# taz.de -- Pipeline-Lecks und Gaspreisbremse: Blubbern auf allen Kanälen
       
       > Die Löcher im Bauch unseres Autors sind besser als Lecks in Gasleitungen.
       > Die Lage muss ernst sein, wenn Lindner Geld für Menschen rausrückt.
       
 (IMG) Bild: Unter Anderem wurde Günter Wallraff diese Woche 80 Jahre alt
       
       Ich bekenne: In dieser Woche bin ich mehrmals zwischen Kreuzberg und
       Wedding hin und her gependelt, um mir in einem wildfremden Bezirk
       medizinische Hilfe angedeihen zu lassen und dann einfach wieder
       heimzufahren. Nach den [1][Maßstäben von Friedrich Merz bin ich also ein
       Sozialtourist].
       
       Mein schlechtes Gewissen wird noch schlimmer, weil ich meine in einem naiv
       gastfreundlichen Sozialsystem frech erschlichene Beute dreisterweise auch
       noch eingesteckt und nach Hause mitgenommen habe. Da liegt er nun, der
       Gallenstein, in einem Gläschen, und sorgt für neuen Glanz in Kreuzberg, das
       doch immer so viel dreckiger war als Sylt und Brilon. Der erst aus mir und
       dann aus dem Krankenhaus entfernte Stein ist heller als üblich, wurde mir
       gesagt, geradezu fröhlich zitronengelb leuchtend, was laut
       Krankenschwestern auf ein sonniges Gemüt hindeutet.
       
       Schätze, das werde ich auch noch brauchen. Denn wenn Merz das wüsste, dass
       ich mich nach meiner kostenlosen Grundversorgung am westlichen
       Gesundbrunnen gleich wieder fröhlich in mein finsteres Wohngebiet
       zurückgewagt habe, ohne vorher eine schriftliche Erlaubnis meiner
       großzügigen Schutzherren einzuholen! Und wenn der saure Sauerländer auch
       noch erfährt, dass Kreuzberg gar kein kaputtes Katastrophengebiet mehr ist,
       wie in den 80ern, was dann?
       
       Dann wird er womöglich richtig böse. Ja, was mache ich nur, wenn Retro-Merz
       bald Kanzler wird. Nach den Umfragen in dieser Woche (vor Habeck auf Platz
       eins) und den Ermüdungserscheinungen der Ampel scheint das gar nicht mehr
       unmöglich. Wird mir der Stein dann zur Strafe wieder eingepflanzt? Oder ist
       unsere Angst vor Merz genauso oldschool wie sein Weltbild und seine
       Warnungen vor den ukrainischen Touristen, die ihr Land sicher nur zum
       Spaß verlassen, um sich hier Sozialhilfe abzuholen?
       
       ## In Italien ist die halbe Pizza braun
       
       Ich jedenfalls soll noch zu Hause bleiben und Ruhe bewahren. Also tue ich
       mein Bestes und beruhige mich: Immerhin ist der viel befischte „rechte
       Rand“, von dem stets die Rede ist, jetzt wohl schwer enttäuscht, weil Merz
       sich schon nach zwei Stunden windelweich entschuldigt hat. Außerdem ist
       dieser „Rand“ bei uns noch nicht so groß wie in Schweden mit seinen
       köttbullarfarbigen Demokraten oder in [2][Italien, wo seit Sonntag schon
       die halbe Pizza braun ist].
       
       Zum Glück soll ich solche fetten Sachen gerade eh nicht essen. So gerate
       ich auch nicht in Versuchung, einen der albern-trotzigen „Ich gehe weiter
       zum Italiener“-Posts zu posten, woran mich die vier Pflaster auf den vier
       Löchern in meinem Bauch bitte weiter streng erinnern mögen.
       
       Immer noch besser als [3][vier Lecks in Gaspipelines,] die zu Blubbern in
       der Ostsee und auf allen TV-Kanälen führen, zu Klimabelastungen in jeder
       Hinsicht und einer hübschen „Spekulationsblase“ auf dem taz-Titel. Waren
       es die Russen oder doch die Amis? Welche Gasleitung ist überhaupt noch
       sicher? Meine medizinische Immobilmachung hat dazu geführt, dass ich in
       dieser Woche nicht alle neuen Schreckensmeldungen minütlich live verfolgen
       konnte. So verpasste ich auch Putins jüngste Atomkriegsdrohung und die
       Debatte über die Medienkritik von Welzer/Precht. Ein klarer Vorteil einer
       Vollnarkose.
       
       Wieder richtig aufgewacht bin ich erst, als Olaf Scholz von einem
       „Doppelwumms“ sprach. [4][200 Milliarden Euro als „Abwehrschirm“] gegen die
       Energiekosten. Zweimal so viel wie für die Aufrüstung. Es muss echt ernst
       sein, wenn Lindner Geld für Menschen rausrückt.
       
       Oder ist das am Ende gar nicht Lindner, sondern [5][Günter Wallraff], der
       sich verkleidet und leicht verjüngt ins Kabinett eingeschlichen hat,
       während der störrische Finanzminister irgendwo weggesperrt wurde?
       Zuzutrauen wäre es Wallraff, der die Welt schon immer sozialer machen
       wollte, mutig und erfolgreich. Ich fühle mich mit ihm seit einem Schülerjob
       als Spüler in der Krankenhausküche eng verbunden, als jemand auf dem
       Dienstplan neben meinen Nachnamen „Ganz unten“ geschrieben hat. Eine schöne
       Erinnerung, die mir jetzt sogar das Essen in der Klinik versüßt hat.
       
       In diesem Sinne alles Gute zum 80., lieber Namensvetter!
       
       1 Oct 2022
       
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