# taz.de -- Basis-Arbeit und Fachkräftemangel: Boom der Helfer:innen
       
       > Sogenannte einfache Tätigkeiten werden immer wichtiger – trotz und gerade
       > wegen der Digitalisierung. Die Gefahr der Ausbeutung steigt aber.
       
 (IMG) Bild: Paketzusteller in Düsseldorf
       
       Bei Tiktok ist alles easy. Berufe ohne Ausbildung und ohne Studium? Kein
       Problem! Influencer wie „Professorfinanzen“ empfehlen die Arbeit als
       Müllmann, Immobilienmakler oder Berufspolitiker, andere Kommentatoren raten
       zum Berufskraftfahrer, Baufinanzierungsberater oder Tatortreiniger. Das
       klingt lustig, aber es gibt einen ernsten Kern: Die traditionellen
       Klassifizierungen in der Arbeitswelt, die nach Hilfsarbeiter:innen,
       Facharbeiter:innen und Akademiker:innen unterscheiden, verändern
       sich. Neue Klassen entstehen – und dies liegt erstens am allgemeinen
       Arbeitskräftemangel und zweitens an der Zuwanderung.
       
       Die Leiterin einer Kita in Berlin erklärt: „Ich muss auf die
       Osteuropäerinnen setzen“. Die Kita leidet wie alle anderen auch unter dem
       Fachkräftemangel. Helfer:innen aus der Ukraine arbeiten dort jetzt mit
       und lernen Deutsch, auch von den Kindern. Die Kleinen freuen sich, wenn sie
       das Deutsch der Frauen aus der Ukraine verbessern können, erzählt die
       Leiterin.
       
       Das Beispiel ist zukunftsweisend: In [1][Deutschland fehlen Arbeitskräfte
       an allen Ecken und Enden]. Gleichzeitig gibt es ein Phänomen, das man so
       noch vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten hätte: Die Zahl der Menschen,
       die in sogenannten Helfertätigkeiten arbeiten, [2][steigt,] wie auch eine
       Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt. In den Jahren von 2015 bis 2021
       wuchs die Zahl der Jobs mit „Helfertätigkeiten“ in Deutschland um 16
       Prozent. Der Anteil der sogenannten Fachkräfte mit anerkannter
       Berufsausbildung legte dagegen nur um 5 Prozent zu.
       
       Dieser Zuwachs der sogenannten Helfer:innen liegt vor allem an
       Arbeitskräften mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Ein großer Teil der
       ausländischen Arbeitskräfte kommen aus ost- und mitteleuropäischen
       EU-Ländern; ein wachsender Teil aber auch aus den acht wichtigsten
       Asylherkunftsländern. Dass vor allem Ausländer:innen als „Helfer:innen“
       beschäftigt sind, bedeutet nicht unbedingt, dass es sich um Leute ohne
       sogenannte Qualifikationen handelt. Es heißt erst einmal nur, dass deren
       Qualifikationen nicht in das deutsche Klassifizierungssystem von Bildung
       passen und/ oder dass es vor allem die unzureichenden Deutschkenntnisse
       sind, die es den Leuten unmöglich machen, eine Tätigkeit in einem staatlich
       anerkannten Ausbildungsberuf in Deutschland auszuüben.
       
       Syrer, die im Heimatland ein kleines Handwerksunternehmen führten, arbeiten
       in Deutschland als Paketboten. Eritreerinnen, die in Deutschland eine
       dreijährige Ausbildung zur examinierten Pflegerin machen wollten,
       bewältigen zunächst nur einen kürzeren Bildungsgang zur Pflegehilfskraft,
       weil die medizinischen Curricula der Fachkraftausbildung exzellente
       Deutschkenntnisse erfordern. Ukrainer:innen und Afghan:innen besuchen
       in Deutschland mehrmonatige Kurse als Kita-Assistent:innen, um dann in
       Kitas mitarbeiten zu können.
       
       Diese Leute füllen die Statistik der 5,3 Millionen Menschen in sogenannten
       Helfertätigkeiten, und schon allein der oft benutzte Begriff der
       „niedrigqualifizierten Jobs“ spricht dabei von einer gewissen
       Klassenarroganz der Ökonomen. Denn natürlich ist es eine Qualifikation, als
       Pflegehelfer:in im Akkord alte Menschen zu waschen und deren
       Inkontinenzmaterial zu wechseln – oder als Paketbot:innen 30 Kilo
       schwere Tierfutterpakete durch Treppenhäuser in höhere Stockwerke zu
       wuchten. Die „Helfertätigkeiten“ erfordern eine stabile Konstitution, sind
       verschleißintensiv und relativ gering bezahlt. In einer Gesellschaft, in
       der man in seinem Job bis ins Alter tätig sein muss, bringen „Helfer:innen“
       die größten Opfer.
       
