# taz.de -- Antisemitismusbeauftragter gegen Twitter: Kampagne vor Gericht
       
       > Ein Journalist aus Israel diffamierte den baden-württembergischen
       > Antisemitismusbeauftragten Michael Blume auf Twitter. Der verklagt die
       > Plattform.
       
 (IMG) Bild: Klagt gegen Twitter: Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg
       
       FREIBURG taz | „Hass darf kein Geschäftsmodell sein“, sagt Michael Blume,
       der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Baden-Württemberg. Er verlangt
       daher von Twitter, alle Tweets einer gegen ihn gerichteten
       Verleumdungskampagne dauerhaft zu löschen. An diesem Donnerstag verhandelt
       das Landgericht Frankfurt/M. über seinen Eilantrag.
       
       Das war passiert: Im Juli hatte Blume auf der Seite einer US-Amerikanerin
       namens Amy einen Geburtstagsgruß hinterlassen. „Happy Birthday“, dazu ein
       Luftballon-Emoji, mehr nicht. Dies sah der rechte Anwalt Joachim Steinhöfel
       und twitterte: „Was für eine Überraschung für die gerade Volljährige, als
       ihr der vielbeschäftigte @beauftragtgg so süß gratuliert.“ Daraus machte
       dann Benjamin Weinthal, Europa-Korrespondent der Jerusalem Post, eine
       Kampagne. Er unterstellte dem verheirateten Blume Seitensprungabsichten bis
       hin zu pädophilen Neigungen. Dabei ist Amy über 30 Jahre alt (auch wenn sie
       jünger wirkte). Weinthal aber fragte die Stuttgarter Landesregierung, ob
       sie Blumes „sexuelles Fehlverhalten“ billige.
       
       Weinthal ist für Blume kein Unbekannter. Schon seit Jahren versucht der
       Journalist, den viele für einen rechten Troll halten, ausgerechnet den
       Antisemitismusbeauftragten Blume als „Antisemiten“ zu diffamieren. Meist
       wirft Weinthal ihm vor, nicht entschlossen genug gegen Vorgänge zu
       protestieren, die Weinthal skandalös findet, etwa die Freiburger
       Städtepartnerschaft mit Isfahan im Iran.
       
       Der Angriff auf sein Privatleben und die Unterstellung von Ehebruch und
       Pädophilie war für Blume aber eine neue Qualität. Er forderte Twitter auf,
       46 Tweets aus dieser Kampagne zu löschen. Twitter löschte jedoch nur drei
       der Postings, ohne Begründung für die Auswahl.
       
       ## Organisation Hate Aid kritisiert Twitter
       
       Josephine Ballon, Rechtsexpertin der NGO Hate Aid, die den Prozess
       finanziert, kritisiert die Plattform: „[1][Twitter kommt seinen
       Moderationspflichten offensichtlich nicht nach.] Es entsteht der Eindruck,
       dass Meldungen durch Algorithmen oder künstliche Intelligenz schnell
       abgelehnt werden, ohne dass sie überhaupt ein Mensch gesehen hat.“ Hate
       Aid-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg ergänzt: „Das ist leider kein
       Einzelfall, sondern ein Muster: Wir erleben immer wieder, dass Plattformen
       gezielte Hasskampagnen trotz Kenntnis einfach laufen lassen und Meldungen
       der Betroffenen ignorieren.“
       
       Als Anwalt hat sich Blume den Würzburger Chan-jo Jun gewählt, einen der
       führenden IT-Rechtsanwälte Deutschlands. Er macht eine Verletzung des
       Persönlichkeitsrechts von Blume geltend. Den Löschungsanspruch stützt
       Anwalt Jun auf die Paragraphen 823 Absatz 1 und 1004 des Bürgerlichen
       Gesetzbuchs.
       
       Es geht in Frankfurt also nicht direkt um das seit 2017 geltende NetzDG
       [2][(Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten in sozialen
       Netzwerken)]. Danach ist Twitter zwar auch verpflichtet. Beleidigungen und
       Verleumdungen binnen einer Woche nach der Meldung zu entfernen. Allerdings
       können Betroffene dies nicht vor Gericht einklagen. Jun betont jedoch, dass
       Twitter auch seine NetzDG-Pflichten verletzt habe, zum Beispiel weil Blume
       keine Möglichkeit angeboten wurde, die Nicht-Löschung der Tweets intern
       noch einmal prüfen zu lassen. Jun hält es sogar für möglich, dass der neue
       Twitter-Eigner Elon Musk bereits soviele Mitarbeiter gefeuert oder
       vergrault hat, dass Twitter schon personell nicht mehr in der Lage ist,
       seine gesetzlichen Pflichten zu erfüllen.
       
       Anwalt Jun beruft sich auf den Fall Künast 
       
       Twitter verteidigt sich gegen Blumes Klage mit dem Hinweis, dass der
       Account von Benjamin Weinthal bereits seit Anfang Oktober gesperrt ist.
       Dies war zwar keine direkte Folge von Blumes Beschwerde, weil Weinthal auch
       viele andere Leute angreift und diffamiert. Allerdings hat die Sperrung von
       Weinthals Twitter-Account zur Folge, dass auch seine Tweets gegen Blume
       derzeit nicht sichtbar sind.
       
       Anwalt Jun hält den Eilantrag Blumes dennoch für gerechtfertigt. „Der
       Account kann jederzeit wieder freigeschaltet werden und dann sind auch alle
       diffamierenden Tweets wieder da“. [3][Jun verweist auf die Ankündigung von
       Elon Musk, so wenig wie möglich einzugreifen.] Außerdem seien die
       Diffamierungen längst von anderen Twitter-Nutzer:innen übernommen worden.
       Jun hat deshalb beantragt, dass Twitter alle identischen oder
       „kerngleichen“ Äußerungen suchen muss, um diese ebenfalls zu sperren.
       
       Jun kann sich dabei auf ein Urteil des Landgerichts Frankfurt/M. aus dem
       April berufen. Damals war Facebook im Zusammenhang mit einem manipulierten
       Zitat von Renate Künast zur Kinderpornografie verurteilt worden, alle
       identischen und kerngleichen Memes zu suchen und zu löschen. Allerdings hat
       Facebook/Meta gegen das Künast-Urteil Berufung eingelegt, über die das
       Oberlandesgericht Frankfurt/M. erst im Juni 2023 verhandelt.
       
       Die Entscheidung im Eilverfahren „Blume gegen Twitter“ wird bereits in den
       kommenden Tagen erwartet.
       
       23 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Elon-Musk-und-die-Twitter-Belegschaft/!5895926
 (DIR) [2] /Hate-Speech-im-Netz/!vn5743894
 (DIR) [3] /Folgen-von-Twitter-Kauf/!5888738
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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