# taz.de -- Die Kunst der Woche: Wenn der Raum sich öffnet
       
       > Damien Hirst produziert Diamanten, Dittmar Danner aka Krügers steigert
       > die Rahmung im Rechteck. Und Noa Eshkols Bewegungsstudien werden neu
       > aufgelegt.
       
 (IMG) Bild: Installationsansicht der Performance The Noa Eshkol Chamber Dance Group in den KW, Berlin 2023
       
       Immer ist sofort und sehr emphatisch von Schmerz, Vergänglichkeit und der
       Sinnlosigkeit des Lebens die Rede, wenn es um die Kunst von Damien Hirst
       geht. Klar, davon handelte ja seine Kunst, und zwar sehr plakativ, man
       denke an die bunten Pillen gegen Krankheit und Schmerz, die kurzen Pracht
       der Kirschblüte, die flüchtige Schönheit der Schmetterlinge und an all die
       toten Tiere, inklusive dem Menschen, dessen in Titan nachgebildeter
       Totenschädel Hirst mit Diamanten schmückte.
       
       Dabei wird die Ironie dieser Geste – jenseits des Jokes um Material- versus
       Kunstwert – gerne übersehen, obwohl sich in ihr ein wesentliches Moment von
       Hirsts Werk zeigt: Dass nämlich die Form sich dem Motiv widersetzt.
       
       Der Diamant steht für die Ewigkeit der Kunst, für Schönheit, die weit über
       die üblichen Zyklen des Lebens hinausgeht. Damien Hirst besingt in Farbe
       und Material nicht die Nacht, sondern den Morgen. Die Kirschbäume in
       „Honesty“ und „Control“ aus der Serie „The Virtues“ (2021), die die
       Besucher:innen gleich beim Betreten der [1][Galerie Bastian] empfangen,
       sind gerade erblüht, in dicht an dicht gesetzten Farbtupfern aus einer
       reichhaltigen Palette. Man meint, die Farbe sei mit langen Pinseln dick auf
       die Leinwand aufgetragen. Doch die Bilder sind Giclées, Kunstdrucke,
       hergestellt mit modernsten Tintenstrahldruckern, deren Farbflüssigkeiten,
       sogenannte „archival inks“, auf Pigmenten basieren und daher besonders
       haltbar sind.
       
       Neben Skalpellen und Rasierklingen, die sich dem Gesetz der Schwerkraft
       folgend in der unteren Rundung des verglasten Tondos angesammelt haben, als
       das Hirst sein Schmetterlingsbild „Que Muero Porque No Muero“, also „dass
       ich sterbe, weil ich nicht sterbe“ 2005 gestaltete, finden sich auf dem
       roten Bildgrund witterungsbeständige Pillen. Echte Diamanten, allerdings
       künstlich hergestellt, hat der Künstler dann zwischen die Schmetterlinge
       von „Oranges and Lemons“ (2008) platziert. Es sind nur wenige der Insekten
       auf der zweiteiligen, einmal rot und einmal gelb grundierten Leinwand zu
       sehen, die etwa vier Meter dreißig mal zwei Meter zehn misst. Man kann sie
       ohne Mühe zählen.
       
       Damien Hirst weiß den Raum zu genießen, sei es der Raum der Leinwand, sei
       es der der Galerie. Nur fünf Gemälde und die Skulptur „Unicorn – The Dream
       ist dead“ (2005), ein Pferdeschädel, dem die Säge eines Sägerochens
       aufgesetzt wurde, bevölkern Bastians großzügig bemessene Räumlichkeiten. Da
       ist nichts zu viel. Eine perfekte Inszenierung insofern sie zeigt, dass der
       Affront von Damien Hirsts Arbeiten nicht im Kokettieren mit dem Kitsch oder
       dem Ekel liegt, sondern in der absolut gesetzten ästhetischen Betrachtung
       der Welt.
       
       ## Im schwebenden Rechteck
       
       Was geschähe mit Dittmar Danner aka Krügers Bildern in einem ähnlich
       großzügig bemessenen Raum? Jetzt hängen sie dicht an dicht bei Semjon
       Contemporary. Das ist eine Möglichkeit. Sie betont den seriellen Charakter
       der Arbeiten in der Ausstellung „You want it darker – let’s kill the
       flame!“. Denn das Bildmotiv des Künstlers, der 1988 als Meisterschüler von
       Johannes Geccelli an der damals Hochschule der Künste genannten UdK
       abschloss, ist stets die einfache geometrische Form des aufrechtstehenden
       Rechtecks. Alle seine Gemälde sind Hochformate, in den Abmessungen von 240
       x 180 cm bis zu gerade mal 24 x 18 cm. In diese Dimensionen malt er mit
       leuchtenden, manchmal neon- oder metallisch strahlenden Farben – Pink,
       Orange, Violett, Rosa, Gelb, Blau – weitere Rechtecke ineinander, also
       einen je größeren Rahmen in einen je kleineren, wobei sich oft nicht sagen
       lässt, ob der eine jetzt vor oder hinter dem anderen steht oder besser
       schwebt.
       
