# taz.de -- Studierende aus Usbekistan in Bremen: Ferienjob endet im Desaster
       
       > Eine Bremer Leiharbeitsfirma zahlt 76 Usbek*innen kein Gehalt, eine
       > Agentur aus Taschkent lässt sie hängen. Niemand fühlt sich
       > verantwortlich.
       
 (IMG) Bild: Lost in Bremen: Malika, Sardor und Davron laufen vom Hauptbahnhof in die Innenstadt
       
       BREMEN taz | Das Video zeigt aufgekratzte junge Männer in T-Shirts, Jeans
       und Turnschuhen. Sie warten auf einen Bus, der sie zum Flughafen der
       usbekischen Hauptstadt Taschkent bringt. Zwei von ihnen sprechen über die
       bevorstehende Reise, dazu läuft muntere Popmusik.
       
       Hochgeladen wurde der Film am 8. Juni auf dem [1][Instagram-Account der
       privaten usbekischen Arbeitsvermittlung] „Turon World Cooperation“. Es
       handelt sich laut Bildtext um 80 „Kandidaten“ des Programms „Work and
       Travel 2023“. Das richtet sich an Studierende, die einen Ferienjob in
       Deutschland antreten wollen, Turon World hat ihn vermittelt.
       
       Doch für fast alle aus der Gruppe endet der Traum von Deutschland im
       Desaster. Denn die Bremer Leiharbeitsfirma RAJ Personalservices, mit der
       sie im Büro der Agentur in Taschkent einen Vertrag unterschrieben hatten,
       gibt nur Einzelnen Arbeit.
       
       Alle anderen müssen zusehen, wo sie bleiben, wovon sie in Deutschland leben
       und vor allem, wie sie die Vermittlungsgebühren wieder reinbekommen.
       Abhängig vom Anmeldezeitpunkt kostet das jeweils 600 bis 700 Euro, etwa das
       Doppelte eines durchschnittlichen usbekischen Monatseinkommens. Hinzu
       kommen die Kosten für einen Charterflug, für die Turon World umgerechnet
       550 Euro pro Person genommen hat. Linienflüge sind günstiger.
       
       Hätte RAJ den Vertrag erfüllt, hätten die Studierenden ihre Auslagen locker
       wieder reinbekommen und für usbekische Verhältnisse sehr viel Geld
       verdient, rund 5.000 Euro. Zwischen Anfang Juni und Ende August hätten sie
       35 Wochenstunden für einen Stundenlohn von 13 Euro arbeiten sollen, die
       meisten in der Sortierung und Verpackung von Obst und Gemüse. Der
       Arbeitgeber hätte laut dem der taz vorliegenden Vertrag die Unterkunft
       bezahlt.
       
       ## Alles anders als versprochen
       
       Aber es kam alles anders als versprochen. Nachdem sie am Morgen des 5. Juni
       mit dem Bus aus München angekommen waren, warteten sie auf einen Anruf der
       Leiharbeitsfirma. Nach ihrer Aussage hatte die Agentur ihnen eingeschärft,
       dass sie sich nicht selbst bei RAJ melden dürften. Der Anruf blieb aus.
       Turon World sagte, sie sollten weiter warten.
       
       So erzählen es drei Studierende, zwei Männer und eine Frau, die die taz in
       den vergangenen zweieinhalb Wochen mehrfach getroffen hat, teilweise
       gemeinsam mit anderen aus der Gruppe, die dasselbe sagen. Zwei von ihnen
       sind in dem Instagram-Video zu erkennen. Sie unterschreiben eidesstattliche
       Erklärungen zum Wahrheitsgehalt ihrer Erzählungen, wissend, dass sie für
       Falschaussagen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können.
       
       Sie legen Flugtickets vor, Verträge, Visa sowie Belege für Überweisungen an
       die Vermittlungsagentur. Es gibt keinen Anlass, an ihrer Darstellung zu
       zweifeln. Auch die Leiharbeitsfirma RAJ tut nichts, um sich in ein besseres
       Licht zu rücken. Mails der taz mit der Bitte um Stellungnahme bleiben zwei
       Wochen unbeantwortet.
       
