# taz.de -- „Emilia_Galotti“ am Theater Bremer: Die Löschung einer Ausgelöschten
       
       > Im Bremer Theater zerlegt Rahel Hofbauer den Klassiker „Emilia Galotti“.
       > Der Titel bekommt einen Unterstrich und die Hauptfigur kommt gar nicht
       > vor.
       
 (IMG) Bild: Schinken unterm Schleier: Lessings Emilia Galotti wird in Bremen gegen den Strich gebürstet
       
       Emilia ist tot, wurde vorsichtshalber ein zweites Mal ausradiert, um das
       möglicherweise irgendwo noch festsitzende Missverständnis auszuräumen,
       jenes Fräulein wäre hier die Hauptrolle. Oder vielmehr: um grundsätzlich
       klarzustellen, dass Frauen wenig zu melden haben in der klassischen
       Literatur – in der Welt also.
       
       An dieser politischen Mission lässt Rahel Hofbauers Regiedebüt
       [1][„Emilia_Galotti“ am Bremer Theater] keinen Zweifel. Gleich eingangs
       lässt sie den Plot vom Bühnenrand her runterrattern: Emilia soll einen
       Grafen heiraten, wird aber vom Prinzen begehrt. Der lässt den Bräutigam
       meucheln, doch bevor er die Quasi-Witwe rauben kann, fliegt das Komplott
       auf. Emilias Tugend überlebt das, weil sie sich von ihrem Vater erdolchen
       lässt. Außerdem erfahren wir dass der Text von Gotthold Ephraim Lessing
       stammt, der zur Uraufführung am 13. März 1772 wegen Zahnwehs nicht anwesend
       war.
       
       Das mag plump scheinen, funktioniert aber ausgezeichnet: Der Stoff liegt
       nun auf dem Seziertisch, wo Hofbauer ihn in blutige Brocken zerlegt. Emilia
       selbst bleibt das erspart. Sie tritt nicht in Erscheinung. Die schon von
       Lessing knapp bemessene Redezeit der Titelfigur wird durch Schweigen
       markiert.
       
       Alle weiteren Figuren beschränken sich darauf, gemeinsam das toxische
       Umfeld der Abwesenden zu performen, das ihren Tod erzwungen haben wird.
       Langweilig ist das nicht. Besonders Nadine Geyersbach weiß als böser Prinz
       auch in eng gesteckten Grenzen zu spielen, wirft selbst die im Sprechtext
       verbleibenden Regieanweisungen mit Schmackes ins Publikum: „Prinz geht ab“,
       schnaubt sie und stapft ins Dunkle.
       
       ## Toxisches Miteinander
       
       Der Glanzpunkt jedoch ist die Bühne von Andrea Künemund. Es beginnt unter
       einem raumfüllenden weißen Schleier, der die eingetüdelten
       Schauspieler:innen so lähmt, wie gesellschaftliche Zwänge ihre Figuren.
       Später wird der Boden des Kleinen Hauses zur Decke schweben und Einblicke
       in den Abgrund darunter gewähren: das ganze Theater umgestülpt. Das sieht
       schön aus, ist klug konstruiert und ein Verdienst der Inszenierung ist,
       dass man hinterher angeregt streiten kann über die Auslöschung der
       ausgelöschten Frau.
       
       Denn so klar die Sache im Grunde ist – [2][der Femizid-Plot], die misogyne
       Perspektive –, bleibt die große Frage ja ungelöst: Was tun mit Stoffen, die
       heute nichts mehr beizutragen haben zu erträglicheren Verhältnissen?
       
       [3][Galotti aus der Kiste] zu holen, war in Bremen schließlich nicht nur
       die Idee des Theaters, sondern der Schulbehörde. [4][Sie ist Abi-Stoff].
       Und auch wenn man ein bisschen spotten darf über die Hoffnung auf
       Ticketkäufe für Deutsch-LKs, ist es doch erfreulich, wenn die vom
       Bildungsressort durchs Dorf getriebene Sau vom echten Theater dann
       wenigstens fachkundig geschlachtet wird.
       
       5 Oct 2023
       
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