# taz.de -- Bundesverfassungsgericht zu Oury Jalloh: Bruder von Oury Jalloh erfolglos
       
       > Das Bundesverfassungsgericht lehnt Klage der Familie ab: Im Fall des
       > verbrannten Asylsuchenden Oury Jalloh wird es keine neuen Ermittlungen
       > geben.
       
 (IMG) Bild: Saliou Jalloh, der Bruder von Oury Jalloh, in einem Demozug in Dessau am 7. Januar
       
       FREIBURG taz | Der aus Sierra Leone stammende Oury Jalloh war im Januar
       2005 in einer Gewahrsamszelle des Dessauer Polizeireviers verbrannt. Bisher
       ging die Justiz davon aus, dass der betrunkene Jalloh seinen Tod selbst
       verursacht hat. Mit einem Feuerzeug habe Jalloh – obwohl an Händen und
       Füßen fixiert – seine Matratze entflammt, um auf sich aufmerksam zu machen.
       
       Das Landgericht Magdeburg verurteilte 2012 den Polizisten Andreas S. wegen
       fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe, weil er Jalloh nicht permanent
       beobachten ließ. Immerhin hatte der Polizeiarzt, der die Fixierung empfahl,
       vor Selbstverletzungen gewarnt.
       
       Die Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“ geht jedoch seit langem davon aus,
       dass Oury Jalloh von Polizist:innen ermordet wurde, um Misshandlungen
       des Asylsuchenden nach der nächtlichen Festnahme zu vertuschen. So stellte
       sich heraus, dass auf der Dessauer Polizeiwache schon in den Jahren zuvor
       Menschen unter ungeklärten Umständen zu Tode kamen.
       
       Auch gab es Indizien, dass das Feuerzeug, mit dem Jalloh die Matratze
       angezündet haben soll, erst nachträglich in den Brandschutt gelangte.
       Brandsachverständige kamen nach Versuchen zum Schluss, dass es
       [1][unmöglich gewesen sei, allein mit dem Feuerzeug die Matratze] zu
       entflammen.
       
       Tatsächlich eröffnete die Staatsanwaltschaft Dessau 2017 ein
       Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts gegen die zwei Polizist:innen, die
       Jalloh zuletzt in der Zelle kontrollierten. Für die Initiative gelten als
       Hauptverdächtige jedoch zwei andere Polizisten, die Jalloh festgenommen
       hatten.
       
       Später übernahm die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren und stellte es
       ein. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg bestätigte die Einstellungen.
       Zuvor hatte sie in einem 218-seitigen Prüfbericht alle Beweise und
       Gutachten noch einmal geprüft und bewertet.
       
       Ein Klageerzwingungsverfahren von Jallohs Bruder wurde vom
       Oberlandesgericht (OLG) Naumburg im Januar 2020 abgelehnt. Es sei nach wie
       vor naheliegend, dass Jalloh die Matratze selbst entzündet hat, so das OLG.
       Die Versuche eines Brandsachverständigen seien nicht aussagekräftig genug,
       weil er einen anderen Matratzentyp verwendete. Ein Mord durch
       Polizist:innen setze voraus, dass sich alle Anwesenden auf der Wache
       verschworen hätten.
       
       ## Knochenbrüche im Gesicht
       
       Gegen abgesprochene Aussagen der Polizist:innen spreche aber, dass
       diese teilweise widersprüchlich waren. Gegen keine der vier in Betracht
       kommenden Polizist:innen bestehe ein ausreichender Tatverdacht. Die bei
       Jalloh festgestellten Knochenbrüche im Gesicht könne sich dieser bei Stößen
       gegen die Seitenwände des Streifenwagens und gegen eine Tischplatte selbst
       zugefügt haben.
       
       Dagegen erhob der Bruder Verfassungsbeschwerde. Die Ermittlungen seien
       voreingenommen gewesen und hätten nur das Ziel gehabt, das Verfahren
       einzustellen. Das OLG habe den [2][Gruppendruck unter Polizist:innen]
       ignoriert. Die Anforderungen des OLG an die Aufnahme von Ermittlungen seien
       übertrieben hoch.
       
       Doch auch beim Bundesverfassungsgericht hatte der Bruder nun keinen Erfolg.
       In einem 31-seitigen Beschluss stellte eine drei-köpfige Kammer des
       Gerichts fest, dass die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg
       habe. Eine Verletzung von Grundrechten sei nicht zu erkennen.
       
       Zwar habe der Bruder einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung, diesem
       sei die Justiz in Sachsen-Anhalt aber gerecht geworden. Sie habe umfassend
       ermittelt und komme zu zumindest vertretbaren Ergebnissen. An mehreren
       Stellen wiesen die Karlsruher Richter:innen Darstellungen in der
       Verfassungsbeschwerde als sachlich falsch zurück. So sei die Auswertung des
       Brandversuchs durch ein Expertengremium nicht „klar und eindeutig“ gewesen,
       vielmehr hätten sich die Stellungnahmen der Sachverständigen „gerade nicht
       zu einem einheitlichen Bild gefügt“. Es gebe keine Anzeichen für eine
       Voreingenommenheit der Justiz in Sachsen-Anhalt.
       
       Die Verfassungsrichter:innen stützten sich auch auf eine 24-seitige
       Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, die im Beschluss ausführlich zitiert
       wird und die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für unbegründet hält.
       
       Die Familie Oury Jallohs will nun den Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte in Straßburg anrufen.
       
       (Az.: 2 BvR 378/20)
       
       23 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fall-Oury-Jalloh/!5809374
 (DIR) [2] /Aufarbeitung-des-Falls-Oury-Jalloh/!5710603
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Oury Jalloh
 (DIR) Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
 (DIR) Dessau
 (DIR) Sachsen-Anhalt
 (DIR) IG
 (DIR) Oury Jalloh
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) IG
 (DIR) Oury Jalloh
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Polizeigewalt in Dessau: Sein Name war Rose
       
       Ein Familienvater stirbt 1997 schwerverletzt, kurz nachdem er in einem
       Dessauer Polizeirevier war. Jetzt zeigen seine Angehörigen vier Polizisten
       an.
       
 (DIR) 18. Todestag von Oury Jalloh: Gegen die lahmen Mühlen der Justiz
       
       Rund 1.500 Menschen haben sich am Samstag in Dessau versammelt. Sie
       erinnern an Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle
       verbrannte.
       
 (DIR) Mordfall Oury Jalloh: „Ich schwöre, ich wars nicht“
       
       Vor 17 Jahren verbrannte Oury Jalloh. Wenn er sich nicht selbst getötet
       hat, wer dann? Die taz fragte am Einsatz beteiligte Polizisten.
       
 (DIR) Fall Oury Jalloh: Brandsimulation stützt Mordthese
       
       Ein Sachverständiger hat den Brand in der Dessauer Polizeizelle
       originalgetreu simuliert – mit einem eindeutigen Ergebnis.