# taz.de -- Kampf gegen Rechts: Mehr Unteilbar wagen
       
       > Rechte demonstrieren fast unwidersprochen in Berlin, der Bundespräsident
       > haut rechte Talking-Points raus. Es ist an der Zeit für neue Bündnisse.
       
 (IMG) Bild: Ein Bild aus besseren Tagen: Die „Unteilbar“-Demonstration in Berlin im Oktober 2018
       
       Wer etwas über den gegenwärtigen Zustand zivilgesellschaftlicher Gegenwehr
       gegen den Rechtsruck in Berlin wissen will, der musste am 3. Oktober durch
       Mitte laufen. Nur vereinzelter Protest hatte sich gegen rund 5.000
       Verschwörungsideolog*innen und Rechtsextreme formiert. Ein paar
       stabile „Omas gegen Rechts“ und die Antischwurbel-Gruppe „Reclaim
       Rosa-Luxemburg-Platz“ hielten die Stellung – allerdings recht einsam.
       
       Die Rechten hingegen machten sich weitgehend ungehindert vor der Kulisse
       des Berliner Doms, des Alten Museums und wiederaufgebauter preußischer
       Großmacht-Architektur breit und feierten [1][zusammen mit der AfD und der
       Parole „Ost-Ost-Ostdeutschland“] die gesellschaftliche Spaltung. Es kamen
       Neonazis, Holocaustleugner, AfD-Politiker und eine abgedriftete
       DDR-Bürgerrechtlerin, die im Kuratorium der AfD-nahen
       Desiderius-Erasmus-Stiftung sitzt. Politische Gegner wurden als „Parasiten“
       bezeichnet, die BRD mit einer „Diktatur“ gleichgesetzt, von Chemtrails und
       Gefährlicherem geschwurbelt.
       
       Berlins linke Protestszene hingegen scheint gelähmt angesichts einer Art
       von Post-Corona-Fatigue und [2][eines anhaltenden Rechtsrucks] unter
       kräftiger Mithilfe konservativer Wegbereiter wie Friedrich Merz, Jens Spahn
       und Joachim Gauck, die rechte Diskurse normalisieren und rechtsradikale
       Forderungen hinter euphemistischen Worthülsen verstecken. Oder die wie
       Bundespräsident [3][Frank-Walter Steinmeier] in der Tagesschau
       unwidersprochen rechte Politik reproduzieren und dabei Geschichtsklitterung
       mit Blick auf den in den 1990er Jahren geschlossenen „Asylkompromiss“
       betreiben.
       
       Zur Erinnerung: Mit diesem „Kompromiss“ wurde damals letztlich das
       Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt und rechte Gewalt faktisch als Ausdruck
       eines vermeintlichen Volkswillens legitimiert.
       
       ## Die allgemeine Beschissenheit der Dinge
       
       Heute fordern die Grünen Abschiebungen und wollen zusammen mit der SPD
       Europas inhumanes Grenzregime befestigen. Die AfD reibt sich derweil in
       ihrem Umfragehoch vor Glück die Hände – angesichts des ersten Landrats in
       Thüringen und anstehenden Landtagswahlen in Bayern, Hessen und 2024 auch im
       Osten.
       
       Angst, Resignation und Zweifel sind angesichts der allgemeinen
       Beschissenheit der Dinge vollkommen verständlich – zuallererst natürlich
       für diejenigen, die von rechter Hetze und Gewalt bedroht sind.
       
       Umso wichtiger aber wäre es für den Rest und diejenigen Betroffenen, die
       noch Kraft haben, nicht zu resignieren und ins Handeln zu kommen. Eine
       Perspektive zu entwickeln, wie es besser laufen könnte. Bündnisse gegen
       gesellschaftliche Spaltung zu schmieden zwischen all denjenigen, die sich
       Sorgen machen – denn das ist immer noch die Mehrheit.
       
       ## Ausgerechnet München als positives Beispiel
       
       Dafür gab es jüngst immerhin zwei positive Beispiele. Und hier kann in
       Sachen Bewegung ausnahmsweise sogar München ein Vorbild für Berlin sein:
       Dort haben ebenfalls diese Woche im Vorfeld der Bayern-Wahl 35.000 Menschen
       gegen Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus protestiert.
       
       Unter dem Motto „Zammreißen – Bayern gegen Rechts“ formierte sich ein
       Bündnis aus einer Sozialgenossenschaft, politischen Vereinen, aber auch der
       politischen Bildungslandschaft und der israelitischen Kultusgemeinde. Deren
       Präsidentin Charlotte Knobloch sprach den Protestierenden Mut zu und warnte
       vor einer „Feuerprobe“ der Demokratie: „Was heute ins Rutschen kommt, kann
       morgen schon unsere Demokratie unter sich begraben.“
       
       Ein ähnliches Momentum gab es im Kleinen vor Kurzem [4][im thüringischen
       Nordhausen], als bei der Stichwahl zu einer bereits verloren geglaubten
       AfD-Oberbürgermeisterwahl ebenfalls ein zivilgesellschaftliches Bündnis,
       angeführt vom KZ-Gedenkstättenleiter und Historiker Jens-Christian Wagner,
       gegen die Spaltung mobilisiert hatte.
       
       ## Es braucht breite Bündnisse
       
       Die Beispiele zeigen: Es braucht jetzt breite gesellschaftliche Bündnisse,
       um Rechte in die Schranken zu weisen. Zu viele Leute haben sich viel zu
       lange einfach auf antifaschistische Strukturen verlassen, die meist ohne
       viel Dank gesellschaftliche Werte gegen autoritäre Abgründe verteidigt
       haben. Aber es kann nicht nur Aufgabe von linken Gruppen sein, die
       Demokratie zu verteidigen.
       
       Es ist an der Zeit, den Mund aufzumachen. Ob nun im Nahumfeld der Familie,
       im Sportverein, auf der Arbeit oder einer Antifa-Demo. Es braucht einen
       übergreifenden Aufstand der Anständigen, wie es ihn 2018 schon einmal nach
       entmenschlichender „Flüchtlingsdebatte“ und dem offenen AfD-Schulterschluss
       und pogromartigen Zuständen in Chemnitz mit „Unteilbar“ und „Wir sind mehr“
       gegeben hat. Unteilbar hat sich letztes Jahr aufgelöst – vielleicht ist es
       an der Zeit für eine Neuauflage.
       
       6 Oct 2023
       
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 (DIR) Gareth Joswig
       
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