       Die drei jungen Leute haben in diesem Artikel andere Namen bekommen, um sie
       vor Nachstellungen im Heimatland zu schützen. Sie wollen aber, dass ihre
       Erlebnisse bekannt werden. „Das soll nicht noch einmal passieren“, sagt
       Malika bei einem der Treffen. Sie ist eine der Handvoll Frauen aus der
       Gruppe, spricht etwas Deutsch und sehr gut Englisch. Mit 24 Jahren ist sie
       die Älteste der drei. Die Muslima trägt lange Haare und Lidstrich. Sie
       übersetzt für die anderen, die nur ein wenig Englisch können. Manchmal
       dauern ihre Übersetzungen länger. Dann erklärt sie, warum sich alles so
       zieht.
       
       ## Leere Versprechungen, kein Gehalt
       
       Vor allem Davron ist ungeduldig, ein schmaler 21-Jähriger. An einem
       schwülen Tag legt er den Kopf auf den Konferenztisch, er hat Kopfschmerzen.
       „The weather.“ Der Dritte im Bund ist Sardor, gerade 20 geworden,
       hochgewachsen, trägt meistens Schwarz und strahlt Gelassenheit aus, auch in
       ihrer misslichen Lage. Die beiden Jungs sind zurückhaltend und höflich,
       wenn sie mit Älteren sprechen. Sobald sie unter sich sind, wirken sie wie
       Kinder, albern herum. Malika übernimmt für sie viel mehr als nur das
       Übersetzen.
       
       Aus der Geschichte, die sie erzählen, geht hervor, dass ihnen doppeltes
       Unrecht geschehen ist. Zum einen hat die usbekische Vermittlungsagentur sie
       hängen lassen und ihnen viel Geld aus der Tasche gezogen – mit leeren
       Versprechungen. „Sie haben gesagt, wir könnten uns aussuchen, wo wir
       arbeiten“, sagt Malika wütend, vielleicht auch auf sich selbst, weil sie es
       geglaubt hat. Zum anderen verstößt die Leiharbeitsfirma gegen das Gesetz,
       weil sie im so genannten „Annahmeverzug“, also wenn sie keinen
       Arbeitseinsatz vermitteln kann, trotzdem ein Gehalt zahlen müsste.
       
       Dass Unternehmen Menschen [2][bei schlechter Auftragslage] auf die Straße
       schicken, komme oft vor, sagt Mahmood Abo-Jeap, der in Bremerhaven bei
       „Arbeit und Leben“ arbeitet, einem Verein, der [3][Arbeitnehmer:innen
       aus Nicht-EU-Staaten berät]. Auch er hat versucht, den usbekischen
       Studierenden zu helfen. Erfolglos, es ist keine Stelle zuständig, sie
       fallen durch alle Raster des Sozialnetzes.
       
       Die einzige Unterbringung, die ihnen der Staat gewähren würde, wäre in
       einer für Obdachlose. Sozialleistungen könnten sie nur beziehen, wenn sie
       in Deutschland gearbeitet hätten. Die usbekische Botschaft äußert sich
       nicht dazu, ob sie den Studierenden helfen wird.
       
       ## Anklage wegen Urkundenfälschung
       
       Nachdem sie eine Woche lang nichts von der Leiharbeitsfirma gehört hatten,
       seien ein paar der Studierenden in deren Geschäftsräume in einem
       Gewerbegebiet im Bremer Süden gegangen, erzählt Malika, die sich darüber
       wundert, dass eine Etage der Firma leer steht.
       
       Was sie nicht weiß: RAJ ist noch nicht lange dort, sondern hatte bis vor
       Kurzem nur zwei Zimmer zur Untermiete nahe der Innenstadt, die zu klein
       wurden. Dabei gibt es das Unternehmen erst seit 2019.
       
       Am 25. August 2020 bewirbt die Firma [4][auf ihrem russischsprachigen
       Instagram-Account] das Angebot „Work and Travel“. Das Unternehmen entwickle
       sich „rasant in Richtung Studentenprogramme“, heißt es dort. Doch von den
       usbekischen Studierenden wollen die RAJ-Mitarbeiter:innen nichts wissen. Es
       gebe keine Arbeit für sie, sei ihnen bei ihrem ersten Besuch gesagt worden,
       berichtet Malika, die beiden Männer nicken. Eine knappe Woche später, am
       19. Juni, gingen sie mit etwa zehn Personen in Begleitung eines Zeugen,
       einem Dolmetscher, wieder dorthin. Er bestätigt, dass die jungen Leute
       fortgeschickt wurden.
       
