# taz.de -- Reichelt gegen Reschke: Kampf der Framings
       
       > Julian Reichelt ist juristisch gegen „Reschke-Fernsehen“ vorgegangen.
       > Doch damit hat der Wettstreit um Deutungshoheit erst begonnen.
       
 (IMG) Bild: Anja Reschke: Reingezogen in die Schlammschlacht um Reichelt
       
       Ben Irle, der Rechtsanwalt des früheren Bild-Chefredakteurs Julian
       Reichelt, hat viel zu tun: Springer klagt die Rückzahlung von Reichelts
       Abfindung und eine Vertragsstrafe ein. Und die Berliner Staatsanwaltschaft
       ermittelt wegen Betrugs gegen Reichelt. Irle hat angekündigt „gegen jede
       Verletzung der Rechte meines Mandanten entschieden vorzugehen“.
       
       Vorgegangen ist Irle zuletzt gegen die NDR-Sendung „[1][Reschke
       Fernsehen“]. Er erwirkte am Landgericht Hamburg [2][eine einstweilige
       Verfügung]. In ihrer Sendung vom 16. Februar hatte Anja Reschke über die
       [3][Machtmissbrauchvorwürfe mehrerer Frauen] gegen Reichelt berichtet,
       [4][die ihm bei Bild unterstellt waren]. Der NDR hat angekündigt,
       Widerspruch einzulegen. Von den 16 beanstandeten Passagen hat das Gericht
       11 vorerst für unzulässig erklärt, hauptsächlich anonymisierte Zitate
       ehemaliger Mitarbeiterinnen.
       
       Es geht darin etwa um das angeblich private Interesse Reichelts an einer
       ihm unterstellten Mitarbeiterin. Auch eine vom WDR übernommene Schlagzeile
       über vermeintlichen Drogenkonsum am Arbeitsplatz darf der NDR vorerst nicht
       mehr verbreiten.
       
       Der Gerichtsentscheid bedeutet nicht unbedingt, dass die Zitate inhaltlich
       falsch sind, sondern dass der NDR sie nicht ausreichend glaubhaft machen
       konnte – etwa durch eidesstattliche Versicherungen. Doch NDR und Reichelt
       liefern sich zusätzlich zur juristischen Auseinandersetzung einen Kampf um
       die mediale Deutungshoheit. In einer Pressemitteilung vom 2. Mai behauptet
       Irle, dass der „frei erfundenen Vorwurf des Machtmissbrauchs“ untersagt
       sei. Der NDR bestritt Irles Darstellung wenige Stunden später, das Gericht
       habe die „Berichterstattung über den Verdacht des Machtmissbrauchs durch
       Julian Reichelt als zulässig erklärt“.
       
       Pressemitteilungen liefern immer [5][ein Framing]: Durch die Wortwahl,
       indem sie bestimmte Inhalte in den Vordergrund rücken und andere
       absichtlich weggelassen. Der NDR geht vor allem auf Passagen ein, die für
       zulässig erklärt wurden, während Irles Mitteilung sich um die untersagten
       Teile dreht. Beide werfen der anderen Seite in ihren Mitteilungen vor,
       Unwahrheiten zu verbreiten.
       
       Frei erfunden ist der Vorwurf des Machtmissbrauchs nicht. In seinem
       Beschluss erklärt das Gericht „die Verdachtsäußerung, der Antragsteller
       habe diverse Affären mit Mitarbeiterinnen gehabt“ für zulässig. Auch die
       Aussage, dass Reichelt während des Compliance-Verfahrens gegen ihn im
       Frühjahr 2021 „Zugang zu Informationen hatte, die er nie hätte haben
       dürfen“, sei haltbar.
       
       Kurz nachdem der NDR die Sendung vorläufig aus der Mediathek genommen
       hatte, suggerierte Reichelt auf Twitter, die Löschung zeige die
       Unglaubwürdigkeit des NDR. Reschkes Reaktion folgte, nachdem eine
       bearbeitete Fassung wieder hochgeladen worden war. „Zurück in der
       Mediathek“, verkündete sie auf Twitter und betonte, dass der Vorwurf des
       Machtmissbrauchs unstrittig sei.
       
       Auf Instagram teilte Reschke dann gegen Reichelt aus: „Bei allem Streit ist
       es gut, in einem Staat zu leben, wo das Recht für alle gleich vom Staat
       gewährt wird. Im Gegensatz zu manchen Menschen behandelt das Grundgesetz
       nämlich alle ihm Unterstellten gleich und gut.“
       
       Das größere Risiko geht dabei der NDR ein, denn die Öffentlich-Rechtlichen
       stehen gerade unter verschärfter Kritik. Der NDR kann es sich nicht
       leisten, die Angriffe Irles zu ignorieren. Gleichzeitig darf es der NDR mit
       seiner Öffentlichkeitsarbeit nicht übertreiben, denn der Programmauftrag
       lautet: seriöser Journalismus. Man erwartet von den Öffentlich-Rechtlichen
       ausgewogene Berichterstattung. Das mediale Ego des NDR, das vorrangig daran
       interessiert ist, die eigene Berichterstattung in einem möglichst guten
       Licht darzustellen, kollidiert mit der journalistischen Rolle.
       
       Reichelt dagegen gilt als [6][rechtspopulistischer] [7][Krawall-Journo,]
       der es mit der Wahrheit nicht immer genau nimmt, weshalb sein Image von dem
       Rechtsstreit kaum berührt werden dürfte. Sein ehemaliger Arbeitgeber
       Springer hatte ihn mit der Begründung gefeuert, er habe den Vorstand
       belogen, was Reichelt bestreitet. Laut dem Spiegel soll er in seiner
       Bild-Zeit gar eine Scheidungsurkunde gefälscht haben.
       
       Der Framing-Kampf tobt auch darum, wie gehaltvoll die Sendung nach
       Überarbeitung noch ist. Nachdem Irle im Tagesspiegel vom „unumstößlichen
       Fakt“ gesprochen hatte, „dass von der Berichterstattung nach
       Herausschneiden der untersagten Äußerungen nicht mehr viel übrig bleibt“,
       urteilte Reschke auf Instagram über ihre Sendung: „Kann man sich gut
       anschauen.“ Im Gegensatz zu anderen „umkämpften Fakten“ kann man sich von
       dieser Sache selbst ein Bild machen: Die bearbeitete Fassung ist seit dem
       9. Mai in der [8][ARD-Mediathek abrufbar].
       
       18 May 2023
       
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 (DIR) [6] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/reichelt-youtube-101.html
 (DIR) [7] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Achtung-Krawall-Wie-Reichelt-die-Wirklichkeit-verdreht,sendung1346998.html9
 (DIR) [8] https://www.ardmediathek.de/video/reschke-fernsehen/vorwurf-machtmissbrauch-die-akte-julian-reichelt/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLm5kci5kZS80ODY3XzIwMjMtMDItMTYtMjMtMzU
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Luise Mosig
       
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