# taz.de -- Ausschreitungen bei Frankfurt-Neapel: Neapel sehen und verlieren
       
       > Rund um die Partie zwischen der SSC Neapel und der SG Eintracht Frankfurt
       > kam es zu Ausschreitungen. Es war mehr als nur ein verlorenes
       > Fußballspiel.
       
 (IMG) Bild: Kein schönes Bild: Aufmarsch der Eintracht-Fans in Neapel
       
       In Deutschland glauben recht viele Menschen, dass die Wendung „Neapel sehen
       und sterben“ von Goethe geschrieben wurde. Der Dichter stammte bekanntlich
       aus Frankfurt und hatte sich in den 1780er Jahren in friedlicher Eintracht
       auf seine Italienische Reise begeben. Goethe zitiert allerdings nur: „‚Vedi
       Napoli e poi muori!‘ sagen sie hier. ‚Siehe Neapel und stirb!‘“, heißt es
       bei ihm.
       
       Am Mittwoch hatten sich erneut etliche Hessen auf eine historische Reise
       nach Kampanien begeben. Gefreut auf sie hatte sich in Neapel [1][allerdings
       niemand,] zumindest nicht die Behörden: Ein Einreiseverbot war diskutiert
       worden, verhängt hat die Präfektur Neapel letztlich ein Verbot des
       Ticketverkaufs an alle Menschen, die ihren Wohnsitz in Frankfurt haben.
       Zuvor hatte dieselbe Präfektur ein solches Verbot für alle ausgesprochen,
       die in Deutschland leben, doch das war von einem Verwaltungsgericht
       kassiert worden.
       
       Dass der Fußball eine sehr eigene Welt darstellt, merkt man schon daran,
       dass an Stadionverbote für Spieler, Betreuer und Funktionäre der SG
       Eintracht Frankfurt nicht gedacht wurde. Die mussten ja zu einer absehbaren
       Schlappe in der Champions League antreten: Nach der 0:3-Niederlage (plus
       0:2 im Hinspiel) ist die Eintracht nun draußen.
       
       Die sehr eigene Welt des Fußballs lässt sich auch daran erkennen, dass das
       Ticketverbot bloß aufgrund eines Wohnorts innerhalb der EU in kaum einem
       anderen Bereich außer dem Fußball denkbar ist. Oder ist es vorstellbar,
       dass prinzipiell alle Deutschen nicht mehr Lokalitäten auf Mallorca
       betreten dürften? Oder alle Italiener nicht aufs Oktoberfest in München
       dürfen? Nur wenn es um Fußball geht, glauben Behörden, Grundrechte
       aushebeln und ganze Bevölkerungsgruppen unter einen Generalverdacht stellen
       zu dürfen.
       
       ## Erste Eskalationsstufe
       
       Man kann natürlich nicht behaupten, dass es keine Gründe für einen solchen
       Verdacht gäbe. Das Ticketverbot stellte aber doch die erste
       Eskalationsstufe der absehbaren Auseinandersetzungen dar. Am Mittwoch waren
       unterschiedlichen Angaben zufolge 400 oder 600 oder noch ein paar mehr
       Frankfurt-Fans nach Neapel gereist und trafen dort auf 800 Polizisten. Ein
       sehr großer Teil des Eintracht-Anhangs hat sich dort aufgeführt, wie man
       auf keinen Fall möchte, dass sich irgendwer irgendwo auf der Welt aufführt:
       Schwarz vermummt zogen sie grölend durch Straßen und Gassen Neapels, warfen
       Leuchtraketen, Steine, Tische und Stühle in jede Richtung – auf Polizisten
       und Restaurantgäste gleichermaßen.
       
       Diesem Auftritt etlicher Frankfurter Fans, die unterstützt wurden von
       Neapel-hassenden Ultras des italienischen Erstligisten Atalanta Bergamo,
       folgte dann Eskalationsstufe drei: [2][Fans der SSC Napol]i griffen auf der
       zentralen Piazza del Gesù Frankfurt-Fans an. Hierbei wurden sieben
       Neapel-Fans von der Polizei festgenommen. Während des Spiels am Abend war
       es dann relativ ruhig, doch in der Nacht zogen SSC-Fans vor die
       nebeneinanderliegenden Hotels der Frankfurter Mannschaft und der Fans,
       schossen mit Leuchtraketen auf die Gebäude und warfen Steine.
       
       ## Bilanz desaströs
       
       Die Bilanz der Nacht ist für alle Beteiligten desaströs: Eintracht
       Frankfurt ist sportlich ausgeschieden und wird sportjuristisch für künftige
       europäische Auftritte bestraft werden, vermutlich mit Geisterspielen. Die
       SSC Neapel hat sportlich zwar in der Champions League das Viertelfinale
       erreicht, muss aber mit Sanktionen rechnen – wegen der aktuellen Attacken
       ihrer Anhänger und auch wegen der von Verein und Stadt gemeinsam
       betriebenen Null-Gästefans-Politik.
       