       ## Sie schlafen auf Bahnhöfen
       
       Zu diesem Zeitpunkt hatten einige bereits am Bremer Hauptbahnhof
       geschlafen. Turon World hatte die jungen Usbek:innen nach ihrer Ankunft
       am Morgen des 5. Juni für zwei Nächte in einem Hostel untergebracht, das
       sie selbst bezahlen mussten und sie danach sich selbst überlassen. Einige
       hatten nur usbekisches Geld dabei, das hier nicht getauscht werden kann.
       
       Durch Zufall geriet eine kleine Gruppe an die Gewerkschaft IG BAU, die sie
       juristisch vertreten wird, um ihren Lohn einzuklagen. Doch nur die drei
       Protagonist:innen dieser Geschichte kamen wie vereinbart am Montag
       vergangener Woche in das Gewerkschaftsgebäude in einer tristen Seitenstraße
       nahe des Bahnhofs, um ihre auf russisch verfassten Beitrittserklärungen
       auszufüllen.
       
       Die Mitgliedschaft ist Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaft sie
       vertreten kann. Die anderen fünf, die ebenfalls eintreten wollten, seien
       zwei Tage zuvor von Turon World – offenbar aufgeschreckt durch die Besuche
       bei der Leiharbeitsfirma – in zwei andere Städte geschickt worden, erzählt
       Sardor. Dort sei ihnen Arbeit versprochen worden. Wohin genau, steht hier
       nicht, zum Schutz vor Kriminellen, die ihre hilflose Situation ausnutzen
       könnten.
       
       Die drei hatten dem Angebot nicht getraut und waren in Bremen geblieben.
       Ihr Misstrauen war berechtigt. Denn in der einen Stadt gab es keine Arbeit
       und damit auch kein Geld. Zehn Tage nach dem Treffen bei der Gewerkschaft,
       auf einer privaten Terrasse im Bremer Szene-Stadtteil „Viertel“ zeigen sie
       auf ihren Handys Videos, auf denen zu sehen ist, wie etwa ein Dutzend junge
       Männer in einer U-Bahn-Station in Süddeutschland schlafen.
       
       ## Manche arbeiten schwarz, 13 Stunden
       
       Diese Bilder haben es mittlerweile auch [5][in ein usbekisches
       Online-Nachrichtenportal] geschafft. Turon World postete daraufhin auf
       Instagram, es handele sich um Fake News und man müsse beide Seiten anhören.
       Eine Bitte der taz um Stellungnahme blieb eine Woche unbeantwortet.
       
       Mit auf der Terrasse sitzt an dem Abend auch Ulugbek, ein junger Mann, der
       meistens eine schwarze Stoffmütze trägt. Er ist nach fünf Nächten in der
       U-Bahn-Station nach Bremen zurückgekehrt und in einem der Videos zu sehen.
       „Ich wollte nicht länger warten.“ Seine Freund:innen in Bremen zahlten
       ihm die Rückfahrt mit dem Bus.
       
       Aus zuverlässiger Quelle hat die taz erfahren, dass ein weiterer Teil der
       usbekischen Studierenden jetzt schwarz in der anderen Stadt arbeitet. Es
       sollen 13 bis 14 Stunden am Tag sein, auf einer Baustelle, für vier bis
       fünf Euro die Stunde. Wer nach einer Woche nicht mehr konnte, soll kein
       Geld für seine Arbeit bekommen haben.
       
       Der Druck, auch [6][unter ausbeuterischen Verhältnissen zu arbeiten,] ist
       groß. Viele, erzählen die drei, hätten sich für Flug und Vermittlung Geld
       geliehen, das sie zurückzahlen müssen. Nur Malika hat in dieser Hinsicht
       keine Sorgen, sie hatte in Usbekistan gejobbt und genug gespart. Die beiden
       jungen Männer haben sich zwar auch etwas geliehen, aber nur bei
       Angehörigen, die ihnen keine Probleme bereiten werden. „Ich will es meinem
       Bruder aber zurückzahlen, er hat Kinder“, sagt Sardor. Ihren Familien haben
       sie gesagt, sie würden arbeiten, alles sei gut. Die zählen auf sie.
       
