# taz.de -- Buch über westalliierte Soldatenclubs: Die Freiheit kam aus der Hüfte
       
       > Die Populärkultur der Westalliierten veränderte Deutschland stark. Wie
       > das geschah, zeigt Lena Rudeck in „Vergnügen in Besatzungszeiten“.
       
 (IMG) Bild: Tanz in die Freiheit: US-Soldaten mit jungen Frauen in Frankfurt in den 1940er Jahren
       
       Sie trugen schillernde Namen, und in ihren Räumen war mächtig was los – im
       Meteor in Celle, im Stardust in Heidelberg, im Big Wheel in Weiden. Es
       wurde geplaudert, geraucht und getanzt, zu Rhythmen, die gerade eben noch
       [1][als „artfremd“ verboten waren]. Statt im Polkagleichschritt im Kreis zu
       stampfen, wirbelten junge Leute im Boogie-Woogie-Modus übers Parkett.
       
       Manch Beobachter staunte, wie nun „Schultern, Hüften, die Beckenregion
       eingesetzt wurden“. Andere witterten „sittlichen Niedergang“, warnten vor
       „Amoralität“ und „flirrender Leere des Kopfes und des Herzens“. Zitate wie
       diese zeugen vom Kulturschock, den die westalliierten Truppen ab 1945 in
       Deutschland auslösten. Nachzulesen sind sie in dem Band „Vergnügen in
       Besatzungszeiten“, in dem die Historikerin Lena Rudeck Dutzende
       Zeitzeuginnen und -zeugen aus der Nachkriegsära zu Wort kommen lässt.
       
       Anschaulich erzählt Rudecks Studie von den mühsamen, oft schmerzvollen
       Aushandlungsprozessen, die das physisch und psychisch komplett kaputte
       Täterland umtrieben: Wie liberal, wie frei, wie individualistisch kann oder
       will diese Gesellschaft künftig sein? Und welche Rolle spielen die
       berühmten – bis heute immer wieder hitzig angegriffenen – „westlichen
       Werte“ dabei?
       
       Alltägliche soziale Interaktionen 
       
       Die „Re-Education“, die „Umerziehung“ der vom Nationalsozialismus
       vergifteten Bevölkerung, war das Ziel der Alliierten. Rudeck interessiert
       sich dabei für die „alltäglichen sozialen Interaktionen“ zwischen Besatzern
       und Besetzten. Im Mittelpunkt ihrer Recherche stehen die Soldatenclubs, die
       Briten, Franzosen und Amerikaner auf deutschem Boden unterhielten.
       
       Neben Livemusik gab es dort Wein aus der Loireregion, Sandwiches wie in
       Birmingham, Coca-Cola wie in Cincinnati. Den Soldaten sollten die Bars und
       Lokale als „home away from home“ dienen. Deutsche hatten anfangs keinen
       Zutritt, strenge „Nonfraternization“-Erlasse stellten schon das
       Händeschütteln mit einem „Kraut“ unter Strafe.
       
       Anders als die Sowjets in der sogenannten Ostzone öffneten die
       Westalliierten ihre Freizeiteinrichtungen nach und nach aber doch für die
       ortsansässige Bevölkerung. Der Bedarf an Tanzkapellen war groß, auch
       Küchenhilfen und Hausmeister wurden gesucht. Deutsche, die sich um die
       begehrten Jobs kabbelten, wurden auf ihre NSDAP-, SA- oder
       SS-Vergangenheit durchleuchtet, ebenso streng verlief die Auswahl des
       Clubpublikums.
       
       Wer dabei sein wollte, musste sich um einen Gesellschaftspass bewerben.
       Jungerwachsene im Alter von 18 bis Anfang 30 standen Schlange, laut Rudeck
       vor allem „gut gebildete Frauen mit eigenem Einkommen“, Studentinnen,
       Verkäuferinnen, Sekretärinnen.
       
       Am Beispiel jener German Frolleins zeigt die Historikerin auf, wie wichtig
       die Alliiertenclubs als „Räume interkultureller und intellektueller
       Begegnungen“ waren und wie weit das dortige „Vergnügen“ auf die
       Gesamtgesellschaft ausstrahlte. „Frolleins“, die mittanzen durften oder als
       Hostessen angestellt waren, wurden außerhalb der Clubs als „Tommy-Liebchen“
       oder „Ami-Huren“ beschimpft. Hübsch und freundlich sollten sie sein und
       „stets lächeln“, wie Rudeck schreibt.
       
