# taz.de -- Ausstellung Schweine und Tierwohl: Sichtbare Nahrungsmittel
       
       > Tiere denken und fühlen. Doch wie steht es um ihr Wohl in der
       > Gegenwartskunst? Dem widmet sich die Ausstellung „Ocular Witness:
       > Schweinebewusstsein“.
       
 (IMG) Bild: Arne Schmitt: „Schweineproduktion Brenkenhof GmbH, Kriener Landstraße 1, D-17391 Medow“
       
       Es hat sich herumgesprochen: Wer schon immer mal mit Schweinen um die Wette
       schwimmen wollte, ist auf den Bahamas genau richtig. Längst ist der Pig
       Beach von Big Major Cay ein Hotspot des globalen Massentourismus; angeblich
       wird er jedes Jahr von mehreren Millionen Touristen besucht.
       
       Was wohl die Schweine über diesen Rummel denken? Dass diese Frage so absurd
       gar nicht ist, dafür setzt sich eine Ausstellung ein, die nun im Sprengel
       Museum in Hannover zu sehen ist. In ihrem Mittelpunkt steht ein Begriff,
       der sich bislang in keinem Wörterbuch nachschlagen lässt:
       Schweinebewusstsein.
       
       Man muss sich nicht unbedingt in Critical Animal Studies eingelesen haben,
       um zu wissen: Auch Tiere denken, fühlen und haben ein Gedächtnis. Wer
       wirklich noch überzeugt werden muss, kann sich ja auf Tiktok oder Instagram
       orientieren. Dort sind Fischotter, Katzen oder eben Schweine schon lange
       die gar nicht so heimlichen Stars. Was in den Social-Media-Kanälen
       wahlweise rührend, komisch oder absurd ist, wird am Sprengel Museum aber
       deutlich ernster genommen: Tierwohl als eine Aufgabe der Gegenwartskunst.
       
       ## Verhältnis Mensch und Schwein
       
       Inka Schube, Kuratorin für Fotografie, hat 16 Künstlerinnen und Künstler
       eingeladen, über das [1][Verhältnis der Menschen zum Schwein] nachzudenken
       und kritische Fragen zu stellen. Heraus kam eine ungewöhnliche und
       überraschende Kunstausstellung, die aber gerade in Hannover eine wirklich
       gute Idee ist. Immerhin leben in Niedersachsen nicht nur 8 Millionen
       Menschen, sondern auch gerade so viele Schweine. Neben dem Autobau in
       Wolfsburg sind die Mast- und Schlachtbetriebe der wichtigste
       Industriesektor des Bundeslands.
       
       Doch während man die Dimensionen des Volkswagenwerks wenigstens im
       Vorüberfahren erahnen kann, wird [2][Massentierhaltung] eigentlich erst
       dann sichtbar, wenn sie portioniert auf den Tellern liegt. In einer Art
       Küchentisch-Serie ist Maria Sewcz solchen Würsten wortwörtlich auf die
       Pelle gerückt. Unter der Hand erinnert sie daran, dass jede eingenommene
       Mahlzeit auch eine Art Selbstporträt ist.
       
       Beim Warten an der Supermarktkasse ist es ja ein alltägliches Spiel: Die
       auf dem Kassenband ausgebreiteten Einkäufe der anderen sehen aus wie eine
       One-Minute-Sculpture, die nur darauf wartet, als Selbstbildnis
       interpretiert zu werden.
       
       ## Ende der Verwertungskette
       
       Für die Lebensmittelindustrie bedeutet solcher Zeitvertreib das Ende der
       Verwertungskette. Wie wenig dabei die Nahrungsmittel selbst sichtbar
       werden, treibt Andrzej Steinbach in den Stillleben seiner Serie „Mögliche
       Ordnungen“ hervor: Die hier versammelten Produkte sind immer schon von den
       Zeichen der Marketingabteilungen verhüllt.
       
       Erst recht bleibt aber der Beginn dieser Verwertungskette im Unsichtbaren.
       Anhand einer ausgedehnten Recherche hat Arne Schmitt versucht, sämtliche
       Industriehallen eines norddeutschen Lebensmittelkonzerns zu fotografieren.
       Doch wie könnten die Aufnahmen solcher unspezifischen Architekturen zum
       Sprechen gebracht werden, wenn es um die viel abstrakteren Zusammenhänge
       kapitalistischer Ausbeutung geht?
       
       ## Brecht hatte recht
       
       Mit Blick auf Krupp und die AEG wollte das bereits Bertolt Brecht wissen.
       „Schweinebewusstsein“ führt vor Augen, dass seine Frage aktuell geblieben
       ist. Sehenswert ist die Ausstellung gerade deshalb, da sie mit großer
       Sachlichkeit unser merkwürdig widersprüchliches Verhältnis zum Schwein
       umkreist. Wir sollten uns dabei nicht unbeobachtet fühlen. In sensiblen
       Schwarz-Weiß-Fotografien deutet es Jochen Lempert unter der Hand an: In
       seinen Bildern schauen die Tiere auf uns zurück; und sie tun dies mit
       Blicken, denen man sich unmöglich entziehen kann.
       
       Wenigstens am Eröffnungsabend bekamen solche Beobachtungsordnungen in
       Hannover eine weitere Wendung. Vor dem Museum demonstrierte eine Gruppe
       von Tierschutz-Aktivist:innen, um die Thesen der Ausstellung zurück
       auf die Straße zu tragen. Ihr Ruf wird nicht ungehört bleiben: Im Lauf des
       nächsten Jahres wird „Schweinebewusstsein“ als eine vagabundierende
       Ausstellung an insgesamt fünf Orten im ländlichen Raum zu sehen sein.
       
       25 Aug 2023
       
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