       ## Familien zählen auf sie
       
       Denn obwohl ihre Eltern zur Mittelschicht gehören, ist das Geld knapp,
       Kredite für Häuser müssen abbezahlt werden. Davrons Eltern arbeiten nicht,
       Ulugbeks Mutter ist alleinerziehende Lehrerin. Sardors Eltern sind Manager,
       sie verdienen mit 500 Euro im Monat etwas überdurchschnittlich. Alle haben
       zwei bis vier Geschwister, die meisten von ihnen älter. Als Jüngste sind
       sie in ihren Semesterferien zum Arbeiten ins Ausland geschickt worden.
       
       Für sie ist die Reise auch ein Abenteuer, nur Davron war schon einmal im
       Ausland, in China, als Kind. Sechs bis sieben Stunden dauert der Flug aus
       Usbekistan, ein Land, etwa so groß wie Spanien, gelegen zwischen Kasachstan
       und Afghanistan, mit 35 Millionen Einwohner:innen. Malika fühlt sich so
       wohl in Deutschland, dass sie hier ihren Master machen will. „Die Menschen
       respektieren die Grenzen der anderen“, sagt sie. Auch von der Landschaft
       ist sie begeistert. „Ich liebe Wald“, sagt sie und meint den Bremer
       Bürgerpark, durch den sie vor ein paar Tagen gelaufen sind.
       
       An einem anderen Tag schwärmt sie vom Meer – sie hat die in Bremen Nord
       recht breite Weser für die Nordsee gehalten und lacht über ihr
       Missverständnis. „Ich habe noch nie so viel Wasser auf einmal gesehen.“
       Usbekistan besteht zu 80 Prozent aus Wüste und Steppe. Der Plan der jungen
       Usbek:innen war, im Anschluss an den Job zu reisen, Spanien, Frankreich,
       Italien, so wie Gleichaltrige aus wohlhabenden Staaten. Bloß nicht so lange
       wie die: nur ein, zwei Wochen.
       
       Im Nachhinein frage sie sich auch, warum sie geflogen sei, sagt Malika.
       Denn sie sei misstrauisch geworden, nachdem Turon World ihr nie hatte sagen
       wollen, für wen sie arbeiten werde, wo und in welchem Umfang. „Ich habe
       immer wieder nachgefragt.“ Immer wieder habe es Ausreden gegeben oder sogar
       Drohungen, sie würde nicht vermittelt.
       
       ## Freizügigkeit in Usbekistan erst seit 2019
       
       Schließlich hätte sie einen Umschlag mit allen Unterlagen bekommen, um
       damit für den Visumsantrag zur deutschen Botschaft zu gehen. Dort habe sie
       den auf Deutsch verfassten Vertrag zum ersten Mal gesehen, sagt sie.
       Ausgehändigt habe Turon World ihr zuvor keins ihrer Dokumente. Sie würde
       sie ja doch nur verlieren, hätten sie gesagt.
       
       Dass sie ihre Zweifel an der Seriosität der Agentur weggewischt hat und
       andere gar nicht erst auf die Idee gekommen sind, dass sie betrogen werden
       könnten, liegt auch daran, dass Usbekistan seine Einwohner:innen erst
       seit Kurzem frei ziehen lässt. Als letztes postsowjetisches Land
       [7][schaffte es zum 1. Januar 2019 das Ausreisevisum ab.] Das förderte die
       Arbeitsmigration: Die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten mit
       usbekischer Staatsbürgerschaft ist nach Daten der Bundesarbeitsagentur
       zwischen 2015 und 2022 stetig gestiegen.
       
       Hinzu kommen illegale Beschäftigungsverhältnisse, teilweise von Firmen wie
       Turon World eingefädelt. Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes teilt mit,
       die deutsche Botschaft in Taschkent habe in den letzten Monaten Erfahrungen
       mit „unseriösen Vermittlungsagenturen“ gemacht. Diese Agenturen würden
       Leute teils mit gefälschten Unterlagen in die Visumsstelle schicken, aus
       denen hervorgeht, dass sie ein studienbegleitendes Praktikum in Deutschland
       absolvieren wollen – während die Agenturen ihnen einen Job in Deutschland
       als Erntehelfer:innen in Aussicht gestellt haben.
       