       Einerseits trugen sie so zur Verfestigung tradierter Geschlechterrollen
       bei. Im Gegenzug erlangten diese jungen Frauen aber enorme „Unabhängigkeit
       von ihren Familien und der Heimat, arbeiteten weitgehend selbstständig,
       konnten reisen und begaben sich in ein Abenteuer“ – und wurden darum von
       „Desperate Housewives“ dies- und jenseits des Ozeans beneidet. Fassungslos
       zeigte sich der „infolge seiner langjährigen rassenpolitischen Schulung
       schockierte deutsche Mann“, wie es 1948 in der ersten Ausgabe des Sterns
       hieß. Behutsam wurde ihm erklärt, dass der arisch-germanische Krieger nicht
       mehr gefragt war und stattdessen „die menschliche Güte […] und Zartheit
       gerade der amerikanischen Bürger […] die Neigung der deutschen Mädchen
       gewonnen hat“.
       
       Hetze gegen Schwarze Soldaten 
       
       Tatsächlich wanderten allein in den ersten fünf Jahren nach Kriegsende mehr
       als 14.000 deutsche Frauen mit ihren US-Partnern nach Übersee aus.
       Unterdessen hetzten hiesige Journalisten vor allem gegen Schwarze Soldaten,
       gegen angeblich „unzivilisierte“ Männer, die auf der „Jagd“ nach weißen
       Frauen waren.
       
       Verblüffend nahtlos dockt das von Rudeck zusammengetragene Material an
       viele heute (wieder) drängende Diskurse an. Kürzlich, im Frühjahr 2023, kam
       es zu einiger Aufregung um den 1951 erschienenen Roman „Tauben im Gras“:
       Der Nachkriegsschriftsteller Wolfgang Koeppen verwendet darin mehr als
       hundert Mal das N-Wort, um den Rassismus seiner Zeit aufzuzeigen – die
       Schwarze Deutschlehrerin Jasmin Blunt startete nun eine [2][Petition gegen
       das Buch.] Hauptfigur ist ein afroamerikanischer Soldat, der Roman gipfelt
       in einem pogromartigen Angriff auf einen alliierten Jazzclub.
       
       Rudecks Materialsammlung bildet die historische Realität hinter der
       verstörenden Erzählung ab: Sie beleuchtet die Ära, in der eine neue
       Generation Schwarzer Deutscher zur Welt kam, „Besatzungsbabys“ wurden sie
       genannt. Heute melden sich deren Nachkommen lauter denn je zu Wort, und
       Rudecks Studie kann hilfreich sein beim [3][Einordnen des Koeppen-Werks],
       das sich, mit damaligen literarischen Mitteln, auf ihre Seite stellte.
       
       Ihre Überlegungen stützt Rudeck auf die Theorie einer „moralischen
       Ökonomie“: Wer an den Konsum- und Freizeitgewohnheiten der Westalliierten
       teilnahm, erwarb wertvolles „soziales und kulturelles Kapital“ und war
       damit klar im Vorteil gegenüber denjenigen, die in der „Ostzone“ lebten.
       
       Während die Westjugend zarte Ansätze indidvidueller Freiheiten erprobte,
       war die „Freie Deutsche Jugend“ im Osten erneut kollektivistisch
       organisiert, mit militärisch anmutenden Abzeichen, Ausweisen,
       Rangordnungen. Eine junge Frau aus Rudecks Recherche, eine Grete H.,
       begründet ihre Übersiedlung von Ost- nach Westberlin 1949 wie folgt: „Wir
       sind ja schon rüber zu den Amis gegangen zum Tanzen. Für die Russen war es
       verboten. Da waren wir ganz wild drauf.“
       
       Sachlich korrekt bezeichnet Lena Rudeck die westlichen Alliierten stets als
       „Sieger“ oder „Besatzer“. Hat man ihr Buch zu Ende gelesen, erscheint einem
       der Begriff „Befreier“ aber doch sehr viel passender.
       
       28 Jul 2023
       
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