# taz.de -- Der Hausbesuch: Die Liebe höret nimmer auf
       
       > Sie malt, sie schreibt, sie spielt Theater. Und sie setzt sich für Lesben
       > und Schwule mit Behinderung ein. Zu Besuch bei Daniela von Raffay.
       
 (IMG) Bild: Derzeit ist sie viel im Bett, weil der elektrische Rollstuhl noch nicht geliefert ist
       
       Wenn sie das Fenster öffnet, können die Leute auch draußen ihr lautes
       Lachen hören. Und das ist ansteckend.
       
       Draußen: Sie wohnt in einer Seitenstraße in Berlin-Schöneberg, in der Nähe
       des Nollendorfplatzes, Berlins schwul-lesbisch-queerem Szenekiez; viele
       Intellektuelle, auch Künstlerinnen und Künstler wohnen hier. Ein wenig
       erinnert es [1][an München-Schwabing]. Dort hat die in Bayern geborene
       Daniela von Raffay gelebt, bevor sie 1972 nach Berlin kam. Ein Mann war
       schuld, ihr damaliger Partner. Der ist, wie so viele damals, dem Wehr- und
       Zivildienst entkommen, indem er in die Mauerstadt zog. „Der wurde dann
       schwul, ich lesbisch“, sagt sie.
       
       Drinnen: Über eine Rollstuhlrampe geht es in eine Erdgeschosswohnung. Die
       Frau, die im Flur lächelnd die Hand ausstreckt, erklärt: „Daniela ist da“,
       und deutet nach rechts. Daniela von Raffay sitzt in einem Zimmer mit
       Schreibtisch, antikem Schränkchen und Bücherregalen auf dem Bett. Die Frau,
       die die Tür geöffnet hat und nun Kaffee anbietet, ist eine Ex-Partnerin und
       Freundin: „Die unterstützt mich ab und an, wenn Besuch kommt. So wie
       jetzt.“
       
       Bilder: An den Wänden in Daniela von Raffays Zweizimmerwohnung hängen
       überall Bilder. Gemalt wurden sie von ihrem Bruder, von befreundeten
       Künstlerinnen, von der verstorbenen Lebensgefährtin ihrer Partnerin und von
       ihr selbst. Neben dem Bett hängt ein Plakat in Gelb-Grün mit der Aufschrift
       „Rolling Sisters“ – es zeigt von Raffay im Rollstuhl und ihre Freundin mit
       Fahrrad. „Das Foto wurde in London gemacht. Ich war immer viel unterwegs.“
       Auf einem weiteren Bild von ihr sind vier schwarze Katzen zu sehen. „Das
       heißt ‚Der Katzenhimmel‘. Das habe ich gemalt, als eine Katze von mir
       gestorben ist.“
       
       Malen: Sie hätte, so erzählt Daniela von Raffay, nie gedacht, dass sie
       einmal malen würde: „Ich dachte immer, ich schreibe. Mir ist spät
       aufgegangen, dass auch beides geht.“ Von Raffay kommt aus einer kreativen
       Familie. Die Mutter war gelernte Keramikerin, der Vater Werbefachmann, ihr
       Bruder ist bildender Künstler: „Bei uns zu Hause wurde immer gemalt.“
       
       Astrologie: Zu Beginn des Gesprächs fragt von Raffay nach dem Sternzeichen.
       Das [2][Interesse an Astrologie] hat sie von ihrem Vater. „Der hat alles
       gemacht, auch gependelt.“ Die Frauen seien deswegen nur so auf ihn
       geflogen: „Der hat sich immer damit gebrüstet, dass er auf diese Tour
       selbst lesbische Frauen rumbekommen hat.“ Ein Hallodri sei er gewesen.
       „Noch an seinem Lebensende musste ich ihm helfen, ihm eine jüngere Frau vom
       Hals zu schaffen.“
       