       Das Geschäft mit der Visabeschaffung ist lukrativ. Bei einer
       durchschnittlichen Vermittlungsgebühr von 600 Euro hat Turon World von den
       80 Studierenden 48.000 Euro kassiert. Eine Menge Geld für die Abwicklung
       von Papierkram sowie einen Reisebegleiter bis Bremen. Und dafür, dass sie
       nicht tätig werden, wenn wie in diesem Fall erhebliche Probleme im Zielland
       auftreten.
       
       ## Vermittlungsagentur beschafft Visa
       
       Turon World vermittelt auch nicht studentische Arbeitskräfte und in andere
       Länder. In einer Fotoserie der Agentur auf Instagram zeigen junge Männer
       ihre Reisepässe mit den Visa. [8][In einem am 24. Mai hochgeladenen Video]
       fährt eine Kamera Dutzende nebeneinander aufgereihte Visa ab, untermalt von
       dramatischer Musik. „Turon World ist immer erfolgreich“, steht daneben.
       
       Zu sehen ist darin auch das Formular, mit dem die Bundesarbeitsagentur
       bescheinigt, den Antrag von RAJ auf Ferienbeschäftigung geprüft zu haben.
       Ohne dieses gibt es kein Visum. Die Bundesarbeitsagentur prüft aber nur, ob
       die Beschäftigungsbedingungen passen, in Bezug auf Lohn, Inhalt,
       Arbeitszeit.
       
       Auf dem einseitigen Formblatt wird auch abgefragt, durch wen der Kontakt zu
       dem oder der Studierenden zustande kam. Der taz liegen drei dieser
       Formulare vor, auf denen nicht Turon World, sondern „Uzcamp“ als Vermittler
       angegeben ist, ein Unternehmen für Sprachreisen im In- und Ausland, es hat
       dieselbe Adresse wie Turon World.
       
       Die Bundesarbeitsagentur äußert sich nicht zum Einzelfall, nur allgemein.
       „Sollten wir Kenntnis über Rechtsverstöße erlangen, werden wir dem
       nachgehen und Unternehmen bei schweren Pflichtverstößen von der Zulassung
       von Ferienbeschäftigungen ausschließen“, sagt eine Sprecherin. „Wir nehmen
       das sehr ernst.“
       
       ## Ein-Zimmer-Wohnung für 800 Euro
       
       Das Bittere an dieser Geschichte ist: Mit den drei, die jetzt
       Gewerkschaftsmitglieder sind, bekommen diejenigen am meisten Hilfe, die sie
       am wenigsten nötig haben, die nicht unter existenziellem Druck stehen, die
       Englisch sprechen und so viel Geld dabei hatten, dass sie nie hungern und
       draußen schlafen mussten. Fünf Nächte hätten sie in Hostels verbracht, drei
       Nächte seien sie von Landsleuten untergebracht worden, sagen sie.
       
       Für die letzten beiden Juniwochen hatten sie eine Ein-Zimmer-Wohnung zur
       Untermiete am Stadtrand, zwei Wochen für 300 Euro. Für Juli verlangte die
       Vermieterin, die das als freundliches Hilfsangebot verkaufte, 800 Euro. Das
       konnten sie nicht bezahlen.
       
       Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Sie sind provisorisch untergebracht
       von Leuten, die von ihrer Situation erfahren haben. Aber auch ihr Geld geht
       zur Neige, die Nerven werden dünner. Sie leben seit einem Monat zusammen
       auf engem Raum. Für Malika als einzige Frau ist es nicht leicht. Sie denkt
       weniger traditionell als die jungen Männer.
       
       Ob sie in Deutschland legal arbeiten dürfen, kann ihnen nach einem Monat
       immer noch niemand sagen. Dabei muss es in der Vergangenheit ähnliche
       Konstellationen gegeben haben, bei denen ausländische Studierende einen
       neuen Ferienjob brauchten – und sei es nur, weil sie sich mit ihrem Chef
       überworfen hatten. „Wo sind eure Papiere?“, habe es immer geheißen, wenn
       sie sich für einen Job vorstellten, sagt Malika – an Angeboten mangelt es
       nicht.
       