       Das Desaster tut noch mehr weh, vergegenwärtigt man sich, dass Eintracht
       Frankfurt vor einem Jahr noch im Stadion von Nou Camp von Barcelona zwar
       mit 30.000 Fans deutlich größer vertreten war, als der Gastgeber das
       gewollt hatte, aber doch für ein lange in europäischen Stadien vermisstes
       Fußballfest gesorgt hatte – in der Arena und auf den Ramblas. Und für die
       SSC Neapel gilt, dass der Klub aktuell endlich mal wieder die Dominanz der
       Vereine aus Mailand und Turin herausfordert, wie es dies seit Diego
       Maradonas Zeiten nicht mehr gegeben hat – ein grundsympathisches
       Aufbegehren des Mezzogiorno gegen die Macht des reichen Nordens.
       
       ## Als Kriminelle und Asoziale bezeichnet
       
       Mit alle diesen positiven Effekten, die der Fußball in den vergangenen
       Monaten und Jahren Europa gebracht hat, ist es nach der Nacht von Neapel
       vorbei. Es ist auch deswegen vorbei, weil statt einer gastfreundlichen
       Politik, wie sie noch vor einem Jahr in Spanien durchgeführt wurde, von
       Beginn an die angekündigten Fußballanhänger als Kriminelle und Asoziale
       bezeichnet und behandelt wurden. Doch die politischen Kräfte, die die
       Eskalationsstufe eins für dieses Debakel gezündet hatten, indem sie
       Aufenthalts- und Ticketverbote diskutierten, hauen sich nun gegenseitig auf
       die Schultern, dass sie es ja vorher gewusst hatten. „Das Innenministerium
       hatte recht, als es ein Transferverbot für diese Hooligans gefordert hat“,
       verkündete Matteo Salvini, rechtsextremer Ex-Innenminister und aktueller
       Vizepremier, und schob in Richtung Eintracht-Fans die Frage nach: „Ich
       frage mich, ob sie in Deutschland das gleiche Chaos anrichten würden?“
       
       Die Antwort, so sie denn ein Nationalist wie Salvini überhaupt hören
       möchte, lautet: Ja, denn die Emotionen und die Gewalt, die im Fußball
       stattfinden, sind gesellschaftlich bedingt, es ist ein soziales Phänomen.
       Es ist nichts national Begrenztes, und schon gar nicht ist es etwas, das
       seine Ursachen in irgendwelchen nationalen Besonderheiten hat. Schon die
       Anwesenheit der gewaltbereiten Fans von Atalanta Bergamo sollte dies doch
       zeigen.
       
       Doch das Missverständnis ist leider keines, das auf die politische Rechte
       in Italien beschränkt ist. Einem sozialen Problem eine nationale Erklärung
       zu geben, bedeutet zugleich, ihm mit polizeilichen und nationalstaatlichen
       Mitteln zu begegnen: Grenzen dichtmachen, und wer doch durchkommt, wird
       eingeknastet.
       
       „Neapel sehen und verlieren“, so sieht die Italienische Reise 2023 für alle
       Beteiligten aus. Das Fußballerische, dass also Eintracht aus der Champions
       League geflogen ist, ist da leider das geringste Problem.
       
       16 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Eintracht-Frankfurt-Fans-ausgeschlossen/!5918845
 (DIR) [2] /Film-ueber-Ultra-Kultur-in-Neapel/!5675397
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Krauss
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Eintracht Frankfurt
 (DIR) SSC Neapel
 (DIR) Champions League
 (DIR) Gewalt im Sport
 (DIR) Grundrechte
 (DIR) Diego Maradona
 (DIR) Fußball-Bundesliga
 (DIR) Fußball
 (DIR) Eintracht Frankfurt
 (DIR) Kolumne Press-Schlag
 (DIR) Fußball
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Scudetto für Napoli: Neapel, ein Volksmärchen
       
       Die erste Fußballmeisterschaft des SSC Neapel seit 33 Jahren ist der
       Triumph einer gereiften Stadt, die ihre Ecken und Kanten behalten hat.
       
 (DIR) Fußballbundesliga: Frankfurt-Gladbach: Die Eintracht bleibt unentschieden
       
       Mit einem gerade so herausgespielten 1:1 gegen Mönchengladbach setzt
       Frankfurt seine Serie in der Liga fort: großer Aufwand, wenig Ertrag.
       
 (DIR) Italiens Erfolge in der Champions League: Schwere Wiedergeburt
       
       Drei italienische Clubs stehen im Viertelfinale der Königsklasse. Der AC
       Mailand und der SSC Neapel treffen aufeinander. Ist die Serie A so stark?
       
 (DIR) Eintracht-Frankfurt-Fans ausgeschlossen: Grotesker Angriff auf Grundrechte
       
       Eintracht-Fans aus Frankfurt dürfen nicht ins Stadion von Neapel – aus
       Sicherheitsgründen. Die Alarmstimmung in der Stadt ist nun besonders groß.
       
 (DIR) Europäischer Spitzenfußball: Ach, Europa League
       
       Ajax, Barca und weitere Großklubs scheiden aus dem Europapokal-Wettbewerb
       aus. Was sagt das über die Ordnung des Kontinents?
       
 (DIR) Frankfurt in der Champions Legue: Energie für Europa
       
       Eintracht Frankfurt zieht ins Achtelfinale der Champions League ein. Bei
       Sporting Lissabon gelingt es dem Team einmal mehr, an seine Grenzen zu
       gehen.