# taz.de -- Kämpferinnen-Kunst in Hamburg: Mutige Frauen
       
       > Die Kunst der Hamburgerin Leyla Yenirce spielt immer wieder an auf die
       > große Politik. Dabei ist sie frei von Didaktik und im besten Sinne
       > überwältigend.
       
 (IMG) Bild: Dunkel, laut, windig: Leyla Yenirces Installation im Kunsthaus Hamburg
       
       Es ist dunkel, es ist laut und – windig. Wer den Ausstellungsraum des
       Hamburger Kunsthauses betritt, dem pustet es gehörig entgegen. Fünf
       Propeller stehen da, einen Bogen bildend, auf menschenhohen Gestellen.
       Dahinter eine ebenfalls gebogene Leinwand. Auf diese drei mal zehn Meter
       werfen zwei Beamer Bilder von schwarzem Haar, sich bewegend, bewegt wie,
       eben, vom Wind.
       
       Und das Laute ist Musik, auch von der multidisziplinär arbeitenden
       Künstlerin (die [1][auch mal taz-Kolumnistin] war): Mal brachial, wie aus
       Maschinenlärm und Menschenschreien komponiert, dann wummert es wie im Bauch
       eines Kutters, daraus werden auf spröde Weise anrührende flächige
       Elektronika. Irgendwann schälen sich Stimmen heraus, Frauenstimmen auf …
       Türkisch? Kurdisch? Jetzt spricht eine junge Frau Englisch, sagt irgendwas
       von „internationalist“ und von „Rojava“.
       
       Kaum möglich in diesen Tagen, nicht an den Iran zu denken, an den Mut der
       Frauen, ihre Gesten: Das Haar zeigen, wo sie es doch eigentlich nicht
       dürften. Ein schönes Beispiel für einen Bedeutungsüberschuss: Als die
       Nachrichtenbilder von abgelegten, zerschnittenen, verbrannten Hidschabs um
       die Welt gingen, war Leyla Yenirces [2][noch bis Anfang Dezember zu
       besuchende Videoinstallation] „Nacht. Schlaf. Die Sterne“ schon fertig.
       
       Aber durchzogen vom Politischen, der Weltlage, ist diese kein bisschen
       didaktische Arbeit halt doch: Die Propeller sind die Produkte eines
       deutschen Zulieferers für die Drohnenindustrie, und dass sie nun für eine
       Kunstinstallation gespendet wurden, hat zu tun mit den guten Geschäften im
       Rüstungs- und Sicherheitssektor. Die Frauen, die wir hören, aber vielleicht
       nicht verstehen, das ist zum einen [3][Lamiya Aji Bashar], eine dem
       sogenannten Islamischen Staat entkommene jesidische Aktivistin,
       ausgezeichnet mit dem Sacharow-Preis für Menschenrechte. Und die Britin
       Anna Campbell, die sich im syrischen Teil Kurdistans den Truppen Bashir al
       Assads entgegenstellte und am Ende [4][vom türkischen Militär] getötet
       wurde.
       
       Aber das sind die Schichten von Inhalt, die man sich erarbeiten muss.
       Eindrucksvoll ist diese im besten Sinne überwältigende Installation aber
       auch ganz ohne solches Wissen. Und so lassen sich auch ganz andere
       Anschlüsse finden: Weiß man etwa, dass das Schwarze Haar auf der Leinwand
       Kunsthaar ist, führt das nicht direkt hinein in die gegenwärtigen
       [5][Kämpfe um Geschlechtsidentität und Selbstbestimmung]?
       
       Und erinnern die sich drehenden Rotoren nicht auch an – Windkraftanlagen?
       Von denen zumindest spricht Yenirce vor Publikum mit Kunsthaus-Kuratorin
       Anna Nowak: Diese Dinger prägen ja die Gegend ums niedersächsische
       Oldenburg herum, wo Yenirce aufwuchs in einer sozialistischen, jesidischen
       Familie. Diese Assoziation eröffnet auch eine mögliche Lesart des Titels
       der laufenden Ausstellung: „So Much Energy“.
       
       Eine norddeutsche, nicht gut ausgegangene Frauen-Geschichte liegt dem
       ganzen zugrunde: Yenirces Beschäftigung mit Anita Rée, jüdische Malerin aus
       Hamburg, die sich 1933 auf Sylt das Leben nahm. Im Kunsthaus-Foyer sind
       ergänzend [6][die Vorarbeiten zur Installation] drinnen zu sehen: ein
       Video, entstanden bei Yenirces Rée-Recherchen, dazu ein Nachbau eines Teils
       ihrer Wohnung: ein Sekretär mit echtem Krimskrams darin, auf dem Boden
       Schuhe und Musik-Equipment, an der Wand mehrere Jahre alte Kalender. Ein
       intimer Gegenschuss zu Weltlage und Nachrichtenbild, aber wie wenig das
       eine zu trennen ist vom anderen: Darum geht es hier ja gerade.
       
       23 Oct 2022
       
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