       ## Behörden wissen nicht, was zu tun ist
       
       Dabei steht auf ihrem Visum, dass sie unter die Ausnahmeregelung des
       Paragrafen 14 der Bundesbeschäftigungsverordnung fallen. Danach brauchen
       Schüler:innen und Studierende keine Arbeitserlaubnis, sondern nur den
       Nachweis, dass die Arbeit von der Bundesarbeitsagentur vermittelt wurde.
       Das ist das besagte Formblatt, das ein potenzieller Arbeitgeber bei der
       Bundesarbeitsagentur einreichen müsste.
       
       „Sollten die Betroffenen ihren Vertrag mit der Leiharbeitsfirma kündigen
       und einen neuen Arbeitgeber finden, würden wir ihnen unbürokratisch eine
       Erlaubnis dafür ausstellen“, verspricht die Sprecherin der
       Bundesarbeitsagentur. Die Studierenden bräuchten dann allerdings ein neues
       Visum der deutschen Botschaft in Taschkent, sagt die Sprecherin – weil sie
       nur aufgrund ihres Arbeitsvertrages mit RAJ einreisen durften.
       
       Das Auswärtige Amt als Dienstherr der Botschaft widerspricht. Die
       Ausländerbehörden seien zuständig, weil die Betroffenen bereits im Land
       seien. Spätestens an dieser Stelle wird es kafkaesk. Denn auf dem Visum
       steht, dass sie grundsätzlich arbeiten dürfen. Daher hat die Bremer
       Ausländerbehörde, die Arbeitserlaubnisse ausstellen kann, mit der
       Angelegenheit nichts zu tun. Die sagt, die Betroffenen sollten sich dennoch
       bei ihr melden, um zu prüfen, ob ihnen geholfen werden kann.
       
       In zwei Monaten läuft das Visum der jungen Usbek:innen ab. Wenn sie
       jetzt die Jobsuche aufgeben, können die drei hoffen, dass es der
       Gewerkschaft gelingt, ihren Lohn rückwirkend einzuklagen. Geld würden sie
       dann aber erst lange nach ihrer Rückkehr bekommen. Die Rückreise wäre dabei
       das geringste Problem, denn die Stadt Bremen würde ein Busticket bezahlen,
       sichert ein Sprecher der Bremer Sozialsenatorin zu.
       
       Turon World verrät nicht, wie viele der Kandidaten aus „Work and Travel
       2023“ noch in Deutschland sind, ob und wie Turon World ihnen hilft. Die
       Firma zeigt auf ihrem Instagram-Kanal nicht, wie es ihnen geht, wie sie
       leben und arbeiten. Es wären keine schönen Bilder.
       
       Anm.d.R.: Am Tag des Erscheinens dieses Artikels in der gedruckten taz
       schreibt Sardor abends eine Mail an die taz-Reporterin, die
       Leiharbeitsfirma RAJ habe ihnen Arbeit in einer anderen Stadt angeboten,
       sie seien bereits dorthin abgereist. Die Kündigungsfrist beträgt laut
       Vertrag innerhalb der ersten zwei Wochen des Beschäftigungsverhältnisses
       einen Tag, danach eine Woche.
       
       6 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.instagram.com/reel/CtPByh4ASjm/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA==
 (DIR) [2] /Peter-Kossen-ueber-die-Fleischindustrie/!5347407
 (DIR) [3] https://www.faire-integration.de/
 (DIR) [4] https://www.instagram.com/p/CEUREXHnYkn/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA==
 (DIR) [5] https://kun.uz/news/2023/06/29/germaniyaga-ishlashga-borgan-300-ozbekistonlik-vokzalda-yotgani-aks-etgan-video-tarqaldi-vazirlik-holat-organilayotganini-bildirdi
 (DIR) [6] /Ausbeutung-in-der-Fleischindustrie/!5791699
 (DIR) [7] https://thediplomat.com/2019/01/uzbekistan-abolishes-exit-visa-system/
 (DIR) [8] https://www.instagram.com/reel/CsoIOLhg06p/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA==
       
       ## AUTOREN
       
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