# taz.de -- Uni Hamburg knickt Kriminologie-Studium: Kritische Polizei-Forschung am Ende
       
       > Lange konnte man in Hamburg Kriminologie als kritische Sozialwissenschaft
       > studieren. Nun wird der deutschlandweit einzigartige Studiengang
       > abgeschafft.
       
 (IMG) Bild: Was die Polizei tut bewegt die Gesellschaft: Demo gegen Polizeigewalt im August 2020 in Hamburg
       
       HAMBURG taz | Nun ist die endgültige Entscheidung gefallen: Der renommierte
       Masterstudiengang Internationale Kriminologie, der seit Mitte der
       1980er-Jahre an der Universität Hamburg bestand, wird abgeschafft. Nach
       einem längeren Prozess in der Universität erteilte der Fakultätsrat als
       oberste Instanz Mitte Juli seine Zustimmung. Ein Gegenantrag zur Bildung
       einer Arbeitsgruppe, die Möglichkeiten evaluieren sollte, den Studiengang
       zu erhalten, wurde abgelehnt.
       
       [1][Racial Profiling], [2][Polizeigewalt] oder auch geschlechterspezifische
       Kriminalität sind einige der gesellschaftlichen Probleme, die im Rahmen des
       Kriminologie-Masters behandelt werden. Der Studiengang richtet unter
       anderem einen Fokus auf die kritische Erforschung von Sicherheitsbehörden.
       
       Gerade diese Perspektive wird aktuell eigentlich dringend benötigt: Erst
       vor wenigen Monaten hat die Stadt Hamburg beschlossen, die Aufklärung zum
       hier erfolgten NSU-Mord nicht im Rahmen eines parlamentarischen
       Untersuchungsausschusses, sondern [3][wissenschaftlich betreiben zu
       lassen]. Dass jetzt ausgerechnet die Kriminologie als Fachbereich mit der
       hierfür erforderlichen Expertise abgebaut wird, passt dazu nicht.
       
       Im vergangenen Wintersemester wurden ein letztes Mal Bewerber*innen für
       den Studiengang zugelassen, pro Jahrgang werden nur 30 Personen angenommen.
       Bis spätestens 2028 müssen die letzten Studierenden ihren Master
       abschließen, dann wird die Universität das Lehrangebot einstellen. Die
       wenigen übrig bleibenden Stellen werden dem Fachbereich Soziologie
       angegliedert.
       
       Der Entscheidung geht [4][ein breiter Protest voraus]: Im vergangenen Jahr
       veröffentlichte das von Wissenschaftler*innen betriebene
       Internetportal [5][Criminologia.de] eine Stellungnahme der kriminologischen
       Fachöffentlichkeit zur drohenden Abschaffung des Masters, die von 362
       Menschen unterzeichnet wurde.
       
       Auch international ist der Studiengang renommiert: Er ist einer von nur
       zehn der rund 170 Studiengänge an der Universität Hamburg, die das
       Gütesiegel einer Akkreditierung haben und damit auch im Ausland vollständig
       anerkannt werden. Die Qualität des Studiengangs wurde dafür von einer
       externen Agentur nach internationalen Standards überprüft und bestätigt.
       
       Der Kriminologe [6][Nils Zurawski], der seit 2003 immer wieder am
       Hamburger Institut gelehrt und geforscht hat und zu den Initiator*innen
       der Unterschriftenaktion gegen die Abschaffung gehört, zeigt sich bestürzt:
       „Persönlich finde ich es eine wissenschaftliche Katastrophe, dass der
       Master abgeschafft wird“, sagt er auf taz-Nachfrage. Es gäbe zwar ähnliche
       Studiengänge in Regensburg und Bochum, die aber bei
       rechtswissenschaftlichen Fakultäten angesiedelt seien.
       
       Das sei in Hamburg anders, deshalb sei es tragisch, dass die
       [7][Kriminologie] künftig nicht mehr durch einen Studiengang auch als Zweig
       sozialwissenschaftlicher Forschung sichtbar sei: „Es wird weiterhin
       Personen in Deutschland geben, die Kriminologie, kritische Kriminologie und
       die dort vertretenen Themen bearbeiten werden, aber eben nicht sichtbar
       verbunden mit einem dezidierten Studiengang“, sagt Zurawski.
       
       Studierende des Masters betrachten die Auflösung als bitteren Auswuchs der
       Kürzungspolitik der Universität. Jasper Janssen und Maria Seeligmüller
       gehören zu einer Gruppe von Studierenden, die deshalb die Initiative
       „Care4criminology“ ins Leben gerufen haben. Die Initiative hat in den
       vergangenen zwei Jahren Öffentlichkeitsarbeit über Twitter und einen
       eigenen Blog zur Auflösung des Studiengangs betrieben und auch innerhalb
       universitärer Gremien dagegen protestiert.
       
       Aus der Sicht von Janssen und Seeligmüller sind es drei Faktoren, die dazu
       führten, dass „Care4criminology“ am Ende keinen Erfolg hatte: Zum einen
       habe der Protest überwiegend bei den Studierenden gelegen. Von Seiten der
       Professor*innen habe es zwar Bemühungen gegeben, den Wert des
       Studiengangs universitätsintern beispielsweise durch die Anwerbung von
       Drittmittelprojekten aufzuzeigen. Sie hätten sich jedoch nicht
       öffentlichkeitswirksam für einen Erhalt eingesetzt. Dass die
       Professor*innen sogar selbst die Auflösung beantragten, ist für Janssen
       und Seeligmüller unverständlich: „Wir nehmen da auch viel Irritation aus
       der Fachwelt wahr.“
       
       Hinzu käme, dass auch viele Studierende sich nicht aktiver in den Protest
       hätten einbringen können. „Ein Großteil unserer Kommiliton*innen muss
       arbeiten, manche haben Kinder und wir alle müssen irgendwie unsere 30
       Creditpoints pro Semester zusammenkriegen“, erzählt Janssen. Zeitmangel,
       Sorge vor negativen Konsequenzen im Studium oder die Frage, welche
       Perspektiven der Protest überhaupt hätte, habe viele verunsichert.
       
       Wichtig ist den beiden zu betonen, dass sie niemandem aus dem Fachbereich
       einen persönlichen Vorwurf machen. Alles sei in größere Strukturen und den
       allgemeinen Sparzwang der Universität eingebettet. Fachbereichsrat und
       Fakultätsrat hätten zwar die formale Kompetenz, den Studiengang zu
       erhalten. Diese Gremien verfügten aber nicht über die materiellen
       Ressourcen, ihre Entscheidung zu tragen: Sie könnten die Kriminologie
       materiell gar nicht nachhaltig mit einer Professur ausstatten, ohne an
       anderer Stelle zu kürzen. Damit waren die Lehrenden am Ende gezwungen,
       ihren eigenen Studiengang aufzugeben.
       
       Eine Rettung des Kriminologie-Masters wäre wohl nur noch durch ein
       Bekenntnis des Präsidiums der Universität möglich gewesen. Doch das ist
       schon seit Jahren auf Sparkurs zugunsten der Exzellenzcluster.
       
       „Letztlich bleibt bei mir auch die Erkenntnis, dass an Universitäten, nicht
       nur in Hamburg, diese Art der Forschung eher am Rande steht und nicht zu
       den Kernaufgaben gezählt wird“, sagt Nils Zurawski, „im längst überhitzten
       Wettlauf um Exzellenz und andere quantitative Kennzahlen.“
       
       27 Jul 2023
       
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