       Von Raffay: Auch ihr adliger Nachname stammt vom Vater: „Mein Stiefvater
       hat später immer gesagt, der sei nur ‚Klo-adlig‘ gewesen“ – ein Schimpfwort
       für den niederen Adel, dem seine Familie angehört. Ihre Mutter dagegen war
       eine geborene Gräfin, also sogenannter hoher Adel. „Die Adeligen sind ganz
       bigott. Da darfst du nicht schwul sein oder so“, sagt von Raffay und lacht.
       „Das sind aber gleich fünf in der Familie.“
       
       Sichtbarkeit: Daniela von Raffay selbst führt eine lesbische Fernbeziehung
       und setzt sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte, die Sichtbarkeit von
       lesbischem Leben und lesbischen und schwulen Menschen mit Behinderung ein.
       Sie tritt dafür in Theaterstücken auf, sitzt auf Podien, verfasst Artikel
       oder nimmt an öffentlichen Kuss-Aktionen teil. Unter Pseudonym schreibt sie
       auch erotische Lyrik.
       
       Kinderlähmung: Als Dreijährige erkrankte Daniela von Raffay an Polio. Sechs
       Wochen lang stand sie unter Quarantäne: „Ich bin da lustig rein und kam
       raus mit dem Gedanken: ‚Die Mama ist böse.‘“ Durch die Polio waren erst
       beide Beine gelähmt. Nach zwei Jahren Übungen und Behandlungen ließ sich
       das linke wieder bewegen.
       
       Es anderen leicht machen: Ihre Mutter hatte in der Zeit noch andere Sorgen:
       Hochschwanger mit von Raffays jüngerem Bruder bekam sie heraus, dass ihr
       Mann doppelgleisig gefahren war und mit einer anderen Frau auch zwei Kinder
       hatte. „Sie war sehr belastet. Und ich dachte, ich wäre schuld.“ Um es
       ihrer Mutter leichter zu machen, zeigte sich von Raffay stark. Als Kind
       habe sie versucht, anderen nicht zur Last zu fallen.
       
       Humor: Der Arzt auf der Quarantänestation habe damals zu ihrer Mutter
       gesagt: „Um die müssen Sie sich keine Sorgen machen. Die hat ein
       sanguinisches Temperament.“ Meint: gesellig, fröhlich, energisch und
       sympathisch.
       
       Immer in Bewegung: Mehrere Theatergruppen hat Daniela von Raffay gegründet,
       darunter die Gruppe „Freakshow – Schwule und Lesben mit Behinderung“ sowie
       eine Polio-Gruppe, die „[3][Polionauten West“]. Nebenbei hat sie
       Straßenfeste im Kiez auf die Beine gestellt und lesbische Netzwerktreffen
       organisiert: „Da haben wir immer so zwei- bis dreihundert Lesben der ersten
       Stunde, also aus den 1970er Jahren, eingeladen. Deshalb hieß das dann
       Fossilienfest.“
       
       Lachen: Daniela von Raffay ist in ihrer Nachbarschaft für ihr Lachen
       bekannt. Die alten türkischen Frauen in ihrem Kiez, mit denen sie, als sie
       schon in Rente war, über Jahre Lesen und Schreiben übte, weil diese trotz
       Sprachkenntnissen größtenteils Analphabetinnen waren, nennen sie wegen
       ihres lauten Lachens nur „horoz“, auf Deutsch: Hähnchen.
       
       Früher: Von Raffay ist immer auf „normale“ Schulen gegangen, „normal“, das
       ist ihr Wort. Wie sie auch sonst immer „nicht behindert gelebt hat“. Weil
       sie als Teenager in der Schule gern mal die Regeln gebrochen habe, sei sie
       vom Gymnasium geflogen, ihr Abitur machte sie auf dem zweiten Bildungsweg.
       Später studierte sie Soziologie, arbeitete in Behindertenberatungsstellen
       und hat eine Datenbank zu Barrierefreiheit in Berlin mit aufgebaut: „Ich
       habe mich immer Berufsbehinderte genannt, weil ich ausschließlich im
       Behindertenbereich gearbeitet habe.“
       
       Ein Kraftakt: Als Kind ritt und turnte von Raffay, trotz ihrer
       Einschränkung. „Ich dachte immer, ich muss alles können. Ich bin später für
       die WG, in der ich lebte, einkaufen gegangen und habe alles an Krücken die
       Treppen hochgeschleppt. Wie alle anderen, nur noch eins drauf.“ Durch eine
       Therapie lernte sie ihre Lähmung anzunehmen. Da musste man Sätze bilden wie
       „Ich und meine Behinderung …“. Erst vor 25 Jahren habe sie gelernt, sich
       auch ab und an auszuruhen.
       
