# taz.de -- Buch über NS-Elite nach 1945: Die Judenhasser
       
       > Eine Biografie über den Auschwitz-Überlebenden Philipp Auerbach
       > dokumentiert den deutschen Antisemitismus nach 1945.
       
 (IMG) Bild: Das Begräbnis von Philipp Auerbach glich einer Demonstration. Andrang am Grab, 18.8.1952
       
       Nicht aus Feigheit, nicht aus meinem Schuldbekenntnis handle ich, sondern
       weil ein Glaube an das Recht für mich nicht mehr besteht […]. Ich bin
       unschludig verurteilt […]. Ich habe mich niemals persönlich bereichert und
       kann dieses entehrende Urteil nicht weiterhin tragen. Ich habe bis zuletzt
       gekämpft. Es war umsonst. Mein Blut komme auf das Haupt der Meineidigen.“
       
       Als Philipp Auerbach im August 1952 diese Zeilen der Öffentlichkeit
       hinterließ, war er 45 Jahre alt. Er starb mittellos und gezeichnet von
       schwerer Krankheit. In den Suizid getrieben wurde er von einem
       ungeheuerlichen, intriganten Gerichtsprozess. Der Prozess gegen ihn gehört
       zu den schillernsten Justizaffären in der frühen Bundesrepublik, die auch
       im Ausland Beachtung fand.
       
       Auerbach war der bekannteste Vertreter der jüdischen Gemeinschaft im
       Nachkriegsdeutschland. Seine Beerdigung glich einer politischen
       Demonstration, an der etwa 2.000 Menschen teilnahmen. Und doch ist seine
       Geschichte heute vergessen. Nun ist eine neue Biografie von Hans-Hermann
       Klare erschienen, die die „Affäre Auerbach“ endlich einer breiteren
       Öffentlichkeit bekannt machen kann.
       
       Geboren wurde Philipp Auerbach 1906 in Hamburg. Politisch engagierte er
       sich in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei und beim
       demokratischen Wehrverband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. 1934 rettete
       sich Auerbach mit seiner Familie nach Antwerpen. Ab 1940 wurde er in
       verschiedene französische Lager verschleppt, Frau und Tochter konnten 1941
       in die USA entkommen. Auerbach selbst überlebte Auschwitz, Groß-Rosen und
       Buchenwald.
       
       ## Nazis und Profiteure aufspüren
       
       Nach der Befreiung gelangte er nach Düsseldorf. Dort setzten ihn die Briten
       in der Fürsorge für ehemalige KZ-Häftlinge ein. Darüber hinaus versuchte
       Auerbach eigenständig, in den Behörden untergekommene Nazis und Profiteure
       aufzuspüren, womit er sich nicht nur bei den Deutschen schnell Feinde
       machte. Als er zum früheren Wirken des Oberpräsidenten der Provinz
       Rheinland, Robert Lehr, Material sammeln ließ, suspendierte ihn die
       britische Militärregierung.
       
       1946 wurde Auerbach als „Staatskommissar für rassisch, religiös und
       politisch Verfolgte“ nach München gerufen. In der US-amerikanischen Zone
       lebten damals teils über 150.000 jüdische Displaced Persons (DPs) – meist
       in der Hoffnung auf eine schnelle Weiterreise ins Ausland. Manche blieben
       jedoch länger, das letzte DP-Lager existierte bis 1957. Vielen
       nicht-jüdischen Deutschen galten die Camps als Brutstätten des
       Schwarzmarktes und ihre Bewohner:innen nicht als
       unterstützungsbedürftige Überlebende und Flüchtlinge.
       
       Philipp Auerbach und seine Behörde versuchten unermüdlich, die Situation
       der DPs zu verbessern. Zudem meldete er sich regelmäßig öffentlich zu Wort.
       Im Bayerischen Rundfunk etwa sprach er 1947 zum Jahrestag der Befreiung.
       1951 kommentierte er in Radio-Ansprachen eine Demonstration in Landsberg am
       Lech für die Begnadigung von dort inhaftierten NS-Kriegsverbrechern.
       Proteste von DPs stießen damals auf „Juden-raus-Rufe“, gegen die ehemaligen
       KZ-Häftlinge ging die Polizei schließlich mit Gummiknüppeln vor.
       
