# taz.de -- Netzexpertin über digitale Gewalt: „Hatern nicht das Feld überlassen“
       
       > Hass im Internet bleibt nicht rein digital, sondern schränkt das Leben
       > Betroffener stark ein, sagt Katharina Nocun. Sie sieht dringenden
       > Handlungsbedarf, um Menschen besser zu schützen.
       
 (IMG) Bild: „Ich könnte alles anzeigen, aber das schaffe ich einfach nicht“: Netzexpertin Katharina Nocun
       
       taz: Frau Nocun, eine Ärztin in Österreich ist massiven Bedrohungen im Netz
       und im realen Leben ausgesetzt. [1][Jetzt ist sie tot.] Müssen wir uns an
       solche Fälle gewöhnen? 
       
       Katharina Nocun: Nein, sondern wir müssen vielmehr aus solchen
       schrecklichen Ereignissen Konsequenzen ziehen. Und das heißt ganz
       eindeutig: Wir brauchen einen effektiven und starken Schutz für Opfer von
       Bedrohungen aus dem rechten und verschwörungsideologischen Milieu. Ein Teil
       der Gesellschaft hat diese Bedrohungen immer noch als harmlos abgetan. So
       nach dem Motto: Ja, die schreiben ja nur. Das kann ja ein 14-jähriger
       Teenager sein, der das schreibt. Aber für die Betroffenen sieht die
       Situation vollkommen anders aus. Man muss sich einfach klarmachen: Es gibt
       ein reales Gewaltpotenzial in der Szene.
       
       Wird die [2][Gefahr, die im Netz begann], nicht ernst genommen? 
       
       Meine Wahrnehmung ist, dass sich bei den Behörden in den letzten Jahren
       zumindest etwas verändert hat und man Kontakt zu den Opfern sucht. Das ist
       sicher auch eine Folge des NSU 2.0. In meinem Alltag erschlägt mich einfach
       die Menge. Ich poste zum Beispiel einen Thread zum Thema Maskenpflicht oder
       ein Bild von meinem Oberarm, dass ich mir die vierte Impfung geholt habe –
       und ich werde von einer Welle an Hass überrollt. Da ist alles dabei. Ich
       werde als Schlampe oder Fotze beschimpft. Andere sagen mir, dass der Tag
       der Abrechnung kommen wird oder ich dafür bezahlen werde. Vieles ist
       schwammig, aber es ist trotzdem eine Drohung enthalten. Es geht nicht nur
       um so ein bisschen Hass, sondern das Leben der Betroffenen ist stark
       einschränkt.
       
       Wie reagieren Sie selbst auf die Bedrohungen und Beschimpfungen auf
       Twitter? 
       
       Ich könnte alles anzeigen, aber das schaffe ich einfach nicht. Aber solche
       Drohungen und Beschimpfungen verändern das Leben. Man macht sich plötzlich
       Gedanken über Sicherheitsvorkehrungen, man ist vorsichtig, wann man postet.
       Fotos vom Wohnort oder vom Standort, wo man sich gerade aufhält, kommen
       sowieso nicht in Frage. Man macht ein neues Schloss an die Tür, man hat
       Alpträume. Die krassesten Sachen blocke ich dann auch. Manchmal mache ich
       vorher Screenshots, oft aber auch nicht, weil mich das nur belastet. Und
       ich finde es gut, wenn andere Leute, die die Hassposts sehen, diese melden.
       
       In den vergangenen Tagen haben etliche Twitter-User:innen wie der Anwalt
       Chan-jo Jun oder auch die Ärztin Natalie Grams-Nobmann ihre Konten auf
       sozialen Netzwerken stillgelegt oder gelöscht. Ist das auch ein Effekt, mit
       dem wir leben müssen? 
       
       Ich kann das nachvollziehen. Irgendwann fragt man sich, ob das [3][Posten
       auf Social-Media-Kanälen nur noch Belastung ist], oder ob es das wert ist.
       Wenn irgendwann der Hass zu viel wird, dann steht das in keinem Verhältnis
       zu all dem schönen Austausch, den Kontakten auf den Plattformen. Als
       Expertin kann man ja auch Einfluss auf die Berichterstattung nehmen, auch
       zum Thema verschwörungsideologisches Milieu. Eigentlich wäre es ja wichtig,
       dass wir dem etwas entgegensetzen. Ich kann es aber auch verstehen, wenn
       Leute sagen: Ich habe keine Kraft mehr. Ich will den Hatern aber nicht das
       Feld überlassen.
       
       Auf Telegram wird der Tod der österreichischen Ärztin nahezu gefeiert.
       Müssten Telegram, Twitter und Co. nicht stärker einschreiten? 
       
       Oft ist die Rede davon, dass es an Geld mangelt, um mehr Personal
       einzustellen. Bei den Gewinnen der Unternehmen kann ich mir das aber nicht
       vorstellen. Meine Erfahrung ist, erst wenn viele Leute einen Post melden,
       dann wird er gelöscht. Das finde ich sehr frustrierend. Aber wir haben auch
       bei den Behörden sehr viele Baustellen. Jede Polizeistelle, egal ob in der
       Stadt oder auf dem Land, muss die Bedrohung aus dem Netz ernst nehmen. Es
       geht bei Weitem nicht nur um rechte Hetze oder Verschwörungsmythen, sondern
       auch um Antifeminismus, um Mobbing. Auch das kann Menschen in den Tod
       treiben.
       
       Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie
       können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111
       oder 08 00/111 0 222) oder [4][www.telefonseelsorge.de] besuchen.
       
       1 Aug 2022
       
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 (DIR) Tanja Tricarico
       
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