# taz.de -- Grünen-Landesvorsitzender über Bündnisse: „Wir mussten uns anpassen“
       
       > Gazi Freitag ist Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein. Er
       > setzt auf Austausch und Kompromisse und hofft auf einen Wandel der CDU.
       
 (IMG) Bild: Gazi Freitag umarmt 2022 nach seiner Wahl zum Landesvorsitzenden die Sozialministerin Aminata Touré
       
       taz: Herr Freitag, die Grünen regieren sowohl im Land als auch im Bund.
       Gleichzeitig sind die Grünen aktuell bei vielen Menschen geradezu verhasst.
       Wie gehen Sie damit um? 
       
       Gazi Freitag: Ja, die Stimmung ist nicht mehr so euphorisch, und ja, wir
       hatten schon bessere Werte. Umfragen sind wichtig als Spiegelung, wie
       Entscheidungen in der Bevölkerung ankommen, aber wir dürfen uns nicht vom
       Weg abbringen lassen. Schon bevor wir in die Bundesregierung gegangen sind,
       war klar, dass ein schwieriger Weg vor uns liegt. Energiewende, Umbau der
       Wirtschaft – das tut besonders dort weh, wo notwendige Veränderungen
       verschlafen wurden. Wir wollen nicht, dass die Leute masochistisch den
       Schmerz akzeptieren, aber wir müssen klar machen, dass jetzt etwas
       passieren muss. Das wirkt vielleicht auf einige radikal, aber eigentlich
       reden wir seit den 80er-Jahren darüber, es ist nur eben nie etwas passiert.
       In Schleswig-Holstein, wo die Grünen schon länger mitregieren, sind wir
       weiter, da sind die Empfindungen nicht so heftig.
       
       Die Landes-Grünen sind in den vergangenen Jahren gewachsen. Viele der
       Jüngeren befassen sich vor allem mit dem [1][Klimawandel] – doch
       Parteimitglieder aus der Umweltbewegung sind entsetzt darüber, wie Natur-
       und Artenschutz zurückgedrängt wird. Wie schaffen Sie es, die beiden Flügel
       zu vereinen? 
       
       Kommunikation. Alle mitnehmen. Ja, vor einigen Jahren wäre es undenkbar
       gewesen, dass Grüne den Bau eines LNG-Terminals mittragen. Aber wir mussten
       uns an die Ausnahmesituation anpassen und in Regierungsverantwortung im
       Bund Wege finden. Um das Terminal in Brunsbüttel gibt es [2][eine
       wahnsinnige Auseinandersetzung], die wir aushalten und führen müssen.
       Manche Menschen in der Partei sind nicht bereit, das mitzutragen, das ist
       auch okay. Wir brauchen diese Debatten. Wenn wir etwas in der Partei nicht
       vermitteln können, dann erst recht nicht in der Gesellschaft.
       
       Auf der Nordsee soll im großen Maßstab Offshore-Windenergie erzeugt werden.
       Naturschutzverbände sehen darin einen gefährlichen Eingriff. Also:
       Artenschutz oder Energiewende? Der Konflikt ist doch kaum zu lösen. 
       
       Politik ist nicht leicht. Die Veränderungen, die wir brauchen, sind nicht
       leicht. Wir müssen darüber mit den Verbänden offen in den Austausch gehen
       und uns auch korrigieren, wenn etwas falsch ist. Unser Ziel ist, dass am
       Ende mehr Windkraftanlagen stehen und es gleichzeitig mehr Artenschutz
       gibt.
       
       Sie bilden eine Doppelspitze mit Anke Erdmann. Die saß bereits im Landtag,
       als Sie 2015 in die Partei eintraten. Wie läuft Ihre Zusammenarbeit? 
       
