# taz.de -- Junge, politische Kunst in München: Dem Trauma einen Ton geben
       
       > Leyla Yenirce, Paul Kolling und Shaun Motsi stellen im Münchener Haus der
       > Kunst aus – und setzen sich dabei mit Politik und Ökonomie auseinander.
       
 (IMG) Bild: Optisch minimal, klanglich immersiv: „Holy Water“ von Leyla Yenirce, Haus der Kunst 2023
       
       Als Musikerin mit dem Namen [1][Rosaceae] ist sie einigen bekannt. Ihr
       Sound changiert zwischen Ambient, Noise und Techno. In letzter Zeit taucht
       Leyla Yenirce – so ihr bürgerlicher Name – immer wieder auch als bildende
       Künstlerin auf. Wie jetzt im Haus der Kunst in München.
       
       Ihre Klanginstallation „Holy Water“ verhandelt dort das grausame Schicksal
       der jesidischen Frauen und Mädchen, die 2014 und danach von den Kriegern
       des sogenannten Islamischen Staats gefoltert und vergewaltigt wurden, viele
       starben. Im Lalish, einem heiligen Tempel der Jesiden im Norden Iraks,
       wurde ein Ritual zur Wiederherstellung der Ehre dieser Frauen erschaffen.
       Sie werden dann ein zweites Mal getauft. Durch diese reinigende Handlung
       erlangen sie ihre Würde wieder und können erneut Mitglieder der jesidischen
       Glaubensgemeinde werden. Dieses Recht hatten sie als Opfer sexuellen
       Missbrauchs verloren.
       
       Yenirce hat nun einen poetischen, schon auch überpathetischen Klangteppich
       komponiert und unterlegt ihn mit Geräuschen vom Taufereignis. Die BBC hatte
       dieses besondere Zeremoniell im Lalish dokumentiert. Deren Aufnahmen nutzt
       nun Yenirce. In ihrer visuell so minimalen Installation verwebt sie alte
       Kulturtechniken, religiösen Kult und hochaktuelle (und offenbar nie
       versiegende) Gräuel zu einer dahinfließenden Musik. Sphärisch und zugleich
       basslastig gibt diese dem Trauma einen körperlich immersiven Klang.
       
       Die 1992 geborene Yernice ist neben Paul Kolling (Jahrgang 1993) und Shaun
       Motsi (Jahrgang 1989) Trägerin des Ars-Viva-Preises 2022. Es ist Teil
       dieser Auszeichnung, jetzt im Haus der Kunst eine Ausstellung auszurichten.
       Alle drei widmen sich darin ökologischen, ökonomischen oder politischen
       Themen.
       
       ## Prominente Liste
       
       Seit 1953 vergibt der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI
       (Bundesverband der deutschen Industrie e.V.) den Ars-Viva-Preis an
       Nachwuchskünstler, die in Deutschland leben. Mehr als 350 Künstler und
       Künstlerinnen wurden im Lauf der Jahrzehnte geehrt. Die Liste ist prominent
       besetzt: Georg Baselitz, Katharina Sieverding, Albert Oehlen, Rosemarie
       Trockel, Candida Höfer, Thomas Ruff, Wolfgang Tillmanns, Thomas Struth,
       Jeanne Faust, Omer Fast und Peter Piller.
       
       Paul Kolling, der zweite Preisträger, wendet sich mit einer raumfüllenden
       Installation samt Video der haarsträubend unklaren, man kann auch sagen
       unsauberen Preisgestaltung auf dem Energiemarkt zu. Er verweist im Münchner
       Haus der Kunst auf die Architektur der Handelsgepflogenheiten der in
       Leipzig etablierten europäischen Energiebörse. Sie erwecken ein Übermaß an
       wirtschaftsethischen Fragen.
       
       Die [2][heroische Architektur der Institution] thematisiert Kolling mit
       einem riesigen, den Raum transversal schneidenden, mit Stoffbahnen
       bespannten Wall. Der alles beherrschende Blick über die Stadt vom Hochhaus
       der European Energy Exchange (EEX) wird darauf als Fotopanorama
       festgehalten.
       
       Shaun Motsi schildert in einem gut halbstündigen Video die Veränderungen in
       der derzeitigen Wissensbildung. Er lässt darin einen nach alter Schulmanier
       Lehrenden mit den radikalen Vorstellungen einer
       Online-Edutainment-Plattform (Masters) aneinandergeraten. Und er macht das
       mit Witz, Tempo und einer guten Portion Drama.
       
       22 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annegret Erhard
       
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