# taz.de -- Ausstellung zu LGBTIQ*: Queeres Leben
       
       > Die Ausstellung „To Be Seen“ macht Geschichten von LGBTIQ* in der ersten
       > Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar. Auch und gerade unter den Nazis.
       
 (IMG) Bild: Ihrer Zeit voraus: „Tagung für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage“ 1921 in Berlin
       
       Theodora Anna Sprüngli war vielleicht die weltweit erste Frau, die sich
       öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannte. Das war 1904 auf der
       Jahresversammlung des von [1][Magnus Hirschfeld] gegründeten
       Wissenschaftlich-humanitären Komitees – in der ersten bislang bekannten
       politischen Rede, in der auf die Probleme lesbischer Frauen verwiesen
       wurde.
       
       Sprüngli ist eine der Personen, mit der sich die Ausstellung „To Be Seen“
       im [2][NS‑Dokumentationszentrum München] befasst. Auch diese Ausstellung
       über queeres Leben versucht eine Lücke in der Geschichte zu schließen und
       Sichtbarkeit zu schaffen, die während der NS-Zeit den Tod bedeuten konnte
       und noch heute zu Ausgrenzung führt.
       
       Die Ausstellung beschränkt sich auf die Zeit zwischen 1900 und 1950 und
       erzählt vom Aufblühen der queeren Szene und ihrer jähen Unterbrechung nach
       der Machtübernahme. Von „Queer“ sprechen die Kurator:innen in den
       Beschreibungen, wenn die frühere (Selbst-)Bezeichnung nicht bekannt oder
       aus heutiger Sicht missverständlich ist.
       
       Um 1920 entwickelten sich in Großstädten, vor allem in Berlin, queere
       Strukturen in Form von Gruppen, Lokalen oder Magazinen. Aber auch im
       ländlichen Raum gab es vereinzelt Treffpunkte, die beispielsweise im
       Internationalen Reiseführer des Karl Schultz-Verlags vermerkt waren. Wie
       wirksam diese Strukturen auf dem Land und in Kleinstädten waren, lässt sich
       bislang nur schwer sagen. Auch damals allerdings zog es queere Menschen
       jedenfalls in die Städte, wo sie weniger soziale Ausgrenzung erfuhren.
       
       ## Nicht gleichermaßen betroffen
       
       Schon weit vor dieser Zeit – ab 1878 – wurden schwule Männer in Deutschland
       durch den Paragrafen 175 kriminalisiert. Österreich weitete das Gesetz auf
       Frauen aus. So organisierten sich viele im Versteckten und kommunizierten
       zum Beispiel in Kontaktanzeigen mit Codes.
       
       Eine bekannte Figur im Berliner Nachtleben war zu dieser Zeit Claire
       Waldoff, eine Volkssängerin. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Olga von
       Roeder führte sie einen kulturell-politischen Salon zum Austausch unter
       Lesben. Nach der Machtübernahme 1933 hatte Waldoff für einige Zeit
       Auftrittsverbot, das nach ihrem Beitritt in die Reichskulturkammer aber
       wieder aufgehoben wurde.
       
       Ein Beispiel dafür, dass [3][nicht alle queeren Personen gleichermaßen
       betroffen waren]. Einige, so beschreibt es ein Text der Ausstellung, wurden
       vom Regime auch „gebraucht“, wie etwa Gustaf Gründgens. Dessen
       Homosexualität war kein Geheimnis, dennoch war er während des
       Nationalsozialismus Intendant am Schauspielhaus Berlin und machte als
       Schauspieler Karriere.
       
       ## Er wusste nicht, warum er verhaftet wurde
       
       Dieses „Glück“ konnte ein gewöhnlicher Bürger wie Heinz Fleischer nicht
       teilen. In einem Videoausschnitt erzählt er von seiner Zeit in den
       Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald. Acht Jahre verbrachte er
       insgesamt dort. Nach Dachau kam er ohne Verhandlung. Warum er damals
       verhaftet wurde, wusste er nicht. Nach seiner Freilassung verfolgten ihn
       Beamte und nahmen ihn erneut fest, als er mit einem anderen Mann im Urlaub
       war. Verurteilt durch den Paragraf 175 kam er nach Buchenwald.
       