       Das Vorgehen Danners erinnert natürlich an Josef Albers und dessen Homage
       to the Square. Allerdings geht es Danner nicht um die Wirkung einer
       bestimmten Farbe in einem jeweils andersfarbigen Umfeld, sondern ihn
       interessieren die Intensivierung der Farbe in der Verschachtelung und die
       Frage, inwieweit die Farbe – oder der Rahmen? – jeweils einen eigenen Raum
       eröffnet. Die beste Antwort erkenne ich in einem Bild, das die Regel ein
       wenig bricht. In „It’s not dark yet M87-2023“ hat der Künstler nämlich die
       Rahmen nicht ganz zu Ende gemalt.
       
       Aber es scheint nur so. Tatsächlich sind die Rahmen fertig gemalt, aber
       nicht in der gleichen Farbe, sondern einer helleren, leuchtenderen, was den
       Eindruck der unvollendeten Linie hervorruft. Aber gerade dadurch fällt
       gewissermaßen Licht ins Bild, von links oben nach rechts unten, und es
       entsteht Raum. Es entsteht Raum, nicht Tiefe, weil die Richtung des Blicks
       nicht mehr auf den inneren Kern, die letzte umrahmte Farbfläche des
       Gemäldes zielt. Das ist in den anderen Bildern die einzige Richtung, die er
       zwangsläufig kennt: immer tiefer in die sich verjüngenden Farbgründe zu
       tauchen. Ist der Blick freier, lassen sich die Rahmen als Türen wahrnehmen,
       die von einem Raum in den nächsten führen, ins Freie, statt in den Abgrund
       – wo es dann wirklich dunkel ist.
       
       ## Wie Körper sich bewegen
       
       „Jetzt ist nicht die Zeit, zu tanzen“, soll Noa Eshkol (1924-2007) ihrer
       kleinen Tanztruppe, der „Chamber Dance Group“ in Cholon 1973 beschieden
       haben. Sie war schockiert über den Angriff ägyptischer und syrischer
       Soldaten am höchsten Feiertag Jom Kippur, in dessen Folge ihr einziger
       männlicher Tänzer in die israelische Armee eingezogen wurde. Sie wandte
       sich der bildenden Kunst zu und schuf aus Stoffresten über 500
       Wandteppiche. Für diese Teppiche ist Eshkol inzwischen international
       bekannt. [2][Neugerriemschneider], die durch Sharon Lockhart auf die 1924
       im Kibbuz Degania B geborene Tänzerin, Tanzpädagogin und Künstlerin
       aufmerksam wurden und heute ihren Nachlass verwalten, haben sie schon früh
       gezeigt.
       
       Nach ihrer Tanzausbildung, unter anderem bei Rudolf Laban in Manchester,
       entwickelte sie 1954 gemeinsam mit ihrem Mann, dem Architekten Avraham
       Wachman, das Eshkol-Wachman-Notationssystem für Tanz. Diese „movement
       notations“ sind nun Titel der Ausstellung bei neugerriemschneider, die
       Eshkols Ideen zum Tanz thematisiert und Notationen und Objekte aus ihrem
       Archiv zeigt, in denen sie ihr Konzept visualisierte und niederschrieb.
       Filmmaterial und Fotografien von Tanzperformances vermitteln einen Eindruck
       von Eshkols minimalistischem Bewegungsstil.
       
       Gleichzeitig will „movement notations“ einen Ausblick auf das kommende Jahr
       geben, in dem die Choreografin und Künstlerin 100 Jahre alt geworden wäre –
       Anlass für eine große Ausstellung im [3][Georg Kolbe Museum]. In
       Zusammenarbeit mit den [4][KW], wo an den vergangenen Wochenenden zwei
       Tanz-Performances stattfanden, präsentiert das Museum dann am 28 Februar
       2024 die Neuauflage der Publikation „Movement Notation“.
       
       Dabei handelt es sich um eine abstrakte Bewegungsnotation auf
       dreidimensionaler geometrischer Basis, mit der sich die Bewegungen
       beliebiger Körper beschreiben lassen, also auch von Insekten, Vögeln, und
       Robotern, sofern diese in Gliedmaßen mit Gelenken unterteilt sind. In
       komplexen Liniensystemen setzen Eshkol und Wachman die so abstrahierten
       Körper und die Zeit in eine eindeutige, durch Bewegungsabfolgen definierte
       Beziehung zueinander.
       
       Die wunderbaren schwarz-weißen Tuschegrafiken, die die der Designer,
       Theoretiker und Performer John G. Harris für das sogenannte
       „Referenzsystem“ schuf, erinnern stark an die grafischen Arbeiten der
       Nachkriegsavantgarde, allerdings der nach dem Ersten Weltkrieg. Meist sind
       sie informativ, aber die stark stilisierten Blätter glänzen dazwischen
       immer wieder einfach durch große poetische Kraft. Auch die „Models of
       Orbits in the System of Reference“, Drahtkugelkörper, die Amos Hertz 1974
       für Eshkol und Wachman baute, sind gewissermaßen bezaubernd
       suprematistisch-konstruktiv. Dagegen überraschen die Tanzperformances mit
       ihrer puristischen Inszenierung schwarz gekleideter Körper auf einer
       leeren, hellen Bühne.
       
       8 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bastian-gallery.com/
 (DIR) [2] https://www.neugerriemschneider.com/
 (DIR) [3] https://georg-kolbe-museum.de/
 (DIR) [4] https://www.kw-berlin.de/pause-the-noa-eshkol-chamber-dance-group/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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