       Spätfolgen: Mit den Jahren nahm ihre Muskelkraft mehr und mehr ab. Von
       Raffay ist inzwischen Anfang 70. Zurzeit kommt sie kaum hoch. Eine Reha,
       hofft sie, wird Besserung bringen. Erst einmal aber ist sie auf die
       Anschaffung eines Lifters und eines Elektrorollstuhls angewiesen: „Ein
       Elektrorollstuhl kann so hochfahren, dass man am Tresen sitzen kann.“ Sie
       lacht bei der Vorstellung.
       
       Kleine Welt ganz groß: So lange spielt sich Daniela von Raffays Leben
       hauptsächlich in der Horizontalen ab. Auf dem Bett und kleinen
       Beistelltischen und um das Bett herum ist alles, was sie braucht: Blätter,
       Stifte, Bücher, Essen, Trinken. Ihre Lebensmittel werden von einem
       Bestellservice geliefert, mit der Welt in Kontakt bleibt sie durch
       Besuche, Briefe und Telefonate. Ihr Handy klingelt ständig.
       
       Übrig bleiben: Von vielen Mitgliedern ihrer Theatergruppe Freakshow bleiben
       nur noch Erinnerungen. „Sechs von neun, die wir mal waren, sind schon tot.
       An Muskeldystrophie, an Krebs verstorben.“ Die Mitglieder wurden [4][im
       Film „Kein Tag ohne Liebe“] porträtiert, Fotos der Gruppe hängen derzeit
       [5][in der Ausstellung „Queering the Crip, Cripping the Queer“] im Schwulen
       Museum Berlin. Mit der ist sie nicht zufrieden: „Wir wollten eigentlich
       noch eine eigene Ausstellung machen. Der im Schwulen Museum etwas
       entgegensetzen. Die Bilder da sind lieblos aufgehängt, in billigen Rahmen.
       Nicht würdig.“
       
       Auftreten: Lange, meint sie, hätte sie sich durch ihre Behinderung klein
       gemacht. Hotels freundlich gefragt, ob sie behindertengerechte Betten
       hätten: „Aber mit einem Mal dachte ich: Nee! Wenn die Rolling Stones
       anrufen und Heu im Zimmer wollen, dann kriegen sie Heu.“ Seitdem verlange
       sie behindertengerechte Betten und betone dabei ihren adeligen Namen: „Und
       siehe da: Es klappt.“
       
       Letzte Sicht: Daniela von Raffay weiß bereits, wo sie ihre letzte Ruhe
       finden möchte. Auf [6][dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof], ebenfalls in
       Schöneberg. Da liegen auch die Brüder Grimm. Und die Frauenrechtlerin
       Hedwig Dohm hat ein Ehrengrab. Von der von Daniela von Raffay gewählten
       Stätte aus blickt man auf einen Stein mit Aufschrift: „Trennung ist unser
       Los. Das Wiedersehen unsere Hoffnung. Die Liebe höret nimmer auf.“ Er
       gehört zu einer Gemeinschaftsgrabstätte, und ursprünglich wollte von Raffay
       mit mehreren Freundinnen direkt unter dem Stein liegen. Doch dann hätten
       sich alle Freundinnen zerstritten, hätten gesagt: „Neben der lieg ich
       nicht“. Lachend meint von Raffay: „Aber auf den Stein zu schauen, ist
       letztlich auch schöner.“
       
       15 Mar 2023
       
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