       Über seine Erfahrungen sprach Heinz Fleischer erst im Alter von 92 Jahren.
       Einerseits, weil Homosexualität noch lange strafbar war in Deutschland,
       andererseits aus Scham. „Hätten Sie gerne mit jemandem darüber
       gesprochen?“, fragt der Interviewer im Film. „Vielleicht mit meinem Vater“,
       antwortet er und weint.
       
       Bei der Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten gegen queere
       Personen lag der Fokus bislang vorwiegend auf schwulen Männern. Dass beim
       [4][diesjährigen Holocaust-Gedenktag] am 27. Januar erstmals den queeren
       Opfern des Nationalsozialismus gedacht wurde, führte auch zu Diskussionen,
       zum Beispiel über die Betroffenheit von Lesben, die von manchen nicht oder
       nur zu Teilen anerkannt wird. Dabei gab es durchaus Frauen, die aufgrund
       ihrer Homosexualität inhaftiert wurden. Vielen Lesben und trans* Frauen
       wurden weitere Strafen auferlegt.
       
       Diese Diskussionen verfolgt auch Heiner Schulze vom Schwulen Museum Berlin.
       In seinen Augen ist die Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen. „Es
       benötigt mehr Sichtbarkeit und eine Anerkennung ohne Opferhierarchien“,
       sagt er gegenüber der taz. Dabei müsse man mehr auf die Komplexität achten
       und weniger darauf, die Betroffenen in starre Opferkategorien wie lesbisch
       oder jüdisch einzuordnen.
       
       ## Anerkennen ist nicht genug
       
       „Menschen ohne Geschichte sind Staub“, sagt Schulze. Wichtig sei es nun,
       die Opfer zu Menschen mit Geschichte werden zu lassen. Und dabei auch die
       Vergangenheit durchaus differenzierter zu betrachten. Zur Aufarbeitung
       gehöre zum Beispiel auch, dass unter den Täter:innen ebenfalls queere
       Menschen waren.
       
       „Bisher wurde [5][queere Geschichte immer als Nischengeschichte] betrachtet
       und Erinnerungskultur von Aktivist:innen betrieben“, sagt er. Durch die
       Anerkennung der Politik finde diese Erinnerungskultur nun weitere
       Legitimation.
       
       Doch diese Anerkennung allein reicht nicht. Das nach eigenen Angaben
       vermutlich weltweit größte Archiv queerer Geschichte im Keller des Schwulen
       Museums steht voll. Stapel über Stapel mit Nachlässen, die bislang niemand
       gesichtet hat. „Es fehlt an finanzieller Unterstützung, um Personal
       bezahlen zu können, die diese Arbeit leistet“, sagt Schulze. Die meisten
       seien Ehrenamtliche.
       
       Wie groß das Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Ausgrenzung heute noch
       ist, zeigt sich immer wieder – im Großen wie im Kleinen. Als Kim Petras vor
       wenigen Tagen in Los Angeles gemeinsam mit Sam Smith im Duo als erster
       trans* Frau ein Grammy verliehen wurde, wurde sie in den Kommentarspalten
       der Sozialen Medien angegriffen. Gleichzeitig aber erscheinen mittlerweile
       auch in kleinen Lokalzeitungen wie die Illertisser Zeitung Artikel über
       trans* Personen im ländlichen Raum, die sie innerhalb der Gesellschaft
       sichtbarer machen – und gleichzeitig verdeutlichen, wie wenig sie es sind.
       
       12 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Buch-ueber-Pionier-der-Sexualforschung/!5866649
 (DIR) [2] https://www.nsdoku.de/
 (DIR) [3] /Queerfeindlichkeit-in-Deutschland/!5880996
 (DIR) [4] /Internationaler-Holocaustgedenktag/!5908048
 (DIR) [5] /Gedenkstunde-fuer-Opfer-des-Holocaust/!5907977
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Mielke
       
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