# taz.de -- US-amerikanischer Blick auf die Ukraine: Wenn niemand über den Krieg spricht
       
       > Unsere russische Autorin ist nach einem Jahr im lettischen Exil für ein
       > paar Wochen in New York. Dort interessiert sich kaum jemand für die
       > Ukraine.
       
 (IMG) Bild: Niemand interessiert sich in New York für die Ukraine und Energie wird auch nicht gespart
       
       Es hat sich ergeben, dass ich [1][Riga, den Ort meines „dauerhaften“
       Exils], verlassen habe und für zwei Monate in New York bin. Und der Krieg,
       der mein Leben um 180 Grad gewendet hat, der es hat entgleisen lassen –
       dieser Krieg ist verschwunden. Komplett weg. Er hat aufgehört zu
       existieren.
       
       Es gibt ihn nicht in den Nachrichten (nur manchmal in Vice-Reportagen),
       nicht auf den Straßen (ukrainische Flaggen sieht man hier praktisch keine),
       nicht in Gesprächen. Er existiert auch nicht bei Fernsehjournalisten. Die
       kümmern sich mehr um die Lügen des Kongressabgeordneten George Santos als
       um die Kämpfe im ukrainischen Bachmut. Es gibt den Krieg auch nicht bei den
       Dozenten an der New Yorker Filmakademie, wo ich studiere: Sie reden über
       „objektiven“ Journalismus, über die Notwendigkeit, beiden Seiten zuzuhören.
       
       Ich ärgere mich und sage, dass ich dem russischen Außenminister Sergei
       Lawrow nicht das Wort erteilen würde. Alles, was er und andere Beamte in
       Putins Russland sagen, sind nichts als die bereits bekannten Lügen.
       
       Aber die Dozenten verstehen mich nicht so gut. Sie sind aus verständlichen
       Gründen besorgt über inneramerikanischen Probleme – wie man die
       Aufmerksamkeit des Publikums aufrechterhält, wie man ethische
       Arbeitsstandards einhält. Und wenn man ihnen erklärt, dass der russische
       Journalismus – [2][der echte, nicht die Propaganda] – gerade mit komplett
       anderen Herausforderungen und ethischen Dilemmata kämpft, dann seufzen sie,
       nicken und rufen unisono „how horrible“.
       
       Auch bei den ganz normalen Menschen gibt es keinen Krieg. Im letzten Jahr
       sind die Preise, vor allem für Lebensmittel, merklich gestiegen. Die New
       Yorker sind alle wütend und reden ständig darüber. Aber sie denken wenig
       über die Gründe nach. Einige von ihnen können etwas über die Vogelgrippe
       sagen. Aber fast keiner sagt, dass der Krieg in der Ukraine der Grund dafür
       ist. Für die Öl- und Gaskrise und die Unterbrechung des ukrainischen
       Getreideexports.
       
       Der Krieg existiert vielleicht nur bei liberalen Emigranten alten Schlags –
       aber sie äußern sich eher im Sinne von „jetzt haben wir unser Russland
       endgültig verloren“. Oder bei Aktivisten wie Finley Muratowa, dem Kind von
       [3][Dmitri Muratow, Gründer der oppositionellen Zeitung Nowaja Gaseta und
       Friedensnobelpreisträger]. Solche Aktivisten versammeln sich regelmäßig am
       Times Square zu Aktionen.
       
       Die US-Amerikaner interessiert dieser Krieg nicht. Und während in Europa
       alle Strom und Gas sparen und sie trotz allem weiter Nachrichten aus ihren
       östlichen Außenbezirken verfolgen, ist New York immer noch zu 800 Prozent
       beleuchtet. Die Wohnungen der US-Amerikaner sind weiterhin warm, die Autos
       immer noch groß mit riesigen Motoren. Nur Eier kosten jetzt nicht mehr 3
       Dollar, sondern 5.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. 
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der [6][Verlag edition.fotoTAPETA]
       im September 2022 herausgebracht.
       
       11 Mar 2023
       
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