# taz.de -- Regelung der Rüstungsexporte: Gesetz mit Schlupflöchern
       
       > Das geplante Rüstungsexportgesetz ist ein Lieblingsprojekt der Grünen.
       > Umstritten ist es nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine.
       
 (IMG) Bild: So sieht der echte Eurofighter Typhoon aus
       
       BERLIN taz | Am Dienstag um 11.30 Uhr wird sich Holger Rothbauer in seiner
       Kanzlei vor den Rechner setzen und in eine Videokonferenz einwählen. In
       Sachen Rüstungsexporte ist der Tübinger einer der renommiertesten Anwälte
       des Landes. Seit Jahrzehnten zieht er gegen Konzerne vor Gericht, kämpft
       gegen illegale Geschäfte an. Zuletzt hat er dem Pistolenhersteller Sig
       Sauer schmerzhafte Urteile wegen Lieferungen nach Kolumbien beschert.
       
       Am Dienstag wird sich Rothbauer aber nicht in einen Gerichtssaal
       zuschalten, sondern ins Wirtschaftsministerium in Berlin. Staatssekretär
       Sven Giegold hat eingeladen – nicht nur den Anwalt, sondern auch mehrere
       Dutzend weitere Expert*innen aus Wissenschaft, Friedensorganisationen
       und Industrie. Der Grünen-Politiker will sich anhören, wie die Fachleute
       über seine Vorgaben für ein neues Rüstungsexportgesetz denken.
       
       Der Zeitplan ist dicht, der Termin dauert nur zwei Stunden, und mehr als
       zwei Minuten Redezeit wird Rothbauer kaum bekommen. „Aber vielleicht hilft
       es ja trotzdem etwas“, sagt er. „Ich würde mir wünschen, dass Herr Giegold
       die Pläne danach doch noch verschärft. Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Was
       das Wirtschaftsministerium bisher plant, geht ihm und anderen nicht weit
       genug. Die Sorge: Am Ende könnte das Gesetz mehr Schlupflöcher öffnen als
       schließen.
       
       In der Ampel ist das [1][Rüstungsexportkontrollgesetz], so der vollständige
       Name, vor allem für die Grünen ein wichtiges Projekt. In der Opposition
       haben sie jahrelang für strengere Regeln geworben, Konzepte erarbeitet,
       Entwürfe ins Parlament eingebracht. Im Koalitionsvertrag einigten sie sich
       mit SPD und FDP auf eine „restriktive Exportpolitik“ und [2][die Einführung
       eines Gesetzes].
       
       ## Sonderfall Ukraine
       
       Natürlich gibt es schon jetzt Regeln für Rüstungsexporte. Sie sind aber
       verstreut über verschiedene Gesetze, Verordnungen und Richtlinien. Sie
       widersprechen sich zum Teil und sind oft nicht verbindlich. Ein neues
       Gesetz sollte alles bündeln und verschärfen.
       
       Mit dem Krieg in der Ukraine und den beispiellosen deutschen
       Waffenlieferungen hat sich das Projekt nicht erledigt. Im Gegenteil: Gerade
       die Grünen betonen seit Februar immer wieder, dass die Ukraine ein
       Sonderfall sei. Mit dem neuen Gesetz und strengeren Regeln für kommerzielle
       Exporte werde man beweisen, dass die Wurzeln als Friedenspartei nicht
       vergessen sind.
       
       Im federführenden Wirtschaftsministerium ist mit Robert Habecks
       Staatssekretär Giegold ein ehemaliger Attac-Aktivist für das Gesetz
       zuständig. Wie er seit Jahresbeginn daran arbeitet, wird aus den Reihen von
       NGOs im Prinzip gelobt: Giegold beziehe die Zivilgesellschaft vorbildlich
       mit ein. Schon im Frühjahr startete er ein Konsultationsverfahren, in dem
       Fachleute in ersten Videokonferenzen ihre Expertise einbringen durften. War
       bei solchen Verfahren früher die Rüstungsindustrie klar in der Überzahl,
       wurde dieses Mal sehr breit eingeladen. Der Staatssekretär höre ernsthaft
       zu, der Prozess sei transparent.
       
       Nur: Das bisherige Ergebnis ist aus Sicht der NGOs enttäuschend. Mitte
       Oktober stellte das Wirtschaftsministerium erste Eckpunkte für die neue
       Exportkontrolle vor. Innerhalb der Regierung werden sie derzeit zwischen
       den betroffenen Ministerien diskutiert, im kommenden Jahr sollen Giegolds
       Leute auf dieser Grundlage den Gesetzentwurf ausformulieren.
       