       ## Der Zorn der Deutschen
       
       Mit seinen öffentlichen Reden zog Auerbach den Zorn vieler Deutscher auf
       sich, die die [1][Nazi-Herrschaft mitsamt ihrer eigenen Verstrickung
       verdrängen wollten.] Unter ihnen befand sich nicht nur der zum
       Bundesinnenminister aufgestiegene Robert Lehr (CDU). Auch dem bayerischen
       Justizminister Josef Müller (CSU) war Auerbach ein Dorn im Auge, da dieser
       möglicherweise von seiner verschwiegenen Vergangenheit als an einer
       Arisierung beteiligter Rechtsanwalt wusste.
       
       Unterstützt von Lehr, startete Müller eine intrigante Hetzkampagne. Er ließ
       kompromittierendes Material gegen Auerbach sammeln, lancierte Gerüchte in
       der Presse und machte ihn sogar öffentich für einen Großteil des
       Antisemitismus verantwortlich.
       
       Anfang 1951 kam es zu einer mehrwöchigen Razzia im Landesentschädigungsamt.
       Auerbach wurde schließlich verhaftet und wegen Erpressung, Unterschlagung,
       Veruntreuung, passiver Bestechung und unberechtigten Führens eines
       akademischen Titels vor Gericht gestellt.
       
       Den Ablauf des Prozesses und seine Dynamiken rekonstruiert Klare in seinem
       Buch mit großer Akribie. Dazu kommt die detaillierte Kontextualisierung der
       Biografien der vorsitzenden Richter. Alle drei waren Mitglieder der NSDAP
       und von NS-Unterorganisationen gewesen. Anträge von Auerbachs Verteidigung
       auf Befangenheit wurden abgelehnt – mit Verweis auf Auerbachs angebliche
       „Überängstlichkeit“.
       
       ## „Eine psychopathische Persönlichkeit“
       
       Gleich zu Beginn hatte Auerbach das Führen eines falschen Doktortitels
       zugegeben, der Psychiater Vult Ziehen, auch er früher NSDAP- und
       SS-Mitglied, bescheinigte Auerbach jedoch „von Haus aus eine
       psychopathische Persönlichkeit“, die sich durch eine „querulatorische
       Aggressivität“ auszeichne. Auerbachs angebliches zwanghaftes Lügen hätte
       „ihn auch früher schon an und über die Grenze der Kriminalität geführt“.
       
       Dass gegen den Hauptbelastungszeugen parallel ein Verfahren wegen Meineids
       lief, ignorierten Anklage und Gericht. Nach 62 Verhandlungstagen wurde
       Auerbach zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren und einer
       Geldstrafe von 2.700 Mark verurteilt. Nun war er aus dem Weg geräumt
       worden. Für Auerbach brach mit dem Urteil der Glaube an Gerechtigkeit,
       Wiedergutmachung und eine jüdische Zukunft in Deutschland endgültig
       zusammen.
       
       Auf Auerbachs Beerdigung waren Transparente zu sehen, die den vorsitzenden
       Richter als „Nazirichter“ angriffen und an den Juszizminister gerichet
       „Bist Du nun zufrieden?“ fragten. 1954 rehabilierte ein
       Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags Auerbach vollständig:
       Aufgaben wie seine seien „nicht mit normalen Mitteln und auch nicht von
       Persönlichkeiten zu lösen, die zwar getreu dem Gesetz arbeiteten, der
       außergewöhnlichen Lage gegenüber jedoch ziemlich hilflos gewesen wären“,
       hieß es.
       
       Hans-Hermanns Klares Biografie ist eine sehr lesenswerte und wichtige
       Studie. Dort, wo sich nichts rekonstruieren ließ, lässt Klare offene Fragen
       stehen.
       
       ## Nach Auschwitz
       
       Interessant wäre es gewesen, noch mehr über die Rezeption der
       „Auerbach-Affäre“ im Ausland zu erfahren; ebenso eine systematischere
       Analyse sowohl der Positionierungen in der bayerischen Staatsregierung und
       im Landtag als auch der Presseveröffentlichungen zum Thema.
       
       In jedem Fall wird deutlich, wie auch Philipp Auerbachs Nachkriegsbiografie
       davon geprägt ist, was der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex einmal
       formulierte: dass [2][die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen
       werden].
       
       9 Dec 2022
       
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