# taz.de -- Poe, gelesen an dämmrigen Lübecker Ufern: Wenn die Krähen den Raben übertönen
       
       > „Düsterlesen“ in Lübecks pittoresker Wakenitz-Badeanstalt: Der
       > Grusel-Autor Edgar Allan Poe kommt schon zu Wort, bevor die Dämmerung
       > hereinbricht.
       
 (IMG) Bild: Setzen ausgewählte Schauerliteratur konzertant in Szene: Manfred Upnmoor (vorne) und Janus Schwarz
       
       Ob sie aufhören, wenn erst das Programm beginnt? Zwar keine Raben, aber
       doch Krähen sind’s, die aus dem Off aufmerksam machen auf sich, pünktlich
       um kurz vor acht – und das ganz schön laut. Schön ist es ja hier, im
       [1][Naturbad an der Lübecker Falkenwiese]: Vor einem fließt, sehr
       gemächlich, [2][die Wakenitz] vorbei. Drüben, am anderen Ufer, wiegt sich
       schmucker Mischbaumbestand in mildem Sonnenschein. Und obendrüber bietet
       der norddeutsche Himmel spektakuläres Wolkentheater auf.
       
       Es dürfte sogar regnen, das Publikum säße halbwegs im Trockenen unter
       aufgespannter Zeltplane, wie sie auch die schwimmende Bühne vor den ärgsten
       Witterungseinflüssen schützt, und das will etwas heißen in diesem frühen
       August.
       
       Sehr viele Leute sind trotzdem nicht gekommen, um dabei zu sein bei
       „Düsterlesen“. So nennen der Schauspieler Manfred Upnmoor und sein
       musikalischer Begleiter Janus Schwarz [3][ihr gemeinsames Projekt]:
       Musikalisch untermalt, gerahmt, verstärkt oder auch mal eher konterkariert
       bringen sie, eben, düsteren Text zum Vortrag.
       
       „Im Weltenraum ist Galanacht“, haben sie den Abend überschrieben, eine
       Zeile, entnommen [4][Edgar Allan Poes] Gedicht „Eroberer Wurm“, zumindest
       mancher seiner diversen Übersetzungen ins Deutsche: Das ganze Programm an
       diesem Abend ist Poe gewidmet, diesem Meister des Schauerlichen; auch wenn
       die Lage so nah am Wasser den Horrorkollegen H. P. Lovecraft mit seinem
       Fischwesen-Fimmel noch etwas zwingender erscheinen lassen könnte.
       
       Aber Sommer gibt es ja nicht nur diesen einen, und Lübecks letzte
       Flussbadeanstalt steht unter Denkmalschutz, da geht also vielleicht noch
       mehr. Upnmoor weist auch hin auf [5][ein offenbar heiteres Solostück], das
       er hier, auf derselben Bühne, gibt, auch nur noch ein paar Mal in dieser
       Saison.
       
       Heute Abend aber Poe. Dass sein Gedicht „Der Rabe“ gleich die Eröffnung
       bildet, also sein vielleicht bekanntestes, popkulturell geadelt unter
       anderem durch eine Adaption [6][in einer Halloween-Folge der „Simpsons“],
       kann man kontraintuitiv finden: Wäre das nicht auch ein krönender Abschluss
       gewesen, das gliedernde „Nimmermehr!“, hinausgekrächzt in die
       hereinfallende Dunkelheit?
       
       Andererseits: Allerbestens zum „Raben“ passen natürlich die krawalligen
       Krähen: „Das gefällt mir sehr gut“, sagt nach diesem ersten Stück auch der
       vortragende Upnmooor.
       
       Aus fünf Texten setzt sich das gruselig gemeinte Programm zusammen, zum
       erkennbar bühnengeschulten Vortrag kommen Schwarz’ mal flächige, mal
       äußerst sparsame Elektronika; bei „Das verräterische Herz“ scheint lange
       nur ein ebensolches zu schlagen, man darf sich aber genauso auch erinnert
       fühlen, sagen wir, an [7][Ennio Morricones Minimal-Soundtrack] zum
       Horrorfilm-Klassiker „Das Ding aus einer anderen Welt“. Dass Schwarz
       ansonsten Gothic-Events veranstaltet oder auf Hamburger Partys auflegt, die
       [8][„Ghostship“] heißen oder [9][„Night of the Living Dead“]: einleuchtend.
       
       Erstmals mit einem Poe-Programm aufgetreten seien sie 2017, erzählt Upnmoor
       zwischen zwei Gedichten. Zusammen haben die beiden auch schon E. T. A.
       Hoffmann aufgeführt und „Ruprechtsnacht“ von Tobias O. Meißner. Seit einer
       erfolgreichen Poe-Performance 2019 begreifen die beiden sich „als so was
       wie eine Band“, und aus dem Format „Düsterlesung“ wurde, eben, das Duo
       „Düsterlesen“.
       
       Vor der Pause gibt es Poes „Der See“, danach dann „Die Tatsachen im Fall
       Waldemar“ und, sozusagen das Titelstück, „Der Eroberer Wurm“ – da wagt sich
       der Schauspieler sogar ein paar Schritte ins Singen hinein, es zeigen sich
       aber auch die Grenzen des erkennbar schmal budgetierten Formats: Einen
       Menschen, der in Echtzeit die Tonmischung regeln könnte, gibt es nicht, und
       das rächt sich ein wenig.
       
       Keine Katastrophe. Die Krähen sind längst schlafen gegangen, dafür scheint
       in der Nachbarschaft ein Fußballspiel zu laufen. Der Regen ist
       ausgeblieben, und Dunkelheit sinkt herab auf das pittoreske Planschbecken.
       
       14 Aug 2023
       
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