       Parallel hört der Staatssekretär am Dienstag und Mittwoch in zwei
       Videokonferenzen noch mal die Teilnehmer*innen des
       Konsultationsverfahrens an. Das ist zu diesem Zeitpunkt ungewöhnlich. Aus
       dem Ministerium heißt es, Giegold orientiere sich an den Gepflogenheiten in
       Brüssel, wo er zwölf Jahre lang als EU-Abgeordneter tätig war und wo viel
       Wert auf externe Beteiligung gelegt werde.
       
       ## Kein Verbandsklagerecht
       
       Die Eckpunkte sehen durchaus Verschärfungen der geltenden Lage vor. So soll
       ein Kriterienkatalog für Exportentscheidungen erstmals gesetzlich
       festgeschrieben werden. Die Menschenrechtslage soll dabei eine größere
       Rolle spielen als bisher. Ausweiten will das Wirtschaftsministerium die
       sogenannten Endverbleibskontrollen, die verhindern, dass Empfängerländer
       die Waffen illegal an Dritte weitergeben.
       
       Dass die Kritiker unter dem Strich trotzdem mehr Schatten als Licht
       sehen, liegt vor allem an zwei Punkten: Erstens fehlt ein sogenanntes
       Verbandsklagerecht nach dem Vorbild von Ländern wie Italien und Belgien.
       Dort können NGOs vor Gericht ziehen, wenn ihrer Ansicht nach eine
       Exportgenehmigung gegen das Recht verstößt.
       
       In Deutschland müssen Anwälte wie der Tübinger Rothbauer dagegen
       komplizierte rechtliche Behelfskonstruktionen wählen, um strittige
       Geschäfte vor Gericht zu bringen. Das klappt nur in einem Bruchteil der
       Fälle. In der Vergangenheit hatten die Grünen daher stets ein
       Verbandsklagerecht gefordert.
       
       „Es ist zwar gut, dass es im neuen Gesetz strengere gesetzliche Vorgaben
       geben soll“, sagt Anwalt Rothbauer, „sie sind aber nichts wert, wenn ihre
       Einhaltung nicht vor Gericht kontrolliert werden kann, sondern nur die
       Industrie gegen Ablehnungsbescheide klagen darf.“
       
       Der zweite Kritikpunkt betrifft die Regeln für europäische
       Gemeinschaftsprojekte wie etwa den Eurofighter, den Deutschland zusammen
       mit Frankreich, Spanien und Großbritannien herstellt. Hier gibt es ein
       Dilemma: Die Ampel möchte die europäische Kooperation im Rüstungsbereich
       eigentlich ausbauen, um Produktionskosten zu senken und
       Verteidigungsausgaben effizient einzusetzen. Häufig gibt es bei solchen
       Projekten aber vor allem mit Frankreich Streit, weil man in Paris nichts
       von Ausfuhrbeschränkungen hält und sich lukrative Exporte nicht von Berlin
       vermasseln lassen will. Zwar gibt es auf EU-Ebene gemeinsame Regeln,
       festgeschrieben im sogenannten Gemeinsamen Standpunkt. In der Praxis werden
       sie aber meist ignoriert.
       
       Das Wirtschaftsministerium will in der Sache neuen Ärger vermeiden. Für
       Gemeinschaftsprojekte sollen laut den Eckpunkten statt des Gesetzes eigene
       Mechanismen gelten, auf die sich die Regierung in Abkommen mit den anderen
       beteiligten Staaten einigt. Eine Option seien Mehrheitsentscheidungen über
       Exporte. Wenn also künftig Spanien und Frankreich einen gemeinsam gebauten
       Panzer nach Katar verkaufen wollen, Deutschland aber nicht? Könnte man wohl
       nichts machen. Die anderen hätten die Mehrheit.
       
       ## Ausnahmen werden zur Regel
       
       „Wenn das so kommt, wäre es der größte Fehler des Gesetzes“, sagt der
       Friedensforscher Max Mutschler zu dem geplanten Vorrang internationaler
       Verträge. „In der Praxis macht man bei Gemeinschaftsprojekten zwar schon
       jetzt immer wieder Ausnahmen von der Regel. Mit dem Gesetz würde die Ampel
       die Ausnahmen zur Regel machen. Das wäre ein Rückschritt.“
       
       Bei den Grünen schiebt man die Verantwortung vor allem für die Lücke beim
       Verbandsklagerecht auf SPD und FDP. Im Oktober sagte Giegold, bereits in
       der „Frühkoordinierung“ innerhalb der Regierung sei klar geworden, dass
       „eine von mir geplante Verbandsklage keine Zustimmung der Partner finden
       würde“. Er verzichtete daher darauf, sie auch nur in seine Eckpunkte
       aufzunehmen.
       
