangene oftmals zu falschen Geständnissen
       gezwungen oder auch zum Suizid getrieben. Sedighi hat kürzlich im Gefängnis
       einen Suizidversuch unternommen. Glücklicherweise wurde sie nach einem Tag
       Krankenhausaufenthalt gerettet und wieder zurück ins Gefängnis gebracht –
       unter strenger Aufsicht der IRGC.
       
       Sie sind mit vielen iranischen LGBTQI-Jugendlichen in Verbindung. Wie ist
       die Stimmung dort? 
       
       Sie haben Angst. Das war auch das Ziel dieser Urteile. Wir wissen, dass die
       iranische LGBTQI-Community in den letzten Jahren sichtbarer geworden ist
       als je zuvor. Das ist ein Angriff auf diese Sichtbarkeit. Wir wissen auch,
       dass diese Sichtbarkeit ohne die Arbeit der Community in den sozialen
       Medien kaum möglich war.
       
       Deshalb ist diese Art der Verhaftung im Zusammenhang mit der Arbeit von
       Sareh Sedighi auf Instagram und Telegram, so wie später das Interview mit
       BBC-Farsi, sehr wichtig. Dort sprach Sedighi öffentlich von ihrer
       Zwangsehe. Falls die iranische Regierung nicht gestoppt wird, wächst mit
       der Angst in der iranischen LGBTQI-Community auch die Verantwortung der
       Exil-Aktivist_innen, den Kampf gegen die sexuelle und
       Gender-Ungerechtigkeit fortzusetzen.
       
       Ist das Alltag oder sind Repressionen gegen die LGBTQI-Community im Moment
       besonders stark? 
       
       Wir beobachten momentan einen massiveren Einsatz der IRGC und anderer
       iranischer Unterdrückungsorgane gegen die LGBTQI-Community als je zuvor.
       Die Gesetze, Strafen und Verhaftungen gegen Mitglieder der LGBTQI-Community
       nehmen immer weiter zu.
       
       Welche Gefahren bringen solche Urteile wie Sedighis und Choobdars für die
       Zukunft der LGBTQI-Community im Iran? 
       
       Sollte der internationale Druck nicht dazu führen, dass das Urteil
       widerrufen wird, müssen wir in Zukunft Zeug_innen weiterer Hinrichtungen
       werden. Das wird zwangsläufig dazu führen, dass es weniger gewagt wird,
       gegen die sexuelle und genderspezifische Ungerechtigkeit zu kämpfen und
       dass die Motivation zum Aktivismus immer weniger wird.
       
       Sie denken, internationaler Druck könnte dazu führen, die Vollstreckung zu
       verhindern? 
       
       Es ist wichtig, dass der internationale Aufschrei gegen diese Urteile immer
       lauter wird, vor allem Deutschland muss wegen seiner entscheidenden Rolle
       in der EU hier stark Position beziehen und alle diplomatischen Instrumente
       einsetzen, um Sedighis und Choobdars Leben zu retten.
       
       Was ist nach der Verhaftung passiert? 
       
       6RANG hat nach der Verhaftung von Sedighi ein Video veröffentlicht, auf
       ihren eigenen Wunsch. Darin sagt sie: „Ich möchte, dass Sie wissen, wie
       viel Druck wir LGBT-Menschen aushalten. Wir riskieren unser Leben für
       unsere Gefühle, aber wir werden unser wahres Selbst finden. Ich hoffe, dass
       der Tag kommen wird, an dem wir alle in Freiheit in unserem Land leben
       können.“
       
       Ist das Urteil schon rechtskräftig? Was sollte noch getan, werden um diese
       Urteile zu verhindern? 
       
       Das Urteil ist rechtskräftig, aber momentan sind Sedighi und Elham noch in
       der berechtigten Zeit, um Berufung einzulegen. Im Iran werden Fälle von so
       großer Bedeutung wie in Sedighis und Elhams Fall leider viel zu schnell und
       hinter verschlossenen Türen abgetan, damit so wenig Informationen wie
       möglich an die Öffentlichkeit durchdringen. Es gibt somit kein wirklich
       faires Verfahren, und das Urteil wird prompt nach der Ausschöpfung der
       Berufungswege vollstreckt. Wir haben nur ein sehr kleines Zeitfenster, um
       Sedighi und Elham zu retten.
       
       Transparenzhinweis: Die Autorin hat früher für 6RANG gearbeitet, Shadi Amin
       war ihre Chefin.
       
       19 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mina Khani
       
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