       In Koalitionsrunden bin ich im Vergleich zu ihr Anfänger. Sie kennt die
       Personen und den politischen Betrieb natürlich schon länger. Ich kann da
       viel von ihr lernen. Dafür habe ich als ehemaliger Kreisgeschäftsführer die
       Wachstumsschmerzen der Partei miterlebt, kenne die lokalen Strukturen aus
       einer anderen Perspektive. So profitieren wir beide voneinander.
       
       Bei der [3][Kommunalwahl im Frühjahr] ist die AfD auch in
       Schleswig-Holstein in viele Kreistage und Gemeinderäte eingezogen. Wie
       sollten Grüne mit den Rechten umgehen? 
       
       Es darf keine politische Zusammenarbeit mit der AfD geben. Aber für die
       Menschen ist es letztendlich nicht wichtig, ob AfD-Abgeordnete irgendwelche
       Ausschuss-Posten besetzen. Sie wählen die AfD, wenn sie das Gefühl haben,
       dass die Politik sich nicht um sie kümmert. In Schleswig-Holstein kriegen
       wir das ganz gut hin, die AfD sitzt daher auch bei uns nicht mehr im
       Landtag. Auch wenn das Land nicht reich ist, scheinen die Menschen zu
       spüren, dass sie ihr Leben gestalten und sich auf die Politik verlassen
       können. Dazu gehört, dass wir uns in der Koalition nicht öffentlich zanken.
       
       Das sieht bei der Ampel anders aus. Was ist der Rat aus Kiel nach Berlin? 
       
       Es braucht Bereitschaft zur Diskussion und zum Kompromiss. Das gilt
       innerhalb der Regierung wie auch mit der Opposition. Wir haben mit
       [4][Daniel Günther] einen Politiker – auch NRW-Ministerpräsident Hendrik
       Wüst wäre ein solcher Typ – der sich bewusst auf die Koalition mit den
       Grünen eingelassen hat, weil wir andere Menschen erreichen als die CDU. In
       der Regierungsarbeit ist es ein Unding, wenn Dinge durchgestochen werden
       oder öffentlicher Streit lanciert wird. Unsere Opposition pinkelt uns zwar
       auch ans Bein, aber trägt auch Dinge mit. Im Bund gibt es die Merz-CDU, die
       nur schädlich agiert und unsachlich kritisiert.
       
       Also muss Daniel Günther nach Berlin und mit [5][Robert Habeck] die nächste
       Regierung bilden? 
       
       Ich hatte auch den Namen Wüst genannt. Aber ja, wenn einer der beiden die
       CDU führen und Kanzlerkandidat würde, wäre nicht nur der CDU geholfen,
       sondern es wäre auch [6][eine Regierungskoalition denkbar], mit wem auch
       immer. Ich habe schon mehrfach gesagt, dass mehr von Daniel Günthers
       Haltung der Bundes-CDU gut zu Gesicht stehen würde.
       
       Den Grünen wird von manchen Kritikern unterstellt, sie seien eigentlich
       eine Partei der Besserverdienenden. Sie selbst stammen aus einer Familie,
       die nicht viel Geld hatte. Warum sind Sie bei den Grünen und nicht bei SPD
       oder der Linken? 
       
       Früher dachte ich, ich kann die Welt über Vereine oder Projekte verändern,
       aber das war super anstrengend. Den Ausschlag gab der Zustrom von
       Geflüchteten 2015. In Kiel haben wir Menschen im Veranstaltungszentrum
       „Alte Mu“ untergebracht – und dann schob das Ordnungsamt einen Riegel vor:
       Wir hatten nur ein Marmeladenglas für 15 Leute. Das war so frustrierend,
       dass ich beschlossen habe: Schluss, ich gehe in die Politik. Die SPD war
       keine Option, ich schwankte zwischen Linken oder Grünen. Bei den Linken
       fehlte mir der Wille, Verantwortung zu übernehmen. Bei den Grünen war klar,
       dass ich schnell etwas gestalten konnte.
       
       12 Sep 2023
       
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