       ## Damit der Laden läuft
       
       Wissenschaftler:innen der sogenannten [3][„Denkfabrik“] über die
       digitale Arbeitsgesellschaft, die beim Bundesarbeitsministerium angesiedelt
       ist, nennen diese Tätigkeiten daher auch alternativ [4][Basisarbeit.]
       Basisarbeit sind Jobs, die dringend erforderlich sind, „damit der Laden
       läuft“, wie es in einem Papier der Denkfabrik heißt. Das alte Credo aus den
       Nullerjahren, dass die sogenannten niedrigqualifizierten Tätigkeiten
       verschwinden durch die Automatisierung, hat sich nämlich nicht
       bewahrheitet. So sind durch die Digitalisierung bestimmte Jobs in der
       Lagerlogistik erst entstanden. Andere Jobs der sogenannten Qualifizierten,
       etwa bei den Banken, sind hingegen verschwunden.
       
       „Demografische und Beschleunigungseffekte könnten zu einer Aufwertung von
       Teilen der Basisarbeit führen“, schreibt der Demografie-Experte Marc
       Bovenschulte von der Denkfabrik. Ohne die Nettozuwanderung könnte der
       Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahre 2035 um neun
       Millionen Personen sinken, so Berechnungen der Wissenschaftler. Im Zuwachs
       durch ausländische Arbeitskräfte liegt allerdings die Gefahr der
       Ausbeutung: Beschäftigte werden sehr abhängig von ihrem Arbeitgeber, wenn
       etwa eine Aufenthaltsgenehmigung an eine Erwerbstätigkeit gebunden ist.
       
       ## Lieber Englisch sprechen
       
       Es ist richtig, dass die Autor:innen der Friedrich-Ebert-Stiftung
       fordern, Beschäftigten in „Helfertätigkeiten“ bezahlte Möglichkeiten der
       Weiterbildung zu eröffnen, die sich direkt am Bedarf auf dem Arbeitsmarkt
       orientieren. Dies können zertifizierte mehrmonatige Module an
       „[5][Teilqualifikationen“] sein, etwa in Maschinenführung,
       Computer-Lagerverwaltung oder Assistenzen in Care-Berufen. Die Kurse kann
       man berufsbegleitend absolvieren – mit Sprachförderung bei Bedarf. Im
       besten Fall lassen sich die Module dann zu einer vollwertigen
       Berufsausbildung als „Fachkraft“ ausbauen.
       
       In manchen, auch kleineren Firmen könnte man überdies darüber nachdenken,
       Englisch als Betriebssprache zu etablieren, um ausländischem Fachpersonal
       qualifiziertere Tätigkeiten zu ermöglichen. Die Arbeitswelt wird sich
       künftig nach dem Angebot an Arbeitskräften richten müssen. Und nicht
       umgekehrt.
       
       27 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Arbeitskraeftemangel-in-Deutschland/!5868429
 (DIR) [2] https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/20263.pdf
 (DIR) [3] https://www.denkfabrik-bmas.de/
 (DIR) [4] https://www.denkfabrik-bmas.de/fileadmin/Downloads/Publikationen/Basisarbeit_Stuetzen_der_Arbeits_gesellschaft.pdf
 (DIR) [5] https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/fachkraefte/aus-und-weiterbildung/ausbildung/teilqualifikationen-11504
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fachkräftemangel
 (DIR) Arbeitsmigration
 (DIR) Migration
 (DIR) Fachkräftemangel
 (DIR) Geflüchtete
 (DIR) Pflegekräftemangel
 (DIR) Klasse
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Migration gegen Arbeitskräftemangel: Proaktiv für Einwanderung
       
       Die Aufnahme von Menschen auf der Flucht ist längst keine rein humanitäre
       Sache mehr. Deutschlands Wirtschaft braucht die Immigration.
       
 (DIR) Berliner Betriebe: Hopplahopp, neuer Job
       
       In Berlin herrscht laut einer Umfrage aktuter Fachkräftemangel.
       Arbeitnehmer*innen fühlen sich dadurch zum Jobhopping ermutigt.
       
 (DIR) Debatte über Einwanderung: Nicht nur sagen, wie es nicht geht
       
       In der Migrationsdebatte wird die verfehlte Bildungs-, Arbeits- und
       Wohnpolitik den Geflüchteten angelastet. Es geht um Projektionen statt
       Probleme.
       
 (DIR) Demografie und Arbeitsmarkt: Weniger Azubis in der Pflege
       
       Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge für künftige
       Pflegefachkräfte ist gesunken. Auch Ältere beginnen diese Ausbildung.
       
 (DIR) Arbeitskräftemangel in Deutschland: Akademikerkinder in die Produktion!
       
       Überall fehlt es hierzulande an Personal. Dabei sollten AkademikerInnen
       anfangen, Ausbildungen zu machen – denn soziale Mobilität nach unten ist
       wichtig.
       
 (DIR) +++Angebot+++: Arbeitskräfte gesucht
       
       Möchten Sie zwölf Stunden am Tag auf dem Weihnachtsmarkt arbeiten? Sieben
       Tage die Woche? Einen Monat lang? Dafür gibt es auch 850 Euro!