# taz.de -- Ankommen in Apulien: Wo es blass ist, lass dich nieder
       
       > Zweieinhalb Jahre lang hat unsere Autorin in einem ausgebauten Lkw
       > gelebt. Jetzt fragt sie sich: Wie finde ich heraus, wo ich bleiben will?
       
 (IMG) Bild: Apulien im Sommer: Gräser und Sträucher, die fast alle Farbe verloren haben
       
       Die Farben in Apulien sind sehr eigen. Wenn ich ein Adjektiv finden müsste,
       würde ich sagen: blass. Oder mild. Jedenfalls das Gegenteil von
       aufdringlich. In [1][der Hacke des italienischen Stiefels] gibt es Gräser
       und Sträucher, die im Sommer fast alle Farbe verloren haben, einen Himmel,
       der oft zartblau statt aufdonnernd daherkommt, endlose Plantagen von
       Olivenbäumen in sanftem Lindgrün auf staubigem Boden.
       
       So wie die Farben ist auch Apulien selbst: angenehm zurückgenommen. Keine
       Bettenburgen, Tourist:innen fast nur an der Küste. Im Landesinneren
       weißgetünchte Dörfer, wo man Lebensmittel noch einzeln kauft, in der
       Käserei, in der Metzgerei, beim Gemüsemann; diese Dörfer, auf die
       Konservative und Linke sich einigen können in ihrer Idealisierung.
       Keineswegs tot, sondern abends voller Leben.
       
       Aber wie weiß man eigentlich, ob das jetzt ein Ort zum Bleiben ist? Weil
       die Farben mild sind, der Mozzarella der beste, das Meer so klar? Sind das
       Argumente?
       
       Ich war nie sonderlich gut darin, an einem Ort zu bleiben. Zweieinhalb
       Jahre lang habe ich größtenteils in einem ausgebauten Lkw gelebt. Ein Wagen
       verschafft wie kaum etwas die Möglichkeit, andere Welten und Milieus zu
       entdecken, an allen Rändern der Gesellschaft zu sein, mit viel Zeit die
       eigene Sicht herauszufordern. Es war eine der besten Entscheidungen, die
       ich je getroffen habe. Und alle in Deutschland schienen das gut zu finden.
       Team A: Wow, das wäre mein Traum, was für ein Leben. Oder Team B: Wow, wäre
       nicht mein Ding, aber was für ein Leben. [2][Reisen und arbeiten.]
       
       Wie aber erklärt man denselben Leuten, dass das Modell doch nichts war? Es
       fühlt sich wie Scheitern an. Dabei hätte ich es wissen müssen. Früher, zu
       Backpackerzeiten, waren da diese naiven rich kids, die davon schwärmten,
       ein ganzes Jahr reisen zu können. Solche Leute wirkten nach spätestens
       sechs Monaten abgestumpft, gleichgültig, müde. Zu viele Reize. Reisen
       verlor die Besonderheit. Glückwunsch, ich bin in die älteste
       Backpackerfalle getappt.
       
       Aber natürlich gibt es kein Zurück. Wieder fest in Deutschland leben,
       könnte ich niemals. Also eine Mischform, erwachsen vielleicht, blass,
       zurückgenommen. Mal fest und mal frei. Und vielleicht mit Basis in Apulien.
       Weil Wohnraum da bezahlbar ist. Weil es in unmittelbarer Nähe liegt zum
       afrikanischen Kontinent, zum Balkan und nicht furchtbar weit vom Nahen
       Osten: ein guter Schnittpunkt zwischen Reisen.
       
       Und auch wenn das irrational sein mag, gefallen mir die Farben. Sieht so
       Heimat aus? Ich werde das vielleicht herausfinden, in dieser Kolumne
       zwischen Bleiben und Gehen, Ruheort und Horizont. Hin und weg.
       
       13 Nov 2022
       
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