# taz.de -- Aktuelle Lage in der Ukraine: Kampf ums Schwarze Meer
       
       > Die Ukraine greift immer mehr Ziele auf der Krim an. Experten
       > spekulieren, ob sie eine Rückeroberung der von Russland annektierten
       > Halbinsel plant.
       
 (IMG) Bild: Eine ukrainische Rakete traf das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol
       
       taz | Es war ein ungewolltes Kompliment an die ukrainischen Streitkräfte:
       Die zivile Infrastruktur sei nicht beschädigt worden, behauptete der
       russische Gouverneur Michail Raswoschajew. Eine ukrainische Rakete hatte am
       Freitag das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol
       auf der russisch besetzten Krim getroffen.
       
       Nicht immer kommt eine Bestätigung aus Kyjiw, wenn auf der Krim russische
       Einrichtungen angegriffen werden. Doch dieses Mal bestätigte Kyjiw die
       Attacke sowie einen Cyberangriff, der am gleichen Tag die Krim lahmlegte.
       Seit Tagen spekulieren Experten, ob die jüngste Offensive der Ukraine auf
       die Krim die Vorbereitung für die Rückeroberung des seit 2014 [1][von
       Russland annektierten Territoriums] ist.
       
       Inzwischen berichten die Krim-Behörden fast täglich über die „Zerstörung
       von (ukrainischen) Drohnen über der Halbinsel“. Erst am Donnerstag hatte
       die Ukraine einen Drohnen- und Raketenangriff auf einen Militärflugplatz in
       Saki durchgeführt. Dort hatte Russland Kampfflugzeuge und eine
       Ausbildungsbasis für iranische Mojaher-Drohnen stationiert. Die zivilen
       russischen Behörden schweigen zwar über die Schäden, doch sie gaben an,
       dass das Militär 19 ukrainische Drohnen abgeschossen habe.
       
       Der Angriff vom Freitag war der bislang komplexeste, berichten
       [2][ukrainische Medien]. Demnach wurde am Mittwoch erst das
       Ausweichhauptquartier der Schwarzmeerflotte außerhalb von Sewastopol
       angegriffen und zerstört. Am Freitag wurden dann Drohnen und Neptun-Raketen
       in Richtung Krim losgeschickt. Das russische Militär konzentrierte sich auf
       die Raketen und schoss sie ab, ließ aber die Drohnen ihre Ziele erreichen.
       Dann erfolgte der zweite Raketenangriff, begleitet von weiteren Drohnen.
       Eine britische „Storm Shadow“-Rakete traf ihr Ziel direkt: das
       Hauptquartier der Flotte, in dem sich ranghohe Marineoffiziere aufhielten.
       
       Aufnahmen vom Einschlag und von den Bränden wurden auf sozialen Netzwerken
       geteilt, die genaue Opferzahl ist unklar. Man habe das Hauptquartier
       während eines Treffens der russischen Marineführung getroffen, erklärten
       die ukrainischen Behörden. Der russische General Alexander Romantschuk
       befinde sich in einem „sehr ernsten Zustand“. In der Regel lassen sich die
       ukrainischen Angriffe auf militärische Einrichtungen auf der Krim in drei
       Kategorien aufteilen: Angriffe auf logistische Infrastruktur,
       Munitionsdepots und Luftabwehrsysteme, mit dem Ziel, die Kontrolle über das
       Schwarze Meer wiederzuerlangen.
       
       Die Bewohner der Krim reagieren kaum noch auf Nachrichten über
       Drohnenangriffe. Konstantin ist vor einem Jahr aus der Krim geflohen.
       Seitdem telefoniert er regelmäßig mit seinem Vater, der sein Heimatdorf
       nicht verlassen will und weiterhin im Norden der Halbinsel lebt. „Mitte
       Juli, ein paar Tage nach der Explosion der Krim-Brücke, flog eine Drohne in
       ein Munitionslager im Krasnogvardeysky-Gebiet“, erinnert sich Konstantin.
       Er rief seinen Vater an. „Wie geht’s dir?“, fragte er. „Ja, das ist
       Unsinn“, antwortete der Rentner, und fügte hinzu: „Aber wir hören nichts.“
       Ein paar Tage nach diesem Telefonat explodierte und brannte ein weiteres
       Lager – nur 20 Kilometer vom Elternhaus entfernt. Konstantin rief erneut
       seinen Vater an: „Wie geht’s dir?“ Er antwortete: „Jetzt hört man es
       krachen.“
       
       Seit Sommeranfang versucht das ukrainische Militär, die Versorgung der
       russischen Besatzungstruppen mit Munition und Ausrüstung im Süden der
       Ukraine über die Krim zu unterbinden. Zu diesem Zweck wurde die
       [3][Kertsch-Brücke], die die Krim mit Russland verbindet, angegriffen und
       beschädigt. Auch das große Landungsschiff „Olenegorski Gornjak“ im
       russischen Hafen Noworossijsk wurde angegriffen. Das Schiff „Minsk“ wurde
       direkt am Dock des Schiffsreparaturwerks in Sewastopol auf der Krim
       getroffen. Weitere Brücken wurden beschossen, die die Krim mit der
       südukrainischen Region Cherson verbinden. Den ganzen Sommer haben
       ukrainische Drohnen russische Militärdepots auf der Krim überflogen.
       
