# taz.de -- Ausstellung Osnabrücker NS-Widerstand: Flugblätter in Fahrradreifen
       
       > „Parolen aus dem Koffer“ zeigt, wie raffiniert Osnabrücks Antifaschisten
       > gegen den NS kämpften. Ohne Texttafeln, dafür mit skurrilen Exponaten.
       
 (IMG) Bild: Idealer Ort für die Ilex-Ausstellung: das ehemalige Arbeitslager Augustaschacht
       
       Ein Fahrrad, mit Flugblättern im Reifen, ein Koffer, mit dem sich Schrift
       aufs Straßenpflaster stempeln lässt. Luftballons, mit Infotexten dran. Ein
       Brett, das Polit-Botschaften aus einem Dachfenster kippt, wenn der Sand,
       der es in der Waagerechten hält, aus seinem Eimer gerieselt ist.
       
       Die [1][Ausstellung „Parolen aus dem Koffer – Auf den Spuren des
       Widerstands in Osnabrück“] konfrontiert uns mit skurrilen Exponaten. Die
       Gedenkstätte Augustaschacht, ein [2][Gestapo-KZ unweit des
       niedersächsischen Osnabrück], ist dafür die ideale Umgebung.
       
       Erdacht durch den Osnabrücker Ilex-Kreis, eine lokale Gruppe privater,
       nebenberuflicher RechercheurInnen zur NS-Zeit, erinnert „Parolen“ an
       Couragierte, die sich dem braunen Terror entgegengestellt haben, als die
       Mehrheit schwieg, wegsah, mitlief, schuldig wurde.
       
       Fahrrad, Koffer, Luftballons und Brett sind Nachbildungen. Sie illustrieren
       die konspirative Kreativität und Raffinesse, mit der Osnabrücks Untergrund
       seinen Kampf geführt hat. Wie sie funktionieren, macht der Künstler Manfred
       Blieffert, der die Schau für Ilex gestaltet hat, in Tests anschaulich; auf
       Video ist das zu sehen. Auch Besuchende können zur Tat schreiten:
       Zigarettenpapier und Bleistifte liegen bereit, für winzige Botschaften.
       
       ## Satire und Ironie gegen Nationalsozialisten
       
       Die Ausstellung konfrontiert uns mit Schicksalen. Auch der Antifaschist
       Josef Burgdorf begegnet uns hier, Redakteur der Osnabrücker
       SPD-Tageszeitung Freie Presse, nach dessen Pseudonym sich der Ilex-Kreis
       benannt hat. Burgdorf schreibt satirisch-ironisch gegen die
       Nationalsozialisten. 1933 wird er von ihnen festgesetzt und misshandelt,
       muss mit dem Schild „Ich bin Ilex“ durch die Innenstadt laufen.
       
       Und Blieffert baut nicht nur Widerstandsinstrumente nach. Seine grauen
       Malgründe symbolisieren Straßenbelag, Häuserwände. Weiße Farbe, hastig
       verstrichen, rinnt herab. Am Ende der Schau zeigt sie eine bohrende Frage:
       „Und wo wärest du?“
       
       „Klassischerweise erwartet man bei einem solchen Thema ja Texttafeln,
       Fotos, Dokumente, Exponate in Vitrinen“, sagt Ilex-Mitglied Heiko Schulze.
       „Wir wollten das anders machen.“
       
       Der Ilex-Kreis, obwohl nur wenige Köpfe stark, ist produktiv. Rund 110
       lokale Widerständler hat er bisher dokumentiert – eine beeindruckende Zahl.
       Sie bedeutet nicht, dass der Widerstand in Osnabrück besonders stark war
       oder besonders nachhaltig. Aber sie zeigt: Gegenwehr war möglich.
       
       ## Über 100 wahre Widerständler
       
       Der Ilex-Kreis ist vor Jahren wegen eines Namensstreits entstanden. Die
       „Villa Schlikker“ des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4), von 1932 bis 1945
       als „Adolf-Hitler-Haus“ Zentrale der Osnabrücker NSDAP, sollte zum
       „Hans-Calmeyer-Haus“ umbenannt werden. So wollte es [3][ein durch die CDU
       initiierter Stadtratsbeschluss]. Dass es nicht so kam, dass sie „Die
       Villa_Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ heißen wird, ist auch
       einer Ilex-Denkschrift zu verdanken. 2024 wird sie als Lernort zur
       NS-Geschichte neu eröffnet.
       
       Sicher, der Osnabrücker Jurist Calmeyer, bis Herbst 1944 hochrangiger
       NS-Verwaltungsbeamter in Den Haag, hat Juden vor dem KZ bewahrt. Aber er
       hat zugleich Juden in die Vernichtung deportiert und dem Deutschen Reich
       niederländische Zwangsarbeiter zugeführt ([4][taz berichtete]). Die
       Denkschrift stellt ihm über 100 wahre Widerständler gegenüber – von
       KPD-Mitglied Babette Altmühl, die vermutlich im KZ Ravensbrück umkam, bis
       zu Hans Wunderlich, wie Burgdorf Redakteur der Freien Presse.
       
       Diese Liste hat Ilex seither weitergeführt. Namen aus ihr finden sich in
       „Parolen aus dem Koffer“. Namen aus ihr finden sich in dem Buch „Widerstand
       im Osnabrück der NS-Zeit 1933–1945. 36 Schicksale“, das die Ilex-Mitglieder
       Heiko Schulze, Martina Sellmeyer, Dieter Przygode und Hartmut Böhm
       geschrieben haben und das in Kürze erscheint. Namen aus ihr finden sich in
       der Ilex-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ des
       [5][Online-Magazins Osnabrücker Rundschau]. Es sind Geschichten, über die
       bisher wenig bekannt war. Ilex, gut vernetzt, auch in der akademischen
       Welt, durchforstet Archive, macht Angehörige ausfindig.
       
       Auserzählt sind diese Geschichten noch lange nicht. Dennoch will Ilex
       seinen Fokus erweitern. „Wir befassen uns in Zukunft auch mit den Tätern
       der NS-Zeit“, sagt Schulze. „Es gibt viel zu tun.“
       
       Einer dieser Täter, Wilhelm Münzer, von 1934 bis 1940 Kreisleiter der NSDAP
       Osnabrück-Stadt, später Beauftragter des Reichskommissars der Niederlande
       für die Provinz Zeeland, wird Ilex wieder mit Calmeyer konfrontieren. Nach
       dem Krieg vertrat Calmeyer Münzer in dessen Entnazifizierungsverfahren. Der
       glühende Antisemit Münzer kam als „minderbelastet“ davon.
       
       24 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://parolen-aus-dem-koffer.jimdosite.com/aktuelles/
 (DIR) [2] /Osnabruecker-Datenbestaende-digitalisiert/!5667030
 (DIR) [3] /Lernort-zur-NS-Geschichte-in-Osnabrueck/!5910888
 (DIR) [4] /Hans-Georg-Calmeyer/!5607579
 (DIR) [5] https://os-rundschau.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harff-Peter Schönherr
       
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