       Auch bei der Europa-Klausel stellen sich andere Ressorts gegen
       Verschärfungen. Bei einer Veranstaltung in Berlin forderte
       Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in der vergangenen Woche,
       die Regeln zu lockern. „Die europäischen Partner müssen sich darauf
       verlassen können, wenn sie mit uns eine Kooperation eingehen, dass es dann
       auch zu Exporten kommen kann“, sagte sie.
       
       Allerdings ist zumindest in diesem Punkt auch die Position der Grünen nicht
       eindeutig. Zuletzt rechtfertigte Außenministerin Annalena Baerbock einen
       Export nach Saudi-Arabien damit, dass ohne Kulanz bei europäischen
       Rüstungsprojekten das Geld für die Kindergrundsicherung in Deutschland
       fehle. Andere in der Partei wünschen sich an dieser Stelle dagegen mehr
       Mut.
       
       „Es ist nicht wahrscheinlich, dass wir uns in Europa auf ganzer Linie
       durchsetzen, und das ist auch okay“, sagt die Europa-Abgeordnete Hannah
       Neumann. „Es kann aber auch nicht sein, dass Frankreich wie bisher immer
       durchkommt.“ Die Ampel solle im Gesetz den eigenen Standpunkt klarmachen.
       Vorerst müsse das Gesetz dann auch für Gemeinschaftsprojekte gelten. „Das
       wäre der Hebel, um endlich ernsthafte Verhandlungen in Europa zu
       ‚erzwingen‘. Mehrheitsentscheidungen könnten am Ende ein Vorschlag sein,
       sie dürften aber bereits bestehende Regeln wie die des Gemeinsamen
       Standpunkts nicht aushebeln“, sagt Neumann.
       
       ## SPD ohne Kritik
       
       Verwunderung herrscht unter Grünen darüber, dass aus der SPD-Fraktion kaum
       Kritik an den strittigen Punkten kommt. Zwar stehen viele
       Sozialdemokrat*innen ähnlich wie die FDP der Rüstungsindustrie nahe.
       Allerdings gab es in der Vergangenheit aus anderen Teilen der SPD auch Rufe
       nach strengeren Regeln.
       
       Und jetzt? Fraktionschef Rolf Mützenich, der bei Waffenlieferungen an die
       Ukraine oft bremst, will sich zum neuen Gesetz nicht äußern. Zu Wort meldet
       sich aber immerhin der Parteilinke Ralf Stegner. „Über Europa die deutschen
       Rüstungsexportbeschränkungen zu umgehen, ist mit der SPD-Fraktion nicht zu
       machen. Es wird mit den Grünen und der SPD keine Liberalisierung des
       Waffenexports unter dem Deckmantel der Europäisierung geben“, sagt er. Und:
       „Ein Verbandsklagerecht könnte für eine Waffengleichheit mit
       Rüstungslobbyisten sorgen. Ich begrüße das. Die Friedenspartei SPD gehört
       nicht ins Museum.“ Die Entscheidung sei noch offen, da die Diskussion
       innerhalb der Fraktion gerade erst begonnen habe.
       
       Manches könnte sich also doch noch bewegen, bis 2023 oder 2024 der
       Bundestag endlich über das Gesetz abstimmt. Das gilt in beide Richtungen:
       So wie die NGOs auf strengere Regeln hoffen, lobbyiert die Rüstungsbranche
       gewaltig gegen jede Verschärfung. Allein bei Giegold sprachen
       Rüstungsbosse dieses Jahr mindestens sechsmal in Einzelgesprächen vor.
       
       Schon im April, im ersten Fachgespräch des Wirtschaftsministeriums, gaben
       sie sich kompromisslos. „Ein Rüstungsexportkontrollgesetz ist überflüssig
       und kontraproduktiv“, sagte laut Protokoll der Chef des Bundesverbands der
       Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Das Vorhaben, so Hans
       Christoph Atzpodien, passe einfach nicht in die Zeit.
       
       28 Nov 2022
       
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