# taz.de -- Verkehrssicherheits-Roulette: Der Traum vom Zebrastreifen
       
       > Wie ich versuchte, einen Zebrastreifen vor einer Schule einrichten zu
       > lassen. Und erkennen musste, dass sie von der Gnade des Verkehrsgottes
       > abhängen.
       
 (IMG) Bild: Wer als Schulkind einen Zebrastreifen haben möchte, sollte nicht auf Tempo 30 pochen
       
       Vor ein paar Tagen sah ich, dass bei mir um die Ecke ein neuer
       Zebrastreifen angelegt worden ist. Plötzlich da: orange Streifen auf der
       Straße, Hinweisschilder auf dem Bürgersteig. Es war, als sähe ich eine Fata
       Morgana genau an der Stelle, an der man bisher schnell rüber hastete, weil
       man in der Kurve schlecht sehen kann, ob ein Auto kommt.
       
       „Es gibt Menschen in der Verkehrsbehörde oder bei der Polizei, die an mich
       denken“, dachte ich, „an mich und die anderen, die hier wie die Hasen auf
       der Flucht sind vor den Stärkeren“. Es war eine Mischung aus Freude und
       Dankbarkeit, mit der ich vor den orangefarbenen Streifen stand und ich war
       selbst überrascht, wie groß sie war. Dann fuhr ich ein paar Meter weiter
       und sah, dass die Fußgängerampel beim Tunnel wegen Bauarbeiten außer
       Betrieb war. Der Zebrastreifen war der Ersatz für eine Ampel, also noch
       weniger als bisher.
       
       Ich frage mich oft, warum [1][Verkehrsfragen so emotional besetzt] sind.
       Warum ist die gebaute Verkehrsanlage, zu der der Fußgängerüberweg offiziell
       gehört, eine Angelegenheit, die einen vor Dankbarkeit andächtig stehen
       bleiben lässt?
       
       Verkehr ist nichts, dem man sich entziehen könnte, man nimmt daran teil und
       man ist unvermeidlich verletzlich darin und das vor allem als
       Radfahrer:in oder Fußgänger:in. An der Ampel, die gerade außer Betrieb
       ist, hat mich einmal ein Kleinwagenfahrer nahezu überfahren. Ich hatte Grün
       und er Rot und er hat es nicht mal gemerkt.
       
       ## Das Recht des Stärkeren
       
       Das ist die [2][praktische Ebene und daneben gibt es eine politische, bei
       der es darum geht, wie mit dieser Schutzlosigkeit umgegangen wird]. Die
       große Reizbarkeit dort, wo sich Radwege und Autostraßen kreuzen, stammt aus
       der Reibung zwischen dem spontanen Recht des Stärkeren und der mal starken,
       mal weniger starken Gegenkraft von Straßenverkehrsordnung und
       Verkehrsplanung.
       
       Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn man einen Zebrastreifen wie die
       huldvolle Gabe einer unberechenbaren Gottheit entgegen nimmt. Es ist die
       Aufgabe einer Verkehrsplanung, die den Namen verdient, die Rechte aller zu
       vertreten und gäbe es in Hamburg eine aufgeschlossenere Polizei und ein
       paar weniger Leute, die ihre Partikularinteressen vor Gericht durchsetzen,
       dann lebten wir bereits im Verkehrsparadies.
       
       Stattdessen sehe ich den neuen Zebrastreifen auch deshalb mit so viel
       Ehrfurcht, weil ich selbst einmal vergeblich versucht habe, einen
       einrichten zu lassen. Das war vor einer Grundschule an einer Stelle, wo die
       Schulkinder in einem ameisenartigen Zug die Straße überqueren. Die Idee
       scheiterte im Keim.
       
       „Es ist Tempo-30-Zone, da gibt es keine Zebrastreifen“, sagte man mir und
       ich ließ es bleiben. Ich habe sehr kurz überlegt, guerillaartig einfach die
       Streifen aufzumalen, aber das sei nur gefährlich, sagte man mir, weil dann
       die Schilder fehlten und die Autofahrer:innen weiterbrettern würden.
       
       Es gibt also keinen Zebrastreifen für die Schulkinder und sehr viel später
       habe ich erfahren, dass es eine [3][bundesweite Richtlinie] gibt, wonach in
       [4][Tempo-30-Zonen] Zebrastreifen „entbehrlich“ sind. Dann geht es aber
       weiter: „Gesicherte Überquerungsstellen (z. B. Fußgängerüberwege) können
       die Fortbewegung schwächerer Verkehrsteilnehmender unterstützen und sollten
       nicht generell ausgeschlossen werden, zumal sie von Fahrzeugführern gut
       erkannt und akzeptiert werden.“
       
       Fragt man beim Hamburger ADFC nach, heißt es, dass hier immer wieder
       Zebrastreifen in Tempo-30-Zonen abgelehnt werden. Und dass Tempo 30 in
       Tempo-30-Zonen oft Theorie bleibt.
       
       Als ich kürzlich auf dem neuen Zebrastreifen queren wollte, fuhr ein
       Autofahrer einfach weiter. Er telefonierte und es war müßig, obszöne Gesten
       für seinen Rückspiegel zu erfinden. Vielleicht bringen Zebrastreifen
       sowieso nichts, dachte ich mit einer Logik, die nirgendwohin führt und fuhr
       nach Hause.
       
       18 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Verkehrswende-in-Hamburg/!5853641
 (DIR) [2] /Reform-des-Strassenverkehrsgesetzes/!5939916
 (DIR) [3] https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/tempo-30.html
 (DIR) [4] /Tempo-30-vor-Hamburger-Kita/!5945469
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
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