       Angesichts der wachsenden Angriffe wünscht sich Konstantin, dass sein Vater
       zu ihm zieht. Dieser weigert sich aber, die Krim zu verlassen. „Ich denke,
       diejenigen, die jeden Tag Nachrichten über Drohnen hören, nehmen die
       Bedrohung nicht angemessen wahr und glauben nicht, dass ihr Leben in Gefahr
       ist“, sagt er. Inzwischen ist bekannt, dass vier Munitionslager der
       russischen Armee zwischen Juli und September gesprengt wurden. Damit fehlte
       Nachschub für die russischen Verteidigungsstellungen im Gebiet
       Saporischschja in der Südukraine. Dort führt die Ukraine seit Juni eine
       Gegenoffensive durch.
       
       Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Drohnen und Raketen ihre Ziele
       erreichen, erlangte die Ukraine Anfang September auch die Kontrolle über
       mehrere Gasförderplattformen im Schwarzen Meer südlich von Odessa zurück.
       Dort wurden russische Radarsysteme zerlegt. Ebenfalls Anfang September traf
       die Ukraine mehrere russische Luftabwehrstellungen im Nordwesten der Krim –
       auch eine des hochmodernen S-400-Systems. Dies ermöglichte die
       ukrainische Zerstörung des russischen U-Boots „Rostow am Don“ im
       Trockendock des Schiffsreparaturwerks in Sewastopol. Zuvor hatte dieses
       U-Boot Raketen auf ukrainisches Gebiet abgefeuert.
       
       Parallel haben ukrainische Marinedrohnen Schiffe der Schwarzmeerflotte auf
       See angegriffen. Am 14. September wurde das russische Raketenschiff „Samum“
       in der Nähe der Einfahrt zur Bucht von Sewastopol getroffen. All dies soll
       auch verhindern, dass Russland seine Drohung wahr macht, Frachtschiffe mit
       ukrainischen Getreideexporten im westlichen Schwarzen Meer anzugreifen.
       
       Am Samstag wurden erneute ukrainische Angriffe in Sewastopol gemeldet. Die
       Bewohner kommentieren dies in den sozialen Medien meistens mit dem Satz:
       „Jetzt war es laut!“ Es ist eine Anspielung darauf, dass es wieder einen
       Angriff gab. Doch zwischen den Zeilen weiß jeder, was passiert ist und
       warum. Auf die Frage, wie die Lage in Sewastopol gerade ist, reagiert
       Anwohner Andrei gelassen: „Es geht uns gut, wir müssen uns keine Sorgen
       machen.“ Über die Anwohner der Krim müsse man nicht schreiben, sagt er.
       Dabei ist klar, dass sie von den russischen Behörden eingeschüchtert
       werden. Gleichzeitig schwebt über ihnen die Angst, dass, falls das
       ukrainische Militär die Halbinsel zurückerobert, sie als Kollaborateure
       gelten und bestraft werden könnten.
       
       Am vergangenen Dienstag, wenige Tage vor dem ukrainischen Raketenangriff
       auf das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte, meldete der britische
       Geheimdienst, dass Russland nicht mehr genug Männer habe, um die besetzten
       Gebiete in der Südukraine zu verteidigen und gleichzeitig Angriffe im
       Donbass voranzutreiben. Am gleichen Tag, als würde Moskau die britischen
       Angaben bestätigen, startete das russische Verteidigungsministerium eine
       Rekrutierungskampagne auf der Krim: In einer [4][frischen Werbung] sind
       zwei Soldaten im Schützengraben zu sehen. Sie reden weder von
       „Entmilitarisierung“ noch von „Entnazifizierung“. Der Slogan der Werbung
       lautet: „Wähle eine Traumstadt“. Die Streitkräfte sollen einfach Städte in
       der Ukraine erobern, die ihnen gefallen.
       
       Der Autor stammt aus der Krim und schreibt unter Pseudonym. Er lebt im
       Exil. 
       
       Aus dem Russischen: Gemma Terés Arilla, Mitarbeit: Dominic Johnson
       
       24 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fuenf-Jahre-nach-der-Krim-Annexion/!5580865
 (DIR) [2] https://euromaidanpress.com/2023/09/23/frontline-report-ukrainian-forces-hit-russian-black-sea-fleet-hq-in-two-stage-air-attack/
 (DIR) [3] /Ukraine-attackiert-Krim-Bruecke/!5944884
 (DIR) [4] https://t.me/tvcrimea24/53006
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dmitri Vysotkin
       
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