# taz.de -- „Im Westen nichts Neues“ ist oscarnominiert: Körper im Schlamm
       
       > Edward Bergers Neuauflage des Klassikers „Im Westen nichts Neues“ ist
       > mehrfach für den Oscar nominiert. Das liegt auch an der universalen
       > Botschaft.
       
 (IMG) Bild: Kalte und schmerzhafte Bilder: Szene aus der Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“
       
       Nicht die Freiheit ist ausschlaggebend, lernt der 17-jährige Paul Bäumer,
       sondern der Drill. Mit diesen militaristischen Flausen im Kopf melden sich
       die Jungen zu Anfang von [1][Erich-Maria Remarques] Antikriegsroman „Im
       Westen nichts Neues“ an die Westfront des Ersten Weltkriegs. Sie sind die
       „eiserne Jugend“, sie wollen kämpfen, für Kaiser, Gott und Vaterland. Doch
       sie sterben – alle, auch der Erzähler.
       
       1928 veröffentlichte der Osnabrücker Autor Remarque [2][seinen auf eigenen
       Fronterfahrungen basierenden Roman], zwei Jahre später wurde der Bestseller
       von Lewis Milestone verfilmt. Der Film gilt als Klassiker: Milestone
       besetzte den Protagonisten mit dem noch unbekannten Lew Ayres, dessen
       bewegtes Gesicht Schmerz und Trauma sensibel auszudrücken vermochte.
       
       Ideenreich spielte Milestone mit dem Medium, montierte Verzweiflung in
       Großaufnahme hintereinander oder bildete die Träume der jungen Männer als
       Phantasmen ab. David Broekmans Soundtrack imitierte Marschtrommeln, die
       Kriegsszenen waren – nicht nur für die Zeit – immersiv und schonungslos.
       
       Die Verfilmung wurde bei der Oscarverleihung 1930, der dritten überhaupt,
       als erster Tonfilm mit zwei Trophäen (Bester Film und Beste Regie)
       ausgezeichnet. Nominiert war er in zwei weiteren Kategorien (Drehbuch und
       Kamera) – von insgesamt acht. Der deutsche Auswanderer und
       Hollywood-Mitgründer Carl Laemmle, der „Im Westen nichts Neues“
       produzierte, fuhr damals regelmäßig in die alte Heimat, um gute Stoffe
       ausfindig zu machen.
       
       ## Gute Stoffe in der alten Heimat
       
       Fast fünf Jahrzehnte später adaptierte der US-Regisseur, Ex-Bomberpilot und
       Rock-Hudson-Komödienexperte Delbert Mann den Roman erneut, mit dem durch
       seine Rolle als „John-Boy Walton“ bekannt gewordenen Richard Thomas in der
       Hauptrolle. Ernest Borgnine spielte den cleveren Überlebenskünstler
       Kat(czinsky). Neben ihm bereicherten britische Schauspielgrößen wie Donald
       Pleasance und Ian Holm die anrührende und realistische Produktion, die 1980
       einen Golden Globe erhielt.
       
       In beiden Fassungen stirbt Paul Bäumer kurz vor dem Waffenstillstand an
       einem kampfarmen Tag, weil er sich nach etwas Frieden inmitten des
       Schützengrabens sehnt: Im 1930er Film streckt Bäumer seine Hand nach einem
       Pfauenauge aus, das seinen Weg in die Todeszone fand, und wird dabei
       erschossen, man sieht es an der Hand, die sich nicht mehr bewegt.
       
       Der 1979er Bäumer hört einen Vogel zwitschern, beginnt ihn zu zeichnen, und
       erhebt sich aus dem Graben, um einen besseren Blick auf das Tier zu
       bekommen. Auch dieses unbezähmbare Verlangen nach Natur endet tödlich. Und
       auch diese Kamera zeigt Bäumers Tod nur fragmentarisch – man sieht einen
       Teil seines Körpers und die Zeichnung im Schlamm.
       
       Die erste, im Land der Täter entstandene Adaption des Stoffs wurde fast 100
       Jahre nach dem Roman und der ersten Verfilmung produziert – und ist nun für
       neun Oscars nominiert. Neben den „technischen“ Nominierungen für das
       beeindruckende Niveau von Gewerken wie Ton, Kamera und visuellen Effekten
       ist darunter, erstmals für einen deutschen Film, auch die Kategorie „Bester
       Film“.
       
       Regisseur Edward Berger inszenierte mit seinem Kameramann James Friend
       große, kalte und schmerzhafte Bilder, die (ebenfalls oscarnominierte)
       Filmmusik [3][von Hauschka alias Volker Bertelmann] lauert zunächst sanft
       im Hintergrund, um dann Marschtrommeln und elektronische Störgeräusche wie
       Schläge einzusetzen. Wie schon Milestone hat Berger mit Felix Kammerer
       einen – im Film – eher unbekannten jungen Schauspieler besetzt. Er stirbt –
       anders als in den früheren Filmen – im Nahkampf, durch einen sichtbaren
       Stich: Der Tod kommt unbarmherzig bildfüllend und frontal. Daneben füllt
       Albrecht Schuch die dankbare Rolle des Kat tadellos.
       
       Die Stärke von Bergers Film ist seine Visualität und eine Struktur, die
       bereits in der Vorlage angelegt ist: Die Reise des Protagonisten ist ebenso
       eindeutig wie seine Mission – er wird vom unwissenden, kriegsbegeisterten
       Naseweis zum frühzeitig gealterten, traumatisierten Kriegsgegner. In
       Kriegszeiten, in denen Deutschland um Haltung (und Entscheidungen zur
       militärischen Unterstützung) ringt, könnte diese klare Botschaft des
       erschreckend aktuellen Films ihn in unerhörte Oscar-Gefilde katapultieren.
       
       Seine Machart ist hochprofessionell und modern, sein Thema urdeutsch, seine
       Sprache, seine Dramaturgie, sein Drama und sein Konflikt sind universal und
       verkörpern eine so simple wie weise Kunde: Krieg ist scheiße. Sogar für die
       Aggressoren. Oder, wie Paul Bäumer bereits in der ersten Filmversion
       erkennt: „Es ist dreckig und schmerzhaft, für sein Land zu sterben.“
       
       26